Thema:
Changiert zwischen sehenswert und ekelhaft flat
Autor: king_erni
Datum:04.03.19 21:37
Antwort auf:Der goldene Handschuh von moishe maseltov

Gestern Abend stilecht im Abaton in Hamburg gesehen. Haus war ausverkauft, die Stimmung nach dem Film herrlich deprimierend, einige Frauen hatten echt Probleme danach alleine in der stillen Nacht zur nächsten Haltestelle zu gehen.

Ich selbst fand ihn überzeugend strukturiert und inszeniert. Akin erzählt das Milieu recht glaubhaft und stellenweise etwas zu überzeichnet. Die audiovisuell vorgetragene Gewalt ist manchmal zu derbe, dient aber schlussendlich immer dem Gesamtnarativ, welches Honka als gescheiterten, sozial isolierten Aussätzigen mit geringem Selbstbewusstsein, dafür aber gesteigertem Agressionspotential gegenüber wehrlosen und gesellschaftlich noch tiefer gestellten Frauen als Eskapismus aus seinem triebgesteuertem Dilemma (weder seine soziale Position, noch sein Äußeres lassen ihn bei Frauen gleichen Alters oder jüngeren, hübscheren "Madonnen" landen) darstellt. Seine Motivation, seine innerer Agressor sowie das abgrundtief hässliche soziale Umfeld in dem er sich bewegt werden dabei ausreichend und gut, teilweise sogar zu gut dargestellt. Die Wiederlichkeiten in Form seines Umgangs, seines Alkoholkonsums, seiner Frauenverachtung und seines Äußeren werden geschickt instrumentalisiert um ein traumatisches, größtenteils sicherlich realistisches Bild einer der untersten Gesellschaftsschichten der BRD in den 70er Jahren darzustellen. Der Film wartet dabei mit einem erfrischendem Maß an Absurdität sowie gelegentlichem Situations-Witz auf, welcher aber schnellst möglich mit ein paar Schlücken Doppelkorn wieder weggespühlt wird. "Der goldene Handschu", das titelgebende Epizentrum Honkas Treibens und seine Haupt-Akquisestelle für sozial gefallene, vom Leben nicht selten stark entstellte Frauen fortgeschrittenen Alters zum Ausleben seiner perversen Triebe, symbolisert dabei die Gesellschaft in der Honka lebt und der er sich selbst nicht zu entziehen vermark: sie ist Alkohol-verseucht, ihr fehlt jedwedes Achtgeben auf das Miteinander, sie ist befreit von Verständis füreinander und komplett entfremdet von jedweder Form menschlicher Liebe oder Zuneigung. Männer sind entweder hart arbeitende Ernährer oder gescheiterte Säufer, Honka selbst changiert irgendwo dazwischen, während die wenigen Frauen, die sich in dieses Etablissment verirren, meist auf der Flucht vor sich selbst sind und sich für eine warme Mahlzeit oder eine Nacht in einem Bett so ziemlich jeder maskulinen Perversion hingeben wollen oder, meist, müssen.

Die Kamera inszeniert dabei die oft rauchgeschwängerte Kulisse der biederen Seite der 1970er Jahre in der BRD meist aus einer statisch beobachtenden Position. Sie greift vor allem dann nicht aktiv ins Geschehen ein, wenn Honka den Bildschirm mit seiner akoholversifften Visage dominiert, wenn er Frauen schlägt, ihre Schädel zertrümmert oder sich besoffen nach Hause schleppt. Akkustisch untermalt wird die Tristess größtenteils von deutschen Nachkriegsschlagen, die mit ihren fröhlichen Texten oft in einem krassen Gegensatz zur Einöde der Realität Honkas stehen. Ab und zu blitzt dann aber auch hier die Melancholie und Eisamkeit der Besucher des goldenen Handschus durch und so ist es ausgerechnet ein Schlager, der kurzzeitig die Verletzlichkeit und Einsamkeit von Honkas Mitgästen durchschimmern lässt.
Jonas Dassler, eigentlich ein schöner junger Mann, entstellt sich in Akins Film unter zentimeter-dicker Schminke um der inneren Hässlichkeit Honkas eine äußere Äquivalenz zu geben. Sein Spiel ist durchzogen von einer geduckten, krankhaft verzerrten Körperhaltung, geparrt mit den gierigen Blicken eines passiven Spanners, der so gerne eine aktivere Rolle einnehmen würde.

Was Akin schlussendlich abgeht ist die Fähigkeit feine Zwischentöne zu finden und das Absurde aus Strunks Romanvorlage konsequenter umzusetzen. Was bleibt ist eine eindrucksvolle Milieu-Studie und das Portrait eines Teils deutscher Geschichte, die die meisten heutzutage wohl am liebsten verdrängen bzw. negieren würden. Allein das macht diesen Film sehenswert.


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