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Fazit flat
Autor: tom
Datum:25.02.21 17:38
Antwort auf:Wir Kinder vom Bahnhof Zoo [Serie, Amazon] von Fred LaBosch

Vornweg: Ich war gerade 12 (1993) als mir das Buch in die Hand gefallen ist. Meine ältere Schwester hatte es in der Schule gelesen und ich hab es mir dann geschnappt-ohne zu wissen was mich erwartet. Der Text auf der Rückseite hatte mich neugierig gemacht und zusätzlich trieb mich die "Lust" mehr über diese "Welt" zu erfahren, weil ein Familienangehöriger genau zu dieser Zeit leider ein Problem mit Heroin und Co hatte. Da dieses Thema immer tot geschwiegen wurde daheim - so gut es zumindest möglich war und mit mir nicht wirklich drüber geredet wurde (sei es aus Scham, Schutz oder ähnlichem sei mal dahingestellt), war sie endlich da- die Chance mehr darüber zu erfahren - fast aus "erster" Hand. Ich habe dieses Buch verschlungen und es hat sich bis heute in mein Hirn gebrannt. Dabei weiß ich normalerweise bei den meisten Spielen und Filmen schon nach wenigen Tagen kaum noch was über die Handlung.

Ein paar Jahre später (so 1995/1996) dürfte ich dann auch mal den Film gesehen haben, aber den fand ich nur so.... naja. Keine Ahnung ob ich zu schon zu abgestumpft war oder man den Film einfach bei Erscheinen hätte sehen müssen.

Gespannt waretete ich also auf das Erscheinen der Serie und ich wurde nicht enttäuscht, auch wenn ich die ersten zwei Folgen noch nicht ganz wusste, was ich davon halten soll.

Zu Beginn musste ich doch ein wenig damit kämpfen, dass die "Geschichte" zum einen nicht immer sooo nah am Buch erzählt wird - die Autoren nehmen an der ein oder anderen Stelle ein paar Änderungen vor und der Vater von Christiane macht seine schauspielerische Sache zwar gut, aber ist einfach zu jung. Das Altersproblem hatte ich dann auch mit den "Kindern" zu Beginn - die Schauspieler sind eben doch alle so um die 20 und nehmen der Sache ein bischen die Wucht der Lebensgeschichte von Christiane und Co. Das Buch bzw. die Erzählungen von Christiane sind ja nicht nur deshalb so schockierend weil es um Drogen geht, sondern auch in welchem Alter sich das alles abgespielt hat.

Wenn man sich aber damit mal angefreundet hat, bekommt man hier meiner Meinung nach eine der besten deutschen Serien zu sehen, die keineswegs davon lebt, dass es eben eine Serie über Drogen ist. Man merkt das sich alle Beteiligten der Sache bewusst sind, dass Drogen ein zweischneidiges Schwert sind und schafft es über 8 Folgen sehr gut, zu zeigen woher der Reiz für Drogen kommt bzw. Menschen ihr Glück in diesen suchen und zu Beginn finden, aber auch eben wohin das alles führen kann. Im Gegensatz zu Bobby O. finde ich auch nicht, dass der Härtegrad sehr ausgeprägt ist - es wird nie mehr als nötig gezeigt, aber das dafür sehr realistisch und nie zu detailliert oder übertrieben.

Die oft gescholtene Optik ist in meinen Augen ebenfalls eine Stärke der Serie.
Klar sitzen bei fast allen Beteiligten die Haare meißt zu gut, aber wirklich alle Darsteller spielen Ihre Rollen so gut, dass das kaum ins Gewicht fällt, weil sie es alle schaffen die aktuelle Gemütslage ausdrucksstark dem Zuschauer zu überbringen.
Abgesehen davon sorgt die ganze Umsetzung eben dafür, dass das gezeigte recht zeitlos ist. Die Serie könnte fast zu jederzeit spielen - was meiner Meinung nach auch so gewollt ist. Das Problem gab es damals und gibt es auch noch heute und die "Geschichten" laufen auch heute noch so ab wie damals.

Die Macher haben sich in meinen Augen für mehrere Sachen bewusst entschieden.
Sie wollten eine Serie über Drogen und Ihre Folgen für alle Beteiligten drehen und haben sich dann dafür entschieden eine Lebensgeschichte zu nehmen, die schon bekannt und immer noch aktuell ist und sich eben nicht nur auf eine Person konzentriert - weshalb der Titel "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" perfekt passt. Es ist eben nicht nur die Story von Christiane F. die hier gezeigt wird.

Und das ist eben das wirklich Gute an der Serie. Sie gibt allen Figuren genug Raum-sei es den Kindern, den Eltern, den Angehörigen. Sie zeigt wie es passiert, dass Menschen schleichend und ungewollt in diesen Herointeufelskreis rutschen und da eben nicht nur einer (der Süchtige) dran schuld hat.
Gleichzeitig zeigt die Serie, wie die Süchtigen mit sich selbst und Ihrem Umfeld zu kämpfen haben und wie unterschiedlich Angehörige damit umgehen und selbst überfordert/hilflos sind und/oder es Menschen gibt, die diese Situation ausnutzen. Gleichzeitig vermittelt die Serie auch sehr gut, wie es eben bei so "Freundschaften" zwischen Junkies abläuft.
Ich musste aufgrund der Darbietungen mehrmals Folgen unterbrechen, weil es so gut gespielt wird, dass sich in meinem Kopf Erinnerungen ausgebreitet haben über eine Zeit, die ich schon lang "vergessen" habe.

Die Serie urteilt eigentlich nie - sei es in positive oder negative Richtung - ws ich sehr angenehm fand. Sie zeigt realistisch, wie sich die "Karriere" von Heroinjunkies entwickelt und wie alle Beteiligten daran zu knabbern haben.

Ich wünschte die Serie würde auf mehr Resonnanz stoßen, damit wirklich jeder kapiert, dass es ganz schnell gehen kann in diesen Teufelskreis abzurutschen und sich das so gut wie keiner bewusst aussucht. Hinter jedem Junkie steckt deutlich mehr als ein Einzelschicksal - sei es für den Süchtigen selber als auch für die Angehörigen - und keiner davon hat sich das so ausgesucht. Ich denke viele Menschen würde es gut tuen, sich diese Serie (auch wenn ihm/ihr die Geschichte schon bekannt ist) mal zu Gemüte zu tun um die dahinterstehenden Schicksale (für den betroffenen und die Angehörigen) besser zu verstehen - dann würde es uns als Gesellschaft auch leichter fallen mit diesem Thema Sucht umzugehen und noch mehr zu helfen. Weil eins kann ich verraten - zumindest war es so in meiner Jugend - es ist schon teilweise erschreckend wie mit einem Menschen, der selber gar nicht der Süchtige in dem Fall ist, aber einfach nur im direktem Umfeld davon betroffen ist, umgegangen wird.

Wahrscheinlich hat bis hierhin fast eh keiner gelesen, aber es hat gut getan das mal niederzuschreiben und evtl. hat es ja doch das Interesse von dem ein oder anderen geweckt, der Serie mal eine Chance zu geben.


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