Thema:
Nein Nein Nein Nein Nein flat
Autor: token
Datum:07.10.20 07:14
Antwort auf:Re:Kom und sieh (Antikriegsfilm 1984) - Meisterwerk von Fritz Schober

>Das was Du als deprimierend beschreibst ist genau das was Krieg ist und was ein Antikriegsfilm zeigen muss. Sobald heroische Musik kommt und hurra brüllende Männer aufeinander zustürmen in einer epischen Schlacht wird die falsche Botschaft vermittelt (sofern der Film ein Antikriegsfilm sein will und kein Propagandamaterial um gelangweilte junge Männer für den Dienst an der Waffe zu begeistern).

Ich denke, nur weil ein Film eine Botschaft hat verpflichtet ihn das nicht diese in einer Art und Weise zu vermitteln die jegliches Fehlverständnis bei der Rezeption abschnürt. Viel mehr sehe ich genau dort wo das versucht wird viel eher das Stilmittel der Propaganda, denn Propaganda ist ja im Grunde eine Verzerrung der Realität die alles was die Botschaft nicht unterfüttert ausblendet oder ins Gegenteil verkehrt, und alles was die Botschaft stützt überzeichnet.

Um mal vom Thema Krieg abzuschwenken, mein diesbezügliches Lieblingsbeispiel ist Requiem for a dream. Es ist ganz klar ein Antidrogenfilm mit einer Antidrogenbotschaft. Und er macht genau das von dem du meinst dass es ein Film mit einer Botschaft machen müsste. Er schnürt jede Form möglicher Fehlinterpretation ab indem er sich ausschließlich auf den Horror fokussiert.
Das ist unmissverständlich, aber ich persönlich kann mit so einem Werk wenig anfangen. Denn die Tragödie Droge fußt auf einer Faszination welche der Film ausblendet. Seine Protagonisten nehmen alle Drogen und alle leiden ganz ganz fürchterlich in einer Tour de force die nur eine Richtung kennt und sich in einem überzeichneten Grauen der Superlative als Höhepunkt entlädt.
Die Botschaft kommt rüber. Drogen sind doof. Nehmt keine Drogen.

Das Problem. Ich kann das nicht ernst nehmen. Ich sage nicht dass der Film das so nicht machen DARF, dass ein Film über Drogen sich nicht um des Pudels Kern herumschummeln sollte, nämlich dass Menschen Drogen nehmen weil sie ihnen etwas geben was ihr gewöhnlicher Alltag so nicht für sie im Angebot hat. Sie nehmen sie nicht weil sie Masochisten sind, sie nehmen sie weil sie ihnen etwas geben, sie stürzen nicht ab weil sie auf einem Trip eine gute Zeit hatten, sie stürzen ab weil sie sich in der Abwärtsspirale einer Suchtkrankheit verlieren.

Ein konstruierter Kunstfilm dessen komplette Bank von Protagonisten kein greifbares Handlungsmotiv haben, verliert mich, ich erhalte da inhaltlich keinerlei Anreize etwas zu reflektieren und neue Perspektiven auf die Materie zu erfahren, weil mir jegliche Authentizität in der Behandlung der Materie fehlt. Ich verliere auch jeden empathischen Bezug zum Cast weil ich da keine Menschen mehr erkennen sondern nur Kunstfiguren deren Existenz und Erfahrungen einzig und allein als Tonträger für die "Botschaft" fungieren, auch sie sind nicht echt. Ich persönlich kann mit so einem Format von Frontalunterricht nichts anfangen.
Gleichwohl kann ich erkennen dass meine persönliche Rezeption eben genau das ist, eine persönliche Rezeption. Der Regisseur ist mir persönlich nichts schuldig, wenn er das für den Weg hält, so be it, wenn es dafür ein Publikum gibt dessen Rezeption konträr zu meiner ausfällt, dann ist auch das nur natürlich und nicht bemerkenswert.  
Das alles ist normal und kein Indiz dafür dass es ein cookbook für Botschaftenfilme geben müsste, deren Rezept sicherstellt dass keinerlei Fehlinterpretation gemacht werden kann und dennoch das Publikum in seiner Gesamtheit mitgenommen wird. Denn das ist per Definition gar nicht möglich.

Filme wie Apocalypse Now sind da anders gestrickt als sowas wie Requiem. Sie sind eher wie des Kaisers neue Kleider, sie schicken den Kaiser nackt auf die Straße, zeigen aber auch den Kaiser in seiner Eigenwahrnehmung. Und ja, allein diese Eigenwahrnehmung zu zeigen macht die Flanke einer Fehlinterpretation auf, dass ein Rezipient egal wie unsubtil das gemacht wird, die Eigenwahrnehmung des Kaisers teilt. Wir leben auch in den Zeiten solcher Kaiser, Trump in etwa steht nackt auf der Bühne, er ist eine leibhaftige Karikatur, sowas wie Chaplin mit Hitler gemacht hat, ist bei Trump schon nicht mehr möglich. Er ist Hitler und Chaplins Hitler in Personalunion, er ist nicht mehr karikierbar, nur noch imitierbar. Und die Massen jubeln. Man sieht das, sieht den Irrsinn dahinter in plain sight, und die Massen jubeln.

Ist es vor diesem Hintergrund wozu Spezies Mensch im Hinblick auf ihren vermeintlich gesunden Menschenverstand fähig ist erstaunlich, dass der Walkürenritt in Apocalypse Now einer Rezeption folgt die nicht merkt wie die Szene der propagandaistischen Eigenwahrnehmung des Überfalls die Hose runterzieht? Nein. Das ist nicht zu vermeiden. Nichtsdestotrotz kann man einem Macher imo nicht vorwerfen dass er das Unschaffbare nicht schafft, denn wie um Himmels Willen soll man denn bitte eine Eigenwahrnehmung die ein wichtiges Fundament der Tragödie Krieg, nämlich dass sich die Krieger losgelöst von Fronten als Helden begreifen, in ihrem Irrsinn entlarven, ohne diesen Irrsinn auch zu zeigen? Soll sie bei einem der wichtigsten Bausteine der Natur eines Kriegs wegschauen, nur weil dieser Baustein auch funktioniert?

Was wir in dieser Szene sehen ist jedenfalls alles andere als subtil. Wir starten mit einer Helikopterstaffel die sich zu Wagnermucke aufpumpt und in Stimmung bringt, so wie sich auch der Held in "Der stählerne Adler" in Stimmung bringt indem er sich im Kampfjet die Kopfhörer überzieht. Aber in Apocalypse Now passiert etwas was im Hurra-wir-ficken-den-entmenschlichten-Kanonenfutter-Feind-zu-treibender-Mucke nicht passiert. Ein Gegenschnitt auf eine Idylle in der Menschen ihrem Tagewerk nachgehen. Eine wundervolle Urlaubsatmosphäre und Wagner ist auf Mute. Wir sehen Kinder. KINDER. Die auf einem Platz spielen und plötzlich zusammengetrieben werden und sich nach offenbar schon einstudiertem Muster mit Sammeln, Schlange bilden, und abziehen, in Sicherheit bringen müssen, sehen wie langsam Panik bei Zivilisten aufkeimt.

Und als der Angriff startet wird das Zusammenspiel dieser Welten von Menschen die abgehen und Ballerparty machen und sich als Helden verstehen, begleitet von Wagners heroisch donnernden Klängen mit Gegenschnitten wo maßgeblich irgendwelche unbewaffneten Bauern mit einem Ochsenkarren durch einen brutalen Kugelhagel türmen während man in wenigen versprengten MG-Nestern in einer aussichtslosen Gegenwehr übt und maßgeblich Zivilisten in Close-Ups niedergemäht werden zu einem Konglomerat was hochgradig verstörend ist, sich hierbei aber nicht um des Pudels Kern herummogelt. Nämlich wie so etwas gleichermaßen fürchterliches wie hochgradig beklopptes überhaupt passieren kann.  

Es ist kaum möglich diese Szene als Hurra-Patriotismus zu begreifen, ohne in der Lage zu sein die entmenschlichte Perspektive der Soldaten zu teilen. Wenn du das geil finden möchtest wie Zivilisten in der Pampa niedergemäht werden, dann geht das eben nur wenn du beim Gegenschnitt auf 30 Kinder nicht 30 Kinder erkennen kannst sondern die Brut des Teufels, beim Gegenschnitt auf einen Bauer der einen Karren zieht keinen Bauer der einen Karren zieht sondern einen Komplizen des Feindes. Und das ist auch schon die Pointe der ganzen Szene die einem mit dem Arsch ins Gesicht springt, und dass es ein Publikum gibt dass sich selbst unter so einem Ansprung wegzuducken weiß ist eben auch schon einer der Dreh- und Angelpunkte der Tragödie Krieg welche Apocalypse Now beleuchtet.
Apocalypse Now ist eine einzige Achterbahnfahrt durch entmenschlichten Wahnsinn.

Für mich persönlich ist speziell Apocalypse Now die Mutter aller Antikriegsfilme, ein Streifen der mich selbst nach 20 Jahren noch beschäftigt.
Mit dem Höhepunkt eines Kurtz der sich erklärt, und darin deswegen so unbequem und schockierend ist, weil seine Argumentation blasenfrei ist. Sie ist absolut logisch, sie hat keinen rationalen Angriffspunkt. Alles was man Kurtz entgegenwerfen kann ist dass diese Logik entmenschlichter Wahnsinn ist. Und auch darauf hat Kurtz eine Antwort, oder vielmehr eine rhetorische Frage. Gerade die nüchterne Konsequenz in der Kurtz das Konzept Krieg zu Ende denkt mit all seinen logischen Schlüssen ist ein Schmerz und Irrsinn der auch nahtlos auf den Aufsatzpunkt dieses Konzepts angewandt werden kann.

Und damit ist für mich alles gesagt was es zu sagen gibt. Ich sehe keinen anderen Film der sich in so einer Konsequenz und verstörenden und unbequemen Brillanz bis zu den Wurzeln durchbuddelt, der sich nicht darauf reduziert den Schrecken der Symptome zu inszenieren sondern wirklich da hin geht wo es richtig weh tut, kein einfacher Trip durch die Hölle sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine Reise ins Herz der Finsternis.

Und btw noch ein kurzes Nachwort zum Vid das quasi als Aufsatzpunkt für die Kritik an der Szene angeführt wird.
Wenn ein Autor mit einem Kritikpunkt beginnt den er auf den Walkürenritt anwendet, aber die Illustration dieses Kritikpunkts nicht an der Szene selbst leistet sondern nahtlos zu fucking Pearl Harbor umschwenkt um sich an diesem abzuarbeiten, ist imo schon ein ziemlich krasser "Merkste selber, ne?"-Moment.


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