Thema:
Re:Toller Hauptdarsteller, schwaches Drehbuch. (SPOILER!) flat
Autor: tHE rEAL bRONCO 2ND
Datum:11.10.19 15:49
Antwort auf:Toller Hauptdarsteller, schwaches Drehbuch. (SPOILER!) von Pezking

>Zunächst einmal finde ich es großartig, dass ein Hollywood-Studio bereit war, eine Comicverfilmung mit einem sehr prominenten Charakter als leise Charakterstudie ohne nennenswerte Actionszenen auf die Leinwand zu bringen.

Ich persönlich finde es saustark, dass es mal einen Comic-Film gibt, der sich nicht wie eine banale Adaption eines Ausgangsstoffes anfühlt. Stattdessen werden die Stärken des Mediums Film genutzt, ohne allzu sehr auf die gleichen Distributionsfunktionen einer Vorlage zu setzen (Plot). Sprich: Der Film funktioniert eigenständig, man muss kein Comic-Fan sein um den Film zu mögen.

>Joaquin Phoenix spielt sich als "Joker" gefühlt achtmal um die Erdachse. Der legt da eine zweistündige Tour de Force hin, die ihresgleichen sucht. Eine wahnsinnig beeindruckende Leistung. Selten habe ich es erlebt, dass ein Schauspieler ein mittelmäßiges Script derart aufwertet.

Ich fand das Script eigentlich ganz gut, muss ich sagen. Phoenix ist natürlich herausragend aber der Rest ist auch nicht zu verachten. Speziell die Mutter und der TV Host wurden sehr gut gespielt, imo.

>Und da sind wir schon beim Haken an der ganzen Sache: Dass der Film kaum einen nennenswerten Plot hat, finde ich nicht schlimm. Manchmal mag ich das sogar. Dass Arthur Fleck jedoch kaum einen Charakter hat - das wäre normalerweise fatal für so einen Film. Hier wird es jedoch durch die Arbeit von Phoenix halbwegs kompensiert.

Die Transformation vom mental lädierten Verlierer bis zum unfreiwilligen Symbol einer Bürgerrevolte hat das Drehbuch gut abgedeckt. Mehr musste ich gar nicht über den Charakter wissen, was uns Phillips an Einblick in die Psyche des Protagonisten gewährt ist genug um die Motivation seiner Handlungen nachzuvollziehen. Ich halte das Drehbuch nicht für perfekt, bei weitem nicht, aber von keinem Plot (bzw. keinem nennenswerten Plot) zu sprechen halte ich für zu negativ formuliert.

>Hinzu kommt, dass der Film dem Publikum zu wenig zutraut. Regelrecht verärgert war ich, als seine imaginäre Beziehung zu Zazie Beetz als solche enttarnt wird - der Flashback war komplett überflüssig, da fühlte ich mich als Zuschauer echt unterschätzt. Irgendwie ist alles durchgehend zu dick und zu oberflächlich aufgetragen. Für Tiefe sorgt nur das Mienenspiel von Phoenix.

Jepp, da stimme ich dir absolut zu. Da hat es wie in einigen Szenen ein wenig an Finesse gefehlt.

>Unglücklich fand ich auch die Songauswahl. Der OST war jedoch ok.

Geschmacksache - ich fand die Songauswahl spitze.

>Miserabel war leider auch das Publikum. Das war zwar weitgehend ruhig. Der Saal war auch rappelvoll und niemand ist früher gegangen. Aber man suchte verzweifelt nach Punkten zum gemeinsamen Beömmeln - dabei war an diesem Film echt gar nichts lustig. Besonders auffällig war es, das Joker seinen kleinwüchsigen Ex-Kollegen laufen ließ. Als der nicht an den Türriegel kam, lachten sich alle gezwungen kaputt. Obwohl nebendran eine abgestochene/erschlagene Leiche lag.

Kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Die Tötung des Ex-Kollegen war brutal, das beste Wort das mir dazu einfällt ist "visceral", also ich fand die Gewaltspitze des ansonsten recht gemäßigten Films richtig fies. Und danach habe ich bei der Szene mit dem Türriegel auch gelacht aber nicht weil ich es urkomisch fand sondern weil Phillips genau wusste, dass es nach der Gewaltspitze eine Art Ventil für das Publikum braucht um die Szene davor zu verarbeiten. Das hat imo genau gepasst und verstehe nicht, warum man diese Reaktion dem Publikum anlasten sollte?

>Am Ende wurde dann applaudiert. Erlebe ich im Kino nur sehr selten, finde ich dort immer latent schräg - und gestern irgendwie besonders.

Ja, war bei mir letzte Woche genauso. Dieses Applaudieren werde ich nie verstehen.

>Nur wenn man so offensichtlich "Taxi Driver 2" sein will, dann bin ich halt auch versucht, Kritikermaßstäbe wie bei einem neuen Scorsese anzulegen...und Todd Phillips ist alles, nur nicht der nächste Scorsese.

So hart will ich nicht sein. Phillips hat einen tollen Job gemacht. Ein Scorsese mag er nicht sein aber heutzutage ist ja nicht mal mehr Scorsese ein Scorsese ;-)

Da fällt mir ein: Muss mir unbedingt wieder mal The King of Comedy ansehen...


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