Thema:
Re:guter Film (Spoiler) flat
Autor: Xtant
Datum:18.05.21 13:34
Antwort auf:guter Film (Spoiler) von Wurzelgnom


>Gegen Ende war sie ja in einer geschlossenen Anstalt und es machte den Eindruck dass sie dort massiv Fortschritte macht mit dem Belohnungssystem usw.
>Warum man sie dann dennoch nach Kenia verfrachten will, war mir nicht ganz klar.


Kam ja gestern im Fernsehen. Und danach gab es noch eine Doku, die gerade diesen Punkt etwas klarer macht.

Das deutsche Kinder-/Jugendhilfesystem ist im Prinzip ein "Stufensystem". Ist ein Kind in der ersten, relativ "harmlosen" Stufe nicht brav/angepasst genug, geht es bewusst RUNTER in die nächste Stufe. Mit einer wohl sehr starken "Gottseidank ist sie weg"-Haltung der abgebenden Einrichtung.

Es wird eigentlich nur mit zunehmend drastischeren Mitteln an der Symptomatik herumgedoktert.

Die geschlossene Einrichtung, die du meinst, ist im Stufensystem schon ziemlich weit unten. Da kommen Kinder hin, um sie in _kurzer_ Zeit wieder "fit" für eine höhere Stufe zu machen. Wurde im Film glaube ich sogar gesagt, dass sie nicht länger bleiben kann, da nur für "Notfälle" gedacht.

Und genau diese Systematik, dass da ein Kind quasi bewusst auf eine lange Reise ins Verderben geschickt wird, hat ein renommierter Kinderpsychologe in dieser Doku als Irrsinn angeprangert.

>Und es war recht offensichtlich dass sie eine feste Bezugsperson brauchte, wieso wurde dann gesagt dass sie von xy weg müsste weil sie sich zu sehr bindet?
>das war doch die ganze Zeit das Problem?


Was genau meinst du? Von seiten der Betreuer muss diese Bindung trotzdem in gewissem Maße professionell-distanziert bleiben. Sie sind trotz allem keine Ersatz-Mama/Papa. Genau dieser Punkt wurde ja quasi mit dem "Höhepunkt" zu Schluß, als Benni das Baby kapert, thematisiert. Weil du da als Betreuer nur verlieren kannst.

>Oder sie haben aus den 3 Wochen im Wald geschlussfolgert dass es ihr gut tat, also ab nach Kenia.

Die drei Wochen im Wald taten ihr letztendlich ZU gut. Das ist IMO vielleicht auch eine der wenigen Stellen, wo der Film etwas arg überzeichnet. Einerseits die fast schon zu starke Bindung an Micha, die aber trotzdem übergangslos in die Ausbrüche wechselt (Kopf gegen Scheibe schlagen).
Wenn ich die Doku richtig verstanden habe (da wurde eine sehr ähnliche Wald-Maßnahme im Real-Life gezeigt), dann wäre das tatsächlich ein Punkt, an dem es mit einem Probanden bergauf gehen kann.

>Stark auch als Michael bewusst wurde dass es für ihn zu emotional wird, auch ein Punkt der schwierig ist.
>Als Mitarbeiter ist die Distanz wichtig, andererseits aber auch nicht gut für Benni die ihn später sogar Papa nennt.


Eben. Siehe oben. Diese extreme Bindung, die zudem anfängt, beidseitig zu werden, ist nicht gut.

Was mich am Film etwas überrascht hat: Benni ist ja (für mich erstaunlich) oft ein wirklich fröhliches, gut gelauntes Mädchen, das hilfsbereit, höflich etc. ist. Und auch ziemlich schlau bis intelligent; sie müsste eigentlich wissen, dass es nicht wirklich hilfreich ist, wenn sie den Kopf eines anderen Kindes auf die Eisfläche dotzt. Fast jeder mochte sie deswegen auch wirklich gern. Das machte diese ansatzlosen Wandel ins Negative ja umso schwerer verdaulich.

Mag jetzt ein Vorurteil sein, aber ich kann mir denken, dass diese typischen Problem-/Heimkinder an sich ein trostloseres Leben haben.

>Beim Ende bin ich etwas unschlüssig.
>Der Anfang zeigte eine gesplitterte Scheibe, das war der Bezug zum Titel, dass unser System nicht mit allem umgehen kann.
>Am Ende war es evtl. genau andersrum, der Riss könnte bedeuten dass das System Benni "gesprengt" hat.
>Guckt man genau hin rennt sie ja an einem Geländer entlang und scheint eine Rampe hochzulaufen um dann zu springen.
>Könnte man im ersten Augenblick als Selbstmord deuten.
>Oder es musste schlicht und einfach nur ein tolles Schlussbild sein.


Es ist ja letztendlich ein offenes Ende. Sowohl Freundin als auch ich haben es aber nicht als besonderes positiv aufgefasst. Benni fühlt sich zwar in dem Moment "frei", aber es steckt null Perpektive dahinter.


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