Thema:
[Netflix] Neon Genesis Evangelion flat
Autor: Pezking
Datum:21.06.19 09:28
Antwort auf:NGE Neon genesis Evangelion / 新世紀エヴァンゲリオン von pacmanamcap

[https://www.netflix.com/title/81033445]

Heute ist es endlich soweit: Mit "Neon Genesis Evangelion" landet eine der bekanntesten und einflussreichsten Anime-Serien überhaupt bei Netflix.

Erstmals ausgestrahlt wurde die Serie 1995/1996, gefolgt von zunächst zwei Kinofilmen. Es folgten weltweite Veröffentlichungen auf VHS und DVD. Die Blu-ray-Fassung blieb jedoch Japan vorenthalten, und auch auf Streamingdiensten war die Serie bislang nicht verfügbar. Der heutige Netflix-Release stellt somit die erste Wiederveröffentlichung im Westen seit den (schon lange sündhaft teuren) Platinum-Collection-DVDs aus den Jahren 2004 und 2005 dar.

Worum geht es?

Evangelion spielt in einem post-apokalyptischen Jahr 2015. 15 Jahre zuvor hat der "Second Impact" die halbe Weltbevölkerung ausgerottet, und nun greifen riesige Monster (= "Engel") die Menschheit an. Shiji Ikari wird von seinem entfremdeten Vater nach Tokyo-3 gerufen, um als Pilot eines riesigen Kampfroboters den Kampf gegen die Engel aufzunehmen. Das ganze ist verstrickt in einem verwirrenden Plot aus Politik, Verschwörungen und Geheimorganisationen, garniert mit unzähligen religiösen Referenzen. Shinji wohnt ab sofort bei seiner heißen Vorgesetzten Misato Katsuragi, und zwei weitere Pilotinnen nehmen neben ihm den Kampf auf.

So weit, so gewöhnlich.

Denn das ist nur die halbe Geschichte, und abgesehen vom höchst ikonischen Design liegt das eigentliche Hauptaugenmerk von Evangelion ganz woanders:

Die Serie nimmt sämtliche Anime-Tropes komplett auseinander. Die kindlichen Piloten sind allesamt Fälle für den Psychiater. Keiner will wirklich da sein, wo er gerade ist. Sie leiden unter PTSD und stellen sich permanent tiefgründige Fragen über ihre Existenz und ihren Wert. Shinji hegt permanent Fluchtgedanken. Familiäre Bande sind komplett im Eimer. Leichtherzige Comic-Relief-Szenen wechseln sich mit dem totalen Horror ab. Shinji lebt in einem Harem - aber der könnte in der Praxis kaum weniger dem entsprechen, was sich der gemeine Otaku so in seinem Träumen vorstellt.

Hideaki Anno, der Schöpfer der Serie, hat in Evangelion sein ganzes Leben verarbeitet und ausgebreitet. Er selbst war Anfang der Achtziger ein halbwegs produktiver Proto-Otaku, er zählt zu den Gründungsmitgliedern des Studios Gainax. Nach dem Dreh von "The Secret of Blue Water" fiel er in eine schwere, vierjährige Depression und brachte gar nichts mehr zustande. Man könnte Evangelion durchaus als animierte Selbsttherapie vor aller Augen bezeichnen.

Auf Netflix erscheinen nun die TV-Serie mit 26 Folgen, sowie die Filme "Death (true)²" (eine Zusammenfassung der Serie) und "The End of Evangelion".

Die letzten beiden Folgen der TV-Serie sind sehr umstritten. Ich habe sie auf Anhieb geliebt, aber mal so spoilerfrei wie möglich gesagt: Stilistisch brechen sie stark mit der übrigen Serie.

Die Popularität der Serie ging vor 24 Jahren auf Anhieb durchs Dach, und das Serienende förderte die schlechteste Seite der Fanszene zutage: Anno wurde zugeschüttet mit Hassbriefen, Internethäme und Morddrohungen.

Neon Genesis Evangelion ist bewusst und vorsätzlich eine im Endeffekt eher vage Erzählung, die dem Zuschauer viel Platz zur eigenen Interpretation lässt. So wurde auch nie offiziell aufgeklärt, wie sich "The End of Evangelion" zum Ende der TV-Serie verhält. Finden die Ereignisse parallel statt? Ist es ein alternatives Ende? Verarbeitet Anno hier den Hass der Fans? Ist es sogar ein großes "Fuck you!" in deren Richtung?

Ich kann hier jedenfalls nur jedem ans Herz legen, sich dieses animierte Meisterwerk einmal anzuschauen. "Neon Genesis Evangelion" zählt für mich eindeutig zu jenen popkulturellen Ausnahmewerken, die mich am stärksten und nachhaltigsten beeindruckt haben. Sollte echt jeder einmal gesehen haben.


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