Thema:
Re:#35 Lawrence of Arabia (1963) flat
Autor: Ness
Datum:03.09.20 14:04
Antwort auf:#35 Lawrence of Arabia (1963) von Raul

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>>Für mich ist Lawrence of Araibia einer der besten Filme aller Zeiten und sehr wahrscheinlich sogar der beste der älteren Monumentalfilme. Unverzeihlich, dass du nicht mal die großartige Filmmusik von Maurice Jarre erwähnt hast! [https://www.youtube.com/watch?v=RuxHLzwlDY4]
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>Auch einer meiner Lieblingsfilme, aber alle Kritikpunkte treffen. Nur fand ich Lawrence eben spannender als DJS. Die an sich gute Musik kleistert den Film so dermaßen zu, dass es in dem Außmaß heute schlicht kaum noch erträglich ist.
>Sie kommt zu oft und vor allem ist sie fast immer zu laut.


Natürlich darf jeder seine Meinung zu dem Film haben, aber ich teile die genannten Kritikpunkte größtenteils überhaupt nicht. Im Gegenteil, Lawrence of Arabia ist einer der ganz wenigen Filme, denen ich ohne zu zögern eine 10/10 geben würde. Das heißt nicht, dass der Film perfekt ist und jeder Person gefallen muss, aber ich empfinde ihn - für das was der Film sein will - unglaublich rund und in allen Bereichen herausragend. Gut, das sollen hier keine wirklichen Reviews sein, aber die ganzen großartigen Bestandteile (Szenenaufbau, Schauspieler, Kamera, etc.) des Films werden hier quasi in einem Nebensatz abgehandelt und maximal ansatzweise gewürdigt, weshalb ich hier noch paar Worte dazu verlieren möchte.

Ja, der Film ist lang, aber das ist bei Monumentalfilmen die Regel und es passiert auch extrem viel in dem Film. Lawrence of Arabia ist für einen Film dieser Art aus der Zeit sogar sagenhaft rasant. Der Film schafft den schwierigen Spagat, viele Ereignisse in der vorhandenen Zeit zu behandeln und sich zugleich an einigen Stellen trotzdem die erforderliche Zeit zu nehmen, um Szenen wirken zu lassen, z. B. wenn Sherif Ali zum Brunnen reitet oder bei der Durchquerung der Wüste. Der Film ist zudem sehr fokussiert und weiß was er sein will: ein Abenteuerepos über Lawrence von Arabien. Es wird auf unnötige Nebenszenen und zusätzliches Gedöns verzichtet, stattdessen haben auch eher unscheinbare Szenen eine hohe Bedeutung für das Gesamtbild. Auch überkleistert die Musik manche Szenen im Film nicht, die hervorragende Musik trägt erst ganze Szenen. An einigen Stellen wird bewusst die Musik in den Vordergrund gestellt (was man als zu laut empfinden kann), um eine bestimmte Wirkung zu erzielen (z. B. um die Wüste als Schauplatz stärker zu charakterisieren). Der Film strahlt dabei trotz des Alters noch immer eine gewisse Erhabenheit aus und ist im Vergleich zu anderen Filmen dieser Art aus der Zeit sehr gut gealtert.

Klar, der Film dreht sich nun mal um eine bestimmte Person, d. h. wenn man die Figur nicht mag, dann wird man nur schwer Zugang zum Film finden. Allerdings ist Lawrence eben durchaus auch im Film eine starke und vielschichtige Person, die über die üblichen Hauptfiguren in Monumentalfilmen geht und die Schauspielleistung von O’Toole ist hierbei wirklich hervorragend. Das liegt schon daran, dass Lawrence eigentlich mehr Akademiker als Soldat war und seine Sichtweise auf den Krieg dadurch eine ganz andere ist als die der üblichen Personen des Militärs. Lawrence ist am Anfang ein wenig soldatisch auftretender Intellektueller, der durch Erfolge zum Anführer zum Anführer wird und sich selbst zunehmend mit der anderen Kultur identifiziert. Allerdings überschätzt er sich durch die gefeierten Erfolge zunehmend, erleidet Rückschläge (z. B. Tod der Waisenjungen, Mord zur Erhaltung des Friedens zwischen den verschiedenen Stämmen sowie Gefangenschaft) und ist innerlich zerrissen, da er seine Zugehörigkeit zu beiden Seiten (Engländer und Araber) hinterfragt. Am Ende muss Lawrence desillusioniert feststellen, dass er eigentlich von beiden Seiten nur benutzt wurde und seine ganzen Bemühungen für ein unabhängiges Arabien wohl kaum etwas gebracht haben, da die Parteien für eine gemeinsame Regierung zu zerstritten sind. Da passiert schon einiges an Tragik und Charakterentwicklung, die über "Er passt sich dem Lebensstil der Beduinen an und wird zum bewunderten Anführer. Mehr muss man nicht wissen." hinausgeht.

Man könnte jetzt auch noch deutlich mehr zu dem Film schreiben und auf die recht clever behandelten Themen im Film eingehen, z. B. Fatalismus und „Nothing is written!“ oder auf das fantastische Zusammenspiel zwischen Lawrence und der Wüste als Landschaft. So ist es schon genial, wie der Film eine eher unspannende Landschaft so gekonnt und interessant in Szene setzt. Allerdings will ich eigentlich nur paar anerkennende Worte zum Film äußern, da er mir ein bisschen unter Wert verkauft wurde. Um es daher kurz zu machen, man darf natürlich anderer Meinung sein, aber der Film ist für mich ein zeitloses Meisterwerk wie kaum ein anderer Film, der hier bislang behandelt wurde.


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