Thema:
Ja, doch, irgendwie ziemlich geil flat
Autor: thestraightedge
Datum:15.12.19 10:39
Antwort auf:6 Underground [Netflix] von Wurzelgnom

Ich finde ja bereits diverse Filme von Bay wirklich gut - also gut in dem Sinne, dass ich es fast als völlig eigenständige Filmkategorie betrachte. Das ist oft alles so dermaßen over the top und bewusst auch selbstironisch, dass v.a. aufgrund der exzellenten Schauwerte, sofern man Bays Optik mag, ein abgefahrener Flow entsteht, dem ich mich gerne hingebe. Das ist wie ein Videoclip, mit aller Kurzfrist-Ästhetik, die Bay über Spielfilmlänge exerziert und sich dabei wenig um übliche Konventionen des Filmemachens schert.

Das macht 6U bereits in den ersten 20 Minuten uber-deutlich. Die Eröffnungssequenz mi der Verfolgungsjagd ist komplett durchgeknallt, und anders als früher opfert Bay in kompletter Hingabe und gewissermaßen respektlos auch noch gleich 2 Dutzend Gegner. Die krabbelten früher aus den Wracks - bei 6U werden sie überfahren, zerdreht, erschossen. Das zieht sich durch den kompletten Film durch: immer wird explizit Gewalt angewendet, aber Bay legt seinen Lenseflare-Abendsonne-Hochglangzfilter drüber, und schon wirkt es stilistisch wie etwas völlig anderes. Es plätschert so an einem ab, und das ist irgendwie gut so, wenn man erwachsen und ausgeglichen ist. Ich hatte den Eindruck, er hat sich hier vom Zeitgeist beeinflussen lassen, und Elemente aus Hardcore Henry, The Raid und anderen erfolgreichen Filmen einfließen lassen. Selbst Zivilisten zerlegts dutzendfach. Dadurch entsteht auch mehr Wucht als früher. Auch die Auto-Action ist tlw. verdammt kernig - wie es da den Pickup in Zeitlupe zerlegt und die Typen rausfliegen: Wow!

Natürlich ist Bay oft geschmacklos: sexistische Einstellungen und Sprüche gibts Dutzendfach. Megan Fox als Motorrad-Monteurin in Transformers 2 lässt grüßen. Auch hier finde ich aber, dass man mit erwachsenem Abstand die Unterhosen-Szenen und drapierten Topmodels akzeptieren kann. Lustigerweise meinte Frau bei einer der Szenen "sieht halt auch einfach gut aus".

Auch an anderen Stellen driftet er in Geschmacklosigkeiten ab: einen Giftgasangriff derart poliert zu zeigen ist schon bekloppt. Aber nochmal: wir sind alle Erwachsen und haben Hirn.

Dafür beweist er an anderer Stelle wieder sein imo einzigartiges Talent: der Angriff im Rückblick in Afghanistan. Achtet mal, wie die Explosion des Vans auf dem Marktplatz in der Totale installiert ist, welche Kameraperspektiven er einnummt, und welcher Aufwand für eine 10 Sekunden-Szene betrieben wird. Hammer! Ich fand übrigens Wackelkamera und Schnittgewitter DEUTLICH weniger schlimm als bei VIELEN anderen Actionfilmen der letzten Jahre. Insgesamt wirkt der Film teurer als fast alles, was ich in den letzten Jahren gesehen habe - auch, weil Bay immer noch sehr viel auf Practical Effects setzt, was ein riesiger, imo nicht ausreichend gewürdigter Vorteil ist. Da, wo andere aus Budgetzwängen hässlichen CGI-Explosionen platzieren oder Autos sich auf Videospiel-Zwischensequenz-Niveau zerlegen, sprengt Bay tatsächlich Gebäude, zerlegt einen Fuhrpark in der Größe von dem Lichtensteins, und mietet mal eben offenbar alle Top Locations der Welt, inklusive einer 100m Superyacht (kannste chartern: 1.200.000 USD pro Woche).

Die Schauplätze sind genauso gigantomanisch wie alles andere. Dass er den F1-Track aus Abu Dhabi nach Las Vegas verlegt ist dann auch egal. Style over Reality. Es muss alles mit teuren Heliüberflügen ausgeschöpft werden und übertrieben wirken. Dann gibts Hochhäuser, abgefahrene Penthäuser (gibts das wirklich?!), besagte Superyacht usw. Dazu ein who is who der angesagten Popmusik - auch hier wird poliert bis zum Ende. Die Cast ist nicht allzu relevant, aber imo gelungen - v.a. RR passt erwartungsgemäß perfekt in die Rolle.

Das, was man dem Film schon vorwerfen kann, ist ein konfuses Script. Das ist aber imo nicht Bays Problem, sondern Problem des Deadpool-Teams, welches hier geschrieben und sich tlw. v.a. wegen der Zeitsprünge verhaspelt hat.

Unten schrieb jemand sowas wie: Bay zeigt Euch doch eh allen nur noch den Mittelfinger. Der denkt sich: ich mach was ich will, weil ichs kann. Vielleicht ist da was dran. Es ist ja nicht so, dass der Film nicht genau die Kritik erhält, die absehbar war. Mit seinem Mitteln wäre es einfach gewesen, den ein bisschen Richtung Ernsthaftigkeit oder Gehalt zu tunen. Wollte er aber nicht. Es soll sein wie es ist. Wenn nicht hätte er es geändert.

Ansonsten bleibt ein furioses, over the top Bro-Movie zwschen Grip Motorsportmagazin und Playboy, gemixt mit einer Runde Black (der Gunporn Shooter auf der 360), einem 80er Hair Metal Videoclip und einem Lavazza-Werbefilm. Und das war für 2 Stunden komplett iO und sogar ziemlich unterhaltsam und gut anzuschauen.

Ach ja: die Kritiken sind erwartungsgemäß, aber es sind doch einige dabei, die imo recht zutreffend sind. Ich schmunzelte vorhin über "6 Underground... is a riotous and gleefully delirious assault on the senses. It is vulgar. It is absurd. And it is completely enthralling." Yo. Ansonsten arbeiten sich viele an der Message ab, also dass ein weißer Heiland einzelne Probleme lösen will statt sich der Wurzel des Übels (das politische System) zu widmen - nun, das ist imo bescheuert. Ich habe da oft den Eindruck, dass viele Kritiker eher das schreiben was von ihnen erwartet wird, sich also an sowas abarbeiten, was ich unfair finde.

7,5/10 Blitzexplosionszeitlupen.


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