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Re:Mein Corona-Blog - Direkt aus der Klinik - Teil 1 flat
Autor: Shodan
Datum:16.03.20 15:26
Antwort auf:Mein Corona-Blog - Direkt aus der Klinik von Shodan

Mein Corona-Blog - Direkt aus der Klinik

Kurz zu mir. Ich bin 35, arbeite seit 11 Jahren in einer großen Stuttgarter Klinik. Seit 6 Jahren auf einer Anästhesiologischen Intensivstation mit 29 Betten. Die zweijährige Fachweiterbildung für Intensiv- und Anästehsiepflege habe ich 2018 erfolgreich abgeschlossen.

Seit 4 Wochen ist unser Sohn auf der Welt. Meine Freundin ist auch Fachkrankenpflegerin, arbeitet auf der gleichen Station und ist derzeit im Mutterschutz.
Somit macht mich die ganze Situation, trotz meiner beruflichen Abgeklärtheit, doch recht nervös. Schließlich habe ich jetzt auch eine Riesen Verantwortung meiner Familie gegenüber.

Ich kann hier natürlich nur über die Zustände in meiner Klinik sprechen. Pflegekräfte, Ärzte und auch Mitarbeiter des Rettungsdienstes kennen sich natürlich auch Klinikübergreifend. Deswegen schnappt man hier und da auch was aus anderen Häusern auf. Wenn das valide Infos sind werde ich die auch einflechten.

Zunächst, der Titel des Beitrags ist momentan eigentlich geschwindelt. Ich bin seit 13.02. nicht mehr arbeiten gewesen. Wegen der Geburt hatte ich Elternzeit, Urlaub und ein paar freie Tage. Ich hab aber ein paar mal dort vorbeigeschaut aufgrund von Projekten an denen ich beteiligt bin. Und ich habe auch viele Freunde die in der Pflege oder als Ärzte arbeiten. Da kriegt man vieles mit. Ab Mittwoch darf ich wieder zum Dienst. Übrigens dann mit dem ÖPNV.

Seit Mitte letzter Woche werden wir in einem Email newsletter direkt von unserem medizinischem Vorstand über die neuesten Entwicklungen informiert. Ich glaube meine Klinik tut derzeit alles was in ihrer Macht steht. Und auch die anderen Häuser hier in der Stadt.

Ich werde das grob zusammenfassen:

Alle geplanten OPs werden verschoben. Nur Operationen die absolut überlebenswichtig für den einzelnen sind werden gemacht. Ambulanzen fahren komplett runter.

Zwei normale Stationen wurden zu Corona Isolationsstationen umgerüstet. Eine komplette Intensivstation wird derzeit noch umgerüstet. Ältere Beatmungsgeräte haben wir auch noch auf Lager.

Unsere Betriebs-KITAs bleiben offen und es werden Möglichkeiten für ältere Kinder geschaffen.

Besuchsverbot für alle Angehörigen. Gibt nur ganz wenige Ausnahme.  

Fortbildungs- und Lehrveranstaltungen werden gestrichen.

Unser Casino wird umgestellt. Jemand überwacht vor dem Eingang die Händehygiene. Dürfen weniger Leute gleichzeitig rein.  

Unmengen an Material wurde beschafft (Zubehör für die Intensivstationen, Sauerstoff, Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel…)

Es gibt einen täglich tagenden Corona-Stab mit allen Vorständen der Stuttgarter Kliniken und dem Leiter des städtischen Gesundheitsamtes.

Die Stimmung unter den Beschäftigten (speziell der Pflege) soweit ich das durch meine Besuche beurteilen konnte, ist angespannt. Viele haben Angst, die jungen weniger um sich als um die Familie. Ältere Kollegen (und das sind leider viele) fallen jetzt schon aus da mit diversen Vorerkrankungen belastet. Mir fallen spontan ein dutzend Kollegen ein die Diabetes haben, Bluthochdruck, Asthma, Herzinfarkte hinter sich haben usw.
Die Pflege ist überaltert, und viele sind selber gesundheitlich angeschlagen. Das wird noch ein großes Problem.

Auch mache ich mir ein wenig Sorgen um die Moral der Kolleginnen und Kollegen. Viele sind durch die Verfehlungen der Politik der letzten Jahre dermaßen ausgebrannt. In meiner Klinik sind die Arbeitsbedingungen zum Großteil noch halbwegs vertretbar. Je nach Bereich mal mehr mal weniger. Aber ob wir auch so aufopferungsvoll kämpfen, wenn uns die Welle trifft, wie es die Italiener tun?

Pflegepersonal und Ärzte die in den letzten Wochen in Risikogebieten waren, und symptomfrei sind, dürfen übrigens normal arbeiten. Mit einem Standard Mundschutz. Den man auch noch möglichst selten wechseln soll. Was das über unsere Lage aussagt (im Allgemeinen) darf sich jeder selber denken.

Und solange die Menschen draußen fröhlich shoppen oder Eis essen gehen, können wir hier eh nur auf das unvermeidliche warten. Sorry, das klingt jetzt fast schon zu fatalistisch.

Morgen, spätestens übermorgen mehr zur Lage. Bis dahin bleibt gesund. Und daheim!


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