Thema:
Meine ganz persönlichen Gedanken flat
Autor: Bomber
Datum:19.03.20 08:56
Antwort auf:Psychische Gesundheit in Zeiten der Krise von publicmaw

Kurz zu meiner Vorgeschichte:
Ich durchlebe jedes Jahr 3 bis 4 schwere depressive Phasen. Diese haben vor gut 5 Jahren dazu geführt, dass ich versucht habe mir das Leben zu nehmen. Wenn diese Phasen beginnen, ist mein ständiges Gedankenkarussell einfach nicht mehr zu stoppen. Um diesem vorzubeugen habe ich in der Regel nie Ruhe im mich rum, um mich abzulenken. Z.B. benötige ich weißes Rauschen um zu schlafen, höre ständig Musik, oder brauche das Geräusch anderer Menschen. Eine Therapie hat mir geholfen diese Phasen frühzeitig zu erkennen und dadurch nicht bodenlos zu fallen. Medikamente nehme ich keine. Soviel dazu, um evtl. besser einschätzen zu können, warum manche meiner Gedanken in dieser Situation sind, wie sie sind.
Ich möchte hier nicht nur meine Gedanken aufschreiben, denn leider sind es überwiegend Ängste, aber auch ein paar positive Dinge. Kann auch alles ein wenig wirr rüberkommen, denn leider lässt ein Gedankenkarussell nicht immer strukturiertes Denken zu.

Grundsätzlich halte ich ja nicht viel von der Menschheit im Ganzen, zu viel Dummheit und Ar***lochtum begegnet mir jeden Tag, und doch gibt es einzelne Menschen, die mir wichtig sind. Und besonders in diesen Tagen ist die Angst um diese Menschen enorm groß, dass sie sich anstecken, dass es einen schweren Verlauf nimmt, dass sie sterben könnten. Interessant daran ist für mich, wer diese Menschen sind, und wer mir nicht in den Sinn kommt. Meine schwangere Verlobte, meine Mutter (künstliche Herzklappen), mein Stiefvater (Herzschrittmacher), meine Schwiegereltern (beide fast 70), meine Ex (eigentlich kerngesund, hoffe ich), mein bester Freund, meine beste Freundin (HNO-Arzthelferin) und Ihr Freund, an alle diese Menschen muss ich ständig denken und habe Angst um sie. Seltsamerweise denke ich nicht an meinen Vater, meinen Bruder und Frau, mich. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Tot ist tot.

Am meisten Sorgen mache ich mir allerdings über meine ungeborene Tochter. Ich denke, sie wird in einer anderen Welt aufwachsen. Ich glaube, die Welt, wie wir sie kennen, existiert nach der Krise nicht mehr. Es wird sicher keine postapokalyptische Welt werden, doch wird die Welt durch eine sehr tiefe Rezession gehen, die Weltwirtschaft, globalisiert wie sie nun mal ist, zusammenbrechen. Wie versorge ich dann dieses kleine Wesen? Wirklich, ich sehe mich manchmal plündernd und bewaffnet durch ein München ziehen, was nicht mehr das München ist, welches viele hier kennen. Biergärten? Gemütlichkeit? Alles weg. Wie wird sie, meine Kleine, lachen lernen? Sich ihr Herz brechen lassen können? Wie kann ich ihr eine unbeschwerte Kindheit geben?

Bis vor 4 Wochen war meine Welt noch super in Ordnung, besser hätte es im Moment gar nicht laufen können: Schwanger, neue Wohnung, tolles Wetter, finanziell endlich stabil. Und jetzt? Kann ich im Mai überhaupt heiraten, oder werden die Standesämter geschlossen? Kann ich meinen Umzug durchziehen, oder kommt eine Ausgangssperre? Kann ich mir das alles überhaupt noch leisten, oder bin ich bald arbeitslos? Verdammt, ich muss die alte Wohnung ja auch noch weißeln!

Was mir im Moment allerdings am schwersten fällt: Positivität auszustrahlen. Ja, das muss ich. Meine Verlobte braucht besonders jetzt doch eine „starke Schulter“ an ihrer Seite. Meine Mitarbeiter (bin ja Abteilungsleiter) brauchen einen Ansprechpartner, der Souveränität ausstrahlt. Meine Eltern brauchen jemanden, der ihnen sagt, wo es lang geht; zu naiv gehen sie mit der Situation um. Meine Schwiegereltern brauchen regelmäßig eine Ermahnung, zu leichtfertig gehen sie mit ihrem Umfeld um. Ich bin Betriebsratsvorsitzender und muss eine kühlen Kopf bewahren, während die Mitarbeiter um mich in Panik geraten.

Alles das zusammen macht mich lang fertig. Die einzigen Dinge, die mir noch etwas Ruhe verschaffen, ist mein abendlicher Spaziergang und das im Moment gute Wetter, bei dem ich die Eichhörnchen, in ihrer ganzen Unschuld, draußen beobachten kann.

Ich werde weiterhin versuchen stark zu sein, schon alleine meiner ungeborenen Tochter zu liebe.

Und ein ganz klein wenig Hoffnung ist noch da, dass es nicht so schlimm kommt.


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