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Dann hier der komplette Text zu Deutschland - Ungarn flat
Autor: Inishmore
Datum:24.06.21 00:00
Antwort auf:Gruppe F: Deutschland - Ungarn, 23.6., 21 Uhr von Pezking

Wenn es denn wirklich noch in die Hose gehen sollte, war wenigstens das Lied bereits fertig. Der DFB ging vorbereitet und akribisch vor, was den offiziellen Abschiedssong für Jogi Löw anbelangte. Man setzte sich mit dem Who is who der deutschen Musiklandschaft in Kontakt, trotzdem gestaltete sich die Suche schwierig: Giovanni Zarella und Florian Silbereisen scheiterten wie gewohnt an der Mindestqualitätskontrolle, Helene Fischer gab an, doch bitte „nur über schöne und erfolgreiche Menschen“ singen zu wollen, Nena zögerte, da sich das dritte Auge des Bundestrainers noch nicht geöffnet hatte und der Dauerbewerber seit 2010, Till Lindemann in Selbstbegleitung an der tiefergestimmten Triangel, wollte urplötzlich nur noch auf russisch brunften.

Am Ende fiel die Wahl auf den langzeiterfahrenen Musiktöter aus Tötensen, Dieter Bohlen, der sich bereit erklärte, noch direkt im Anschluss an das Nachspiel-Interview am perlweißzahnweißen CASIO-Keyboard stehend seine Ballade zu trällern. Einen Song, der peinlich, stümperhaft und schlecht kopiert war und deshalb zu seinen besseren Werken zählen durfte. Stark angelehnt an den Udo Jürgens-Klassiker „Der Mann mit der Mütze geht nach Haus“, mit dem einst Helmut Schön nebst Gemahlin verzaubert worden waren, ging er so:


Die Hand sanft ans Gemächt gelegt
So sah’n wir dich sehr oft
Das Aus, das jeden schwer aufregt
Es kommt ganz unverhofft
Jetzt stehst du hier am Spielfeldrand
Der Ungar wollt‘ es mehr
Du brachtest uns um den Verstand
Einst liebten wir dich sehr
Der Mann ohne Scheitel geht nach Haus‘
Die lange Zeit desch Jogi, sie ist aus
Der Mann ohne Scheitel geht nach Haus‘

Und unseren Anschiss nimmst du mit
Mit uns fliegst du auch raus

Ich spiele ungern den Mahner und Spaßverderber, aber: Freunde, bei aller Euphorie nach dem Sieg über Portugal, das Ding ist noch nicht durch. Gegen die Ungarn wird es ein ganz anderes Spiel. Selbst der Jogi geht davon aus, dass es zäh werden kann. Die werden sich hinten reinstellen und hoffen, uns in der Nachspielzeit nach einem Eckball einen reinlullen zu können. Und für einen bis zwei sind wir hinten leider immer gut.

Mir gefällt es auch nicht, dass wir von dem traditionellen Vorrundenspiel-Performancewertigkeits-Ritual abgewichen sind. Erstes Spiel: aber hallo. Zweites Spiel: uiuiui bis bäh. Drittes Spiel: ausreichend. Das hatten wir zuletzt 2018 nicht durchgezogen und wir alle wissen, was dabei herausgekommen war. Auch blieb der DFB-Auswahl bisher das gute Gefühl der ersten Führung verwehrt, was immer beruhigend wirkt. Okay, ’54 beim letzten Aufeinandertreffen mit den Ungarn in einem Turnier lagen wir sogar 0:2 hinten, aber das ist halt arschlang her. Damals war ich noch nicht mal auf der Welt und ich bin alt!

Mein Ratschlag, den sogar Sebastian Schweinsteiger als edgy und gewagt einordnen würde: Zeitig in Führung gehen. Besser gleich 2:0, siehe Argumentation am Ende des vorletzten Absatzes. Gemütlich zusehen, wie dem Portugiesen die Düse geht, falls der Franzose ihm ein paar Törchen einschenkt, weil es dann nämlich knapp wird mit seiner Teilnahme am Achtelfinale. Sollte es für Müller nicht reichen, wird es Goretzka richten. Denn der sprach selbstbewusst die Worte „Ich traue mir die Rolle zu“ und das ist ein Satz, mit dem schon Arjen Robben und Neymar ihre Weltkarrieren gestartet haben. Damals ging es aber eher um ihre erste Begegnung mit einem Verteidigerbein.

Ihr wollt über Portugal gegen Frankreich informiert werden? Dann holt euch jetzt noch Magenta TV und hört das herzhafte Lachen der Bestellhotline-Mitarbeiter, denn das ist das letzte exklusive Spiel des Senders. Ansonsten: Komplett irrelevant, es sei denn, wir brauchen einen Sieg der Franzosen, um uns noch auf Platz 3 zu hieven. In dem Fall ist eh alle Hoffnung verloren.
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„Autokorso? Nein, lass mal gut sein, mir fehlt die Kraft zum Hupen“. Ein Spiel, das Körper und Geist geschlaucht hat. Burschen, ihr seid nochmal gerade so davongekommen.


Alles Sätze aus dem WM-Tagebuch nach dem Spiel Deutschland – Algerien 2014 und ich würde jeden davon wieder unterschreiben. Wenn jemand ein Drehbuch für diese Partie hätte konzipieren müssen, das als Katastrophenfilm funktionieren müsste, hätte man den frühen Rückstand nach 11 Minuten sicher reingeschrieben. Den glücklichen Ausgleich vielleicht auch, um Hoffnung zu erzeugen. Aber nach 15 SEKUNDEN direkt wieder hinten zu liegen, nee, das wäre dann doch zuviel gewesen.


Im Spiel nach vorne gemahnte viel an Südkorea 2018. Ich erinnere mich an eine frühe Torchance von Kimmich, den Kopfball von Hummels an die Latte und dann lange, lange nichts mehr. Ballgeschiebe um den Strafraum und wenn ein Deutscher was probierte, eine Einzelaktion, ein Vorbeilegen und Davonsprinten, klebte der Ball umgehend am Ungarn. Frustrierend für den Zuschauer und die DFB-Auswahl, aber ein riesiger Motivationspush für die Magyaren.


Am Ende hatten wir das Glück wie damals gegen Schweden 2018. Diesmal kein ekelig reingeschnibbelter Freistoß von Kross, sondern Goretzka, der glücklich aus dem Hintergrund schießen könnte, nein konnte und den Ball versenkte. Über die restlichen Minuten mit peinlichem Eckballtheater hüllen wir besser den Mantel des Schweigens.


Die Tabelle zeigt es nüchtern: 4 Punkte, zweiter Platz. Und dem Franzosen (der uns natürlich NICHT geholfen hat) gelang ja auch nur ein Remis gegen die wilden Ungarn. Also alles gut? Nein, das war ausreichend minus mit maximalem Dusel. Immerhin kann es gegen England nur wieder besser werden, denn die dürften sich im eigenen, gut ausgelasteten Wembley-Stadion nicht hinten reinstellen und auf Konter hoffen. Obwohl das eine Taktik wäre, mit der sie uns realistisch rauskicken könnten. Hoffentlich sagt es ihnen keiner.


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