Thema:
Re:Danke dir für die ausführliche Antwort. flat
Autor: king_erni
Datum:28.11.24 10:36
Antwort auf:Danke dir für die ausführliche Antwort. von suicuique

>>Hollywood ist gerade eh so kostensensibel wie schon lange nicht mehr. Erkennt man aktuell auch gut an der eher durchschnittlichen Ware, die da so geliefert wird.
>
>Sieht man auch daran dass die SFX im Schnitt (!) in der qualität mäßig bis massiv abgenommen haben.


Die Art und Weise wie SFX heutzutage genutzt wird hat sich krass verändert. Dass heisst nicht, dass reale Spezial-Effekte prinzipiell tot oder ausgestorben sind, es wurden nur Teile wie Matte Painting oder Miniature-Compositing, die früher analog in der Kamera "composed" wurden, jetzt digital als VFX umgesetzt. Es hat da quasi eine Digitalisierung vorher analog umgesetzter SFX statt gefunden. Gerade bei Matte Painting oder das Composen von Miniatur-Sets mit Modellen hat dies quasi zu einem enormen Quantensprung in der Qualität und Glaubwürdigkeit dieser Effekte geführt. Gerade Set-Extensions, die früher oft mit Hilfe von nachgezeichneten Bildern umgesetzt wurden, sahen noch nie besser aus als jetzt.  Es ist durchaus sinnvoll digitale Effekte zu nutzen. Und sie werden heute mehr denn je genutzt. Meistens fallen sie nicht auf, weil sie eben schon soo gut sind. VFX war nie besser als heute und zeitgleich war VFX auch nie schlechter als heute. Das ist paradox, aber logisch zugleich. Warum? Das kann dir ganz gut diese YouTube-Videoreihe erklären:

[https://www.youtube.com/watch?v=7ttG90raCNo]

>Klar gibts noch den Top Film mit Zucker Effekten. Aber eine erstaunliche anzahl von Filmen, selbst die mit höheren Budgets, sieht bemerkenswert billig aus.

Das liegt schlicht an zwei fundamentalen Irrglauben, wenn es um die Verwendung von VFX geht.

Der Erste ist, dass man in der Post nachher ja noch alles retten könne. Man sich also im Vorfeld nicht so sehr festlegen müsse, wie man etwas drehen möchte oder nicht. Und das ist schlicht falsch. Eine falsch ausgeleuchtete Szene in der VFX-Unit, die später mit realen Szenen der Main Unit zusammen gecomped werden sollen, bleibt eine falsch ausgeleuchtete Szene. Ein schlecht ausgeleuchteter Greenscreen  und eine miserable Lichtsetzung im Volume bleiben schlicht dass. Klar, Color Grading und Compositing kann da etwas retten, aber eben nicht alles. Und eben dieser Rest führt dann zu der wahrgenommenen Dissonanz, die beim Zuschauer eben diese VFX-Szene als "schlecht" aussehen lässt.

Die Passion für Perfektion und die Liebe zum Detail, die große Filmemacher wie Spielberg, Scorsese, Villeneuve, Nolan und vor allem Fincher ausmachen, wird oft komplett unterschätzt. Fincher* z.B. ist Meister dadrin überall dort VFX zu verwenden, wo realer Setbau, SFX oder die Nutzung der Original-Location sein Budget sprengen würden, dafür lässt er dann eine Szene so lange wiederholen bis alles perfekt ist. Und das kann dann schon mal der Take 59 sein. Bei Scorsese sieht das nicht anders aus. Grandiose Filme zu machen, dass ist grandioser Stress. Das ist harte Arbeit, immer noch.

Das können und wollen einige Regisseure, Produzenten oder Firmen Executives sich nicht leisten, oder sich dessen aussetzen. Da wird dann aus verschiedensten Gründen im Volume gedreht. Dabei geht es aber nicht darum, das beste Schauspiel, die beste Bildästhetik oder eine besondere Atmosphäre zu haben, sondern es geht schlicht um Convenience:

- Man ist unabhängig von allerlei Umwelteinflüssen wie Wetter, Lichtsituation oder besonderen topografischen Herausforderungen.
- Die Schauspieler müssen nicht teuer um die Welt geflogen werden. Sie sind nicht mehr drei bis sechs Monate für ein Projekt unterwegs, sondern nur noch ein bis drei Monate. Krankheits- und Unfallrisiken sind geringer.
- Die Arbeitsbedingungen in einem Studio sind einfacher, d.h. man kann in der gleichen Zeit mehr Material produzieren, das bedeutet wiederrum, dass man kürzere Drehzeiten hat.
- Aufwendiges Location-Scouting mit Tech-Recces und dergleichen fallen weg. Man kann sich die Kulisse vorher bequem im Volume anschauen und bei Nichtgefallen ändern.

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>IMO ein deutlicher Rückschritt zu vor 20 Jahren. Obgleich die Möglichkeiten massiv zugenommen haben. Oder vlt auch gerade deswegen ... (Unreal Engine Virtual Sets vlt?)
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Man büßt dafür aber Vieles ein, was Filmemachen ausmacht, u.a.:

- Der Raum hat keine natürliche Tiefe mehr. Es fehlt an Ebenen, wo sich ein Spiel aus Licht und Schatten ganz natürlich ergibt.
- Die Interaktion der Schauspieler mit der Kulisse ist deutlich eingeschränkt.
- Volumes sind in ihrer Größe stark begrenzt, sie eignen sich kaum für Außenaufnahmen, oder imposante Totalen. Die Räume werden dadurch enger, die Freiheiten der Schauspieler limitierter.
- Die Reproduktion von Farbe, vor allem vom Gamut (also der Saturation und Reinheit einzelner Farben) ist eine komplett andere als in natürlicher Umgebung. Digitale Hintergründ, sprich digitale Bilder sind linear, die Realität aber ist logarythmisch, d.h. die Hintergründe müssen aufwendig renaturalisiert werden.
- Oft werden im Nachhinein komplette Hintergründe ausgetauscht, dass ist deutlich aufwendiger und fehleranfälliger als z.B. bei einem Greenscreen-Replacement.

Und das ist halt der zweite Irrglaube, der mehr oder weniger halt aus dem ersten Irrglauben enstanden ist: Es ist dank VFX viel einfacher geworden Filme zu machen. Und das stimmt halt eben nur begrenzt. VFX hat vor allem die Möglichkeiten erweitert, ohne gute Planung, interessante Ideen, gute Drehbücher und visuelle Konzepte und die Hingabe, etwas außergewöhnliches schaffen zu wollen, entsteht aber immer noch kein guter Film.

Ein Film mit der visuellen Qualität eines "The Creator"** hätte es ohne moderne VFX zu diesem Budget zur Zeiten des Ur-StarWars niemals gegeben. Umgekehrt hätte es in den 70er Jahren ohne die Hingabe und das Talent der damaligen SFX-Crew von ILM auch keinen Film wie Episode IV in dieser optischen Qualität gegeben. Geschichte wiederholt sich manchmal eben doch, auch wenn heute die Effekte zu großen Teilen digital erzeugt werden. Und das hat ironischerweise wenig mit dem tatsächlichen Budget zu tun. Sowohl The Creator als auch Episode IV sind damals wie heute eher Filme mit kleinerem Budget gewesen. Was nach wie vor zählt ist eben die Passion, die Hingabe und das Können einen guten, sehr guten oder außergewöhnlichen Film machen zu wollen. Aber gerade das ist, was in den letzten 10 bis 20 Jahren immer mehr auf der Strecke geblieben ist. Man will halt Plan- und Kalkulierbarkeit mit möglichst geringem Risiko und Stress für alle Beteiligten. Blöd nur, wenn dabei das wichtigste auf der Strecke bliebt: der Film an sich.


*Zodiac VFX-Breakdown: [https://www.youtube.com/watch?v=xW2xhBSfFps]
Mindhunters VFX-Breakdown: [https://www.youtube.com/watch?v=Di4Byf1EzRE]
** The Creator VFX-Breakdown: [https://www.youtube.com/watch?v=qqQvGNSEFSk]


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