Thema:
Der Stoff aus dem Träume sind. (SPOILER!) flat
Autor: Karotte
Datum:31.10.19 09:24
Antwort auf:NGE Neon genesis Evangelion / 新世紀エヴァンゲリオン von pacmanamcap

Wow... ich musste das Ganze erstmal ein wenig sacken lassen. ;o)

Mir war echt nicht klar, wie sehr ich „alte“ Animes vermisst habe.

Das fängt schon bei dem famosen Opening an. Eine richtige Melodie mit kontrollierter Dynamik und schönem Gesang stimmt auf ein großes Abenteuer ein. Kein Vergleich zu dem unförmigen, hysterischen Geschrammel, das einen heutzutage darum anbettelt, den Skipbutton zu drücken. Die gesamte Serie über bleibt die Musik auf hohem Niveau und hat einen enormen Wiedererkennungswert.

Dann diese extrem liebevoll gestaltete Welt, in der alles gleichzeitig over the top und doch irgendwie greifbar ist. Wolkenkratzer, die hoch- und runterfahren und im Gefahrmodus von der „Decke“ einer hohlen Welt herabhängen. Andere Gebäude, die im Konfliktfall ausgefahren werden, weil sie als Waffenlager für die Mechs dienen. Riesige Mechs, die Übermenschliches leisten, aber gleichzeitig an fetten Stromkabeln hängen müssen, weil es zu gefährlich wäre, einer Nahkampfeinheit einen eigenen Reaktor einzupflanzen. Und wenn das Kabel rausfatzt? Dann sorgen integrierte Düsen im Plug dazu, dass dessen Fall verlangsamt wird und er nicht am Boden zerschellt. Irre.

Außerdem zieht NGE alle Register erlesener Nippon-Madness: Irrsinnige Dimensionen und Maßstäbe, Religiöse Termini und Symbolik, Verschmelzung von Mensch und Maschine, endlos verschlungene persönliche Schicksale, finstere Strippenzieher einer (buddhistischen?) Weltverschwörung, Deutschfetisch (BAUMKUCHEN!) und ein Pinguin, der null Sinn ergibt. Ich kann von sowas nicht genug bekommen.

Und ich liebe Geschichten, in denen Kids die Welt retten oder zumindest in titanische Abenteuer hineingezogen werden — nicht umsonst gehören „Nadia - The Secret of Blue Water“ und „Last Exile“ zu meinen All-time Faves.

Aber NGE geht noch einen Schritt weiter. Hier wird ausufernd thematisiert, was in vergleichbaren Abenteuern höchstens am Rande angeschnitten wird: Wie die Kids an ihrem Weltenretterschicksal psychisch zerbrechen.

Aus dieser Sicht ergibt auch das kontroverse Ende Sinn. Im Zentrum des Geschehens steht weniger die Schlacht gegen die Angels an sich, sondern der Geisteszustand des Protagonisten. Wobei ich die letzten beiden Folgen und „End of Evangelion“ weniger als sich gegenseitig ausschließend, sondern eher als sich gegenseitig ergänzend einstufen würde.

Das Problem der beiden Folgen ist imho, dass man sie zwar für ihre Radikalität feiern kann, sie aber rein erzählerisch nicht zum Rest der Serie passen. Hätte man die gesamte Geschichte bis zu dem Punkt so erzählt, dass wir nur das mitbekommen, was Shinji erfährt, könnte man den Schritt gehen, die Auflösung der Story komplett hinter der Darstellung seiner Psychosen zurückzustellen.

Tatsächlich zeigt uns die Serie aber tonnenweise Konflikte und finstere Machenschaften, von denen Shinji gar nichts weiß. Für mich gehört es vor diesem Hintergrund einfach zur Verantwortung der Kreativen, diesem eingeschlagenen Erzählstil dann auch treu zu bleiben, und die ganzen Nebenstränge aufzulösen. Dies erfüllen sie mit dem Film.

Vielleicht liegt es an meiner eingangs erwähnten Vorliebe für japanische Produktionen aus der Zeit, aber mich hat die Serie voll abgeholt und ich bin Netflix schwer dankbar dafür, diesen Klassiker so leicht zugänglich gemacht zu haben.

Jetzt bin ich gespannt auf 2020, wenn (vermutlich) der abschließende Teil von „Rebuild of Evangelion“ erscheint. Laut Serienschöpfer Anno soll dieses Projekt ja insgesamt die „wahre Vision“ von Evangelion widerspiegeln, frei von den Budget- und Deadline-Zwängen, mit denen sich das Studio bei den Arbeiten an der Serie hat rumschlagen müssen.

Weiß man eigentlich, ob die vier „Rebuild“-Filme auch auf Netflix kommen werden?


< antworten >