Thema:
Re:Ich bin ein bissi stolz. flat
Autor: Karotte
Datum:23.03.20 08:13
Antwort auf:Ich bin ein bissi stolz. von Pezking

>Ich bin echt baff, wie schnell die deutsche Bevölkerung binnen weniger Tage ihr Alltagsverhalten komplett umgekrempelt hat.
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>Gesellschaftlich ist das eine Riesenleistung, die gestern, am Samstag nach Frühlingsanfang, ihren Höhepunkt fand. Die landläufige Diszipliniertheit finde ich höchst beeindruckend und ermutigend. Vor allem, weil man diesen ganzen Affentanz in erster Linie macht, um Alte und Kranke zu retten. Politik und Gesellschaft nehmen dafür eine gewaltige Rezession in Kauf. Das muss man sich auch mal vor Augen führen: Wir leben in einem kapitalistischen System, das in solchen menschlichen Krisen das Wirtschaftswachstum mal eben auf den Rücksitz verbannt, damit vor allem die Schwächsten nicht reihenweise krepieren. Das ist das genaue Gegenteil von "survival of the fittest", und das finde ich großartig!
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>Kann man natürlich auch zynisch sehen: Hätten wir in den letzten Jahrzehnten einen riesigen Puffer an Intensivstationsbetten, Beatmungsgeräten und geschultem Personal mit uns rumgeschleppt, stets mit einer geringen Auslastung, dann hätten wir die aktuellen Probleme nicht oder nur stark abgeschwächt.
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>Muss man aber auch nicht so sehen. Man kann hier auch ohne Selbstbeschiss gerade viele positive Zeichen und Entwicklungen erkennen, und es ist sicher gesund, diese nicht aus dem Blick zu verlieren.


Naja, man hat mit Wuhan und Italien zwei Horrorszenarien direkt vor der Nase und sich erst dann am Riemen gerissen, als die Politik den Ton verschärft und die Polizei tatsächlich auf Parties und in Lokalen durchgegriffen hat. Zudem waren Ausgangssperren im europäischen Umland Realität und von den ersten Städten und Ländern in der Republik nicht nur angedroht, sondern bereits umgesetzt worden. Vor diesem Hintergrund jetzt von einem Erwachen der Macht zu reden, ist imho schon arg optimistisch. Zumal ich mich dann auch frage, wo die ganze Sensibilität und Nächstenliebe bleiben, wenn es um Altersarmut oder Grundpfeiler unseres Wohlstands wie die Ausbeutung in der Dritten Welt oder die systematische Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlage geht.

>Eine Sache muss aber auch klar sein: Medizinische Berufe müssen nach dieser Krise viel besser entlohnt werden und viel bessere Anreize für Berufsanfänger bieten. Es wäre beschämend, wenn sich hier nichts tun würde. Nur könnte dem die zu erwartende Rezession leider auch ein Stück weit im Weg stehen.


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