Thema:
Re:Mein Corona-Blog - Direkt aus der Klinik - Teil 4 flat
Autor: Shodan
Datum:18.03.20 23:44
Antwort auf:Mein Corona-Blog - Direkt aus der Klinik von Shodan

Heute hatte ich meinen ersten Dienst mach 5 Wochen „Babypause“. Ich brauche so ca 30 Minuten von meiner Haustür in die Klinik. Mit der Straßenbahn hauptsächlich und noch ein paar Minuten zu Fuß. Und ich bin zu dieser Zeit unter der Woche noch nie so wenigen Menschen begegnet. Auch die Straßen waren wenig befahren. Vielleicht verstehen es die Menschen nach und nach.

Achtung, im Spoiler Tag beschreibe ich kurz einen heftigen Fall einer Patientin die ich heute betreuen durfte. Wer sensibel ist überspringt das besser.



In meiner Klinik geht es drunter und drüber. Aber in geordneten Verhältnissen. Ende dieser Woche werden wir 5 Stationen mit je ca. 30 Betten für Corona Patienten vorbereitet haben. Für Patienten mit milderen Verläufen, ohne Intensivmedizinische Maßnahmen. Personal wird von Stationen abgezogen die nun leerer sind, aufgrund des reduzierten OP Programms und auf die Corona-Stationen versetzt.

Eine unserer Intensivstationen an einem anderen Standort wird komplett für Covid19 Patienten umgerüstet. Dort können dann maximal 18 Beatmete Menschen behandelt werden. Unmengen an Material und Geräten wird zwischen verschiedenen Standorten verschoben. Eine echter Kraftakt. Mein Bruder, der auch Intensivpfleger ist, wird dann im Brennpunkt sein. Der arbeitet nämlich auf dieser Station.

Heute gab es Einführungen und Einweisungen für junge Ärztinnen und Ärzte. Sie müssen jetzt in kürzester Zeit wenigstens halbwegs mit einem Beatmungsgerät umgehen können. Derzeit werden nur Anästhesieärzte dafür geschult, da diese sich mit Beatmung noch am ehesten auskennen. Das mag jetzt übertrieben klingen, aber ich hatte kurz Bilder aus diversen Kriegsfilmen im Kopf. Wenn die letzte Reserve herangezogen wird um notdürftig zu lernen mit der Waffe zu hantieren.

Durch die Firma Dräger werden nun unsere 29 Transportbeatmunggeräte umgerüstet, so dass man mit Ihnen auch längere Beatmungen durchführen kann. So kommt meine Station dann am Ende auf ca 60 Beatmungsgeräte.  Allerdings sind diese Transportgeräte in ihren Möglichkeiten viel beschränkter als ein „Großes“ Gerät. Es wird sich zeigen ob Patienten, die an die einfacheren Geräte gehängt werden, damit durchkommen.

Und doch wird die Hauptlast an uns Pflegepersonal hängen. Ich kann Beatmungsgeräte im Schlaf bedienen. Kenne die Kniffe und Eigenheiten der unterschiedlichen Geräte. Es gibt ja dutzende Hersteller und Modelle auf dem Markt. Sowas lernst du nicht in ein paar Stunden. Das dauert zum Teil Jahre.

Diese Schlagzeilen „Regierung bestellt 10.000 Beatmungsgeräte“ finde ich gefährlich. Es wird suggeriert das man mit nur genug Technik alles hinbekommt. Du brauchst dann aber auch 10.000 Monitore zur Überwachung. 10.000 Betten. Zigtausend Infusomaten und Spritzenpumpen. Das ist alles Augenwischerei. Und wer bedient das ganze? So viele Ärzte, Pflegekräfte und Rettungsassistenten haben wir gar nicht um das zu gewährleisten.

Viele in der Bevölkerung denken ja 1 Arzt kann alles. Das aber ein Chirurg eben kein Beatmungsgerät bedienen kann, ein HNO Arzt keine komplizierten Mischinfusionen richten kann, ein Urologe keine Zentralen Venenkatheter legen kann, das wird in der Berichterstattung nie erwähnt.

Um mich nicht falsch zu verstehen. Sicherlich können Augenärzte, Urologen, Gastroenterologen usw. in der Krise helfen. In dem sie sich um die leichteren Fälle kümmern. Sie haben alle mal Medizin studiert. Aber in der Medizin wird man schnell auf sein jeweiliges Fachgebiet getrimmt. Ich habe schon Patienten reanimiert weil ein Augenarzt leider nicht mehr auf dem Schirm hatte das man bei akuten thorakalen Schmerzen auch mal an einen Herzinfarkt denken sollte. Und die komplette Diagnostik mit Labor und EKG verpennt. Und sich dann wundert…

Was mir heute noch in den Sinn kam ist die ganze Logistik hinter der eigentlichen Patientenversorgung. Ihr könnt euch nicht vorstellen was wir für einen Materialverbrauch haben. Perfusorspritzen, Infusionssysteme, Medikamente, Verbände, Kanülen, Spritzen usw. Wenn durch die ganzen Grenzschließungen sich da nun Verzögerungen im Transport ergeben, dann haben wir das nächste Problem. Dann fehlt nicht nur die Schutzausrüstung, sondern essentielle Dinge für die Versorgung und Therapie.

Noch ein Wort zu den „systemkritischen“ oder „systemrelevanten“ Berufen. Mir kommen dabei andere Berufsgruppen in den Kliniken zu kurz. Beatmungsgeräte und andere Medizinprodukte müssen gewartet werden. Ihr glaubt gar nicht wie zickig und anfällig die Dinger manchmal sind. Ohne Medizintechniker geht da gar nichts. Oder unsere Reinigungskräfte. Putzen im Akkord zu einem miesen Lohn. Unser Patientenbegleitdienst, der eine enorme Entlastung für die Pflegenden auf Normalstation ist. Indem er ihnen Transporte zu Untersuchen usw. abnimmt. Die Versorgunsgassistenten die unser Lager auffüllen, die Mitarbeiter der Küchen usw. Die sind nämlich genauso wichtig.  

Ich bin gespannt was die nächsten Tage bringen. Man merkt an allen Ecken das was in der Luft liegt. Eine nervöse Spannung. Und alle hoffen das sich die Menschen da draußen endlich besinnen.


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