Thema:
Mein Positives wie Negatives flat
Autor: lichtschalterer
Datum:23.03.20 23:35
Antwort auf:Psychische Gesundheit in Zeiten der Krise von publicmaw

Muss mich aus beruflichen Gründen mit dem Virus auseinandersetzen als Sicherheitsbeauftragter der Firma.
Morgens dann immer Gespräch mit meinem Mitarbeiter, was man jeweils neues erfahren hat.
Die letzten Wochen waren dadurch ein wenig Hölle. Die Geschäftsführung wie auch die Mitarbeiter zu beraten, die Panikmenschen unter ihnen zu beruhigen oder deren "Ich habe gehört, dass." zu entkräften und die Ängstlichen, die das im Flurfunk mitkriegen, ebenfalls zu beruhigen.
Dann die "Bomben", die einschlugen zu koordinieren und den Risiko-Maßnahmenplan ausrollen. Hat zwar alles geklappt, aber war und zeitweise sehr eng und ich kann absolut die Regierung verstehen, was das für ein schmaler Grat ist, wozu man sich nun entscheiden muss. Zuguterletzt hat der Geschäftsführer eben entschieden, nachdem wir zu fünft uns unterhalten haben, dann nochmal die GL separat, damals alle schnell in HO zu schicken, und wer möchte kann, aber maximal nur drei/vier Personen auf die Arbeit gehen und dabei Mindestabstand halten und alles desinfizieren.

Gleichzeitig privat:
Meine Freundin ist Pflegekraft in einer Wohneinrichtung für Behinderte, die Desinfektionszeugmangel haben, Schutzkleidungsmangel haben, Pflegekräftemangel haben. Und sie muss mit Bus und Bahn zur Arbeit. Sie hat sich jetzt ein Schild auf den Rucksack machen lassen "Ich bin Pflegekraft auf dem Weg zur Arbeit". das Lustige in dem Fall ist, dass alle im Bus bereitwillig jetzt den Mindestabstand einhalten aus Panik.
die Lage in der Einrichtung ist aber in der Tat so, dass auch diese bei Erkältungssymptomen Mundschutz kriegen und weiterarbeiten müssen, bis eindeutiger ist, was die nun haben könnten. So sagte es zumindest das Gesundheitsamt, als sie mit einer Erkältung heimkam.
Es ist tatsächlich zum Glück nur eine Erkältung.
Trotzdem habe ich Sorge um sie, irgendwie auch um mich, weil ich natürlich mit ihr zusammenwohne, und wenn es hart auf hart kommt, steckt sie mich an.
Davor hat sie widerum auch Angst, weil sie weiß, wenn, dann werde ich es am ehesten von ihr bekommen.

Dadurch liegen manchmal unsere Nerven blank und wir meckern uns mal wegen den kleinsten Dingen an. Was uns danach unendlich leid tut. Ich versuche trotzdem für sie stärker zu sein, als wie ich mich manchmal fühle.
Zum Glück hat sie jetzt erstmal 2 Wochen Urlaub. Resturlaub vom letzten Jahr, den sie zwingend nehmen musste. Der Chef hat zwar erst Zähne geknirscht, auf der anderen Seite ist aber so erstmal eine Pflegekraft sicher.
Achja da sie im Anerkennungsjahr ist, ist es natürlich auch scheiße mit Prüfungen. Berufsschullehrerbesuche dürfen auch nicht mehr stattfinden, alle Pflegeeinrichtungen haben ein Besuchsverbot ausgesprochen.

Und Familiär:
Meine Eltern habe ich jetzt schon circa 2 Monate nicht gesehen. Beide werden dieses Jahr 70. Eigentlich wollten wir das feiern, wird aber nichts draus nun.
Beide haben zum Glück keine Vorerkrankungen und sind sehr sehr fit (mein Vater macht noch Alpenwanderungen, beide spielen Tennis, fahren Ski etc). Trotzdem gehen wir auf Nummer Sicher. Zum Glück wohnen die am Rande von Essen, also nicht so wie wir in Köln gefühlt im Herzen der Ausbruchszone.
Ich versuche telefoniere nun viel mehr mit ihnen, damit es ihnen und uns nicht so einsam ist.

Dazu immer die Wasserstandsmeldungen meiner Tante in Bologna Italien, die jetzt 74 Jahre alt ist und entsprechend dem, was hier auch allgemein schon viele über die unterschiedliche Kultur diskutierten, kümmert sich um die Enkelkinder, während die Schwiegertochter noch arbeitet. Anders nicht machbar.

Äußerlich versuche ich oft Ruhe zu bewahren, aber innerlich drehe ich hin und wieder echt am Rad.

Ich bin aber doch recht froh über unser Gesundheitssystem. Wenn man sich USA oder ärmere Länder ansieht, wo jeder Einwohner die Behandlung selber bezahlen muss, dann bin ich doch recht froh, dass es hier das Krankenkassensystem gibt.

Mit Freunden halte ich wie immer via Telefon, Whatsapp, Discord, Instagram Kontakt. Das geht einigermaßen.
Sorgen mache ich mir da um meinen besten Freund, der hat sich ein Sport-Training- und Ernährungsberatung aufgebaut, wo ich auch schon hin und wieder ausgeholfen habe. Jetzt liegt beides brach und er hat Frau, die als Heilpraktikerin sozusagen selbstständig ist, und zwei Kids. Ich habe ihm gesagt, wenn es bei ihm hart auf hart kommt, soll er sich definitiv bei mir melden.

Und irgendwie tat es grade gut, dass sich mal von der Seele runterzuschreiben.


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