Thema:
Re:Was für ein Wahnsinn! flat
Autor: Guardian
Datum:28.03.19 09:36
Antwort auf:Was für ein Wahnsinn! von Steppenwolf

>Ich weiss noch gar nicht so richtig was ich denken soll. Einerseits ist das die totale Faszination, auf der anderen Seite finde ich das Ganze komplett unnötig. Seine Freundin durchlebt am Abend zuvor wahrscheinlich innerlich die Hölle, seine Kletter Freunde und das ganze Kamera Team fühlt sich schlecht weil es da Gefühl hat, dass er es auf jeden Fall machen will um den Film fertig zu stellen. Während dem Free Solo kann der Kamera Mann der im Tal steht, nicht mehr durch das Tele Objektiv schauen, er hält es schlicht nicht mehr aus.

Das Spezielle ist ja gerade, dass, anders als sonst bei einem Free-Solo-Versuch, diesmal viele Leute wissen, was er vorhat und einige sogar zuschauen und filmen. Der zusätzliche Druck, der dadurch entsteht, macht die mentale Herausforderung noch grösser. Dadurch muss auch die Absicht, den Versuch zu filmen, zwangsläufig in Frage gestellt werden und genau das machen die Beteiligten auch. Ein IMO grossartiger Nebenaspekt des Films.

>Und auch ich bekomme nur vom Zusehen physische Schmerzen, muss oft weg schauen obwohl man ja schon weiss dass es gut geht. Der Typ ist auch mega sympathisch und zugänglich, und man will nicht verstehen warum man das macht. Warum nicht mit Sicherung? Der Einsatz ist imo zu hoch.

Ich habe danach noch weitere Kletterdokus (die beiden auf Netflix und «Silence» auf Youtube) und Joe Rogans Podcast mit Alex Honnold geschaut. Alles sehenswert. Ich komme zum Schluss, dass es beim Klettern ohne künstliche Steighilfen drei wesentliche Disziplinen und entsprechende Rekordversuche gibt:

1. Ein Pitch mit möglichst hoher Schwierigkeit klettern. Siehe dazu die Kurzdoku «Silence» auf Youtube. Da geht’s also nur um eine einzige Seillänge, aber mit bisher nie erreichtem Schwierigkeitsgrad. Und man muss die Wand/Route natürlich erstmal finden und festlegen. Ohne Sicherung wäre der Versuch völlig schwachsinnig, da unzählige Versuche über viele Monate hinweg nötig sind. Es braucht v.a. extreme physische Kraft.

2. Eine noch nie gekletterte Route mit vielen Pitches klettern. Siehe dazu die beiden Netflix-Dokus. Da geht’s also um viele Seillängen mit tagelangem Klettern (Übernachten in der Wand), weil es halt langsam vorangeht. Auch hier muss man die Wand/Route erstmal finden bzw. vorher auskundschaften. Ohne Sicherung wäre der Versuch extrem riskant (oder der Schwierigkeitsgrad ist so gering, dass es bestimmt kein Erstversuch wäre). Es braucht physische Kraft und Ausdauer und mentale Stärke um tagelang durchzuhalten.

3. Free Solo. Eine noch nie ohne Sicherung gekletterte Route ohne Sicherung klettern. Die Route wird in wenigen Stunden geklettert (Übernachten ohne Sicherung idR unmöglich bzw. unnötig, weil man schnell genug ist) und sie wurde zuvor schon unzählige Male mit Sicherung geklettert, damit man sie in- und auswendig kennt. Der Schwierigkeitsgrad ist logischerweise tiefer als das, was der Kletterer mit Sicherung schaffen bzw. versuchen würde. Es braucht extreme mentale Stärke. Es ist also eben eine ganz andere Disziplin als die beiden oben genannten. Honnold ist auch in Disziplin 2 sehr stark, aber in 1 hat er keine Chance.

>Am Ende kommt noch ein schnulziger Titel Song, der den Film emotional perfekt abrundet. Danach ist man zugleich wütend und fasziniert und hat die eigenen Emotionen nicht mehr im Griff. Was für ein Erlebnis auf so vielen Ebenen.

Mich hat der Film angefixt, so dass ich eben noch all das andere Zeug sehen wollte. Extremer Sport für aussergewöhnliche Menschen. Ein Aspekt der «Free Solo»-Doku wurde dadurch noch richtig gestellt: Man erhält in der Doku den Eindruck, dass einige der besten Free-Solo-Kletterer beim Free-Solo-Klettern abgestürzt sind. Tatsächlich geschah es gemäss Honnold aber immer bei anderen Aktivitäten (Basejumpen etc.), nie bei einem Free-Solo-Versuch auf höchstem Niveau. Kleines Manko der Doku.


< antworten >