Thema:
Der ist großartig! (Lang und mit Spoilern) flat
Autor: Pezking
Datum:18.02.19 09:48
Antwort auf:Alita: Battle Angel (James Cameron/Robert Rodriguez) von Fred LaBosch

Gestern spontan in die OV-Spätvorstellung gegangen. Ist einfach total geil, nur mit sechs anderen Leuten in einem riesigen Saal zu hocken, in den um die 600 Zuschauer reinpassen. So fühlt sich das für jeden wie eine Privatvorstellung an. Sollte ich öfter machen, am späten Sonntagabend ist im Kino echt nix los.

Vorab kurz zu meiner persönlichen Alita-Historie. Ich glaube, das ist bei einer solchen Adaption eine wichtige Info. Wenn man einen Stoff schon kennt, sieht man einen Film sicher aus einer anderen Perspektive als ein kompletter Neuling.

Ich habe mir 1996 die OVA als VHS-Import aus England besorgt und war hin und weg. Damals war ich 18 Jahre alt, und das ganze Setting, die Brutalität, die Romanze und vor allem Alita haben mich total abgeholt. Habe mir dann direkt über diverse Frankfurter Comicshops die ersten fünf Mangabände als US-Import von Viz besorgt und über die Ferien verschlungen. Ich war damals ein riesiger Fan und habe es schwerstens bedauert, dass es das PSX-Game "Martian Memory" nur in Japan gab.

Um den Jahrtausendwechsel kam dann heraus, dass James Cameron sich die Rechte für eine Verfilmung gesichert hatte. Da war ich ziemlich aus dem Häuschen. Und dann passierte Jahre nichts. Und dann Avatar. Und auf dieser Einbahnstraße blieb Cameron dann leider.

Bezüglich der Rodriguez-Verfilmung hatte ich zwei große Befürchtungen:

1.) Der outgesourcte Film würde sich womöglich stiefmütterlich behandelt anfühlen. Das hat sich zum Glück überhaupt nicht bewahrheitet: Man merkt dem Film an, wie sehr die Macher das Originalmaterial kennen und schätzen, und der Production Value ist immens hoch. Alita: Battle Angel wirkt wie ein sackteurer Hollywood-Streifen, und das ist er mit einem Budget von 170 Millionen auch.

2.) Der Film könnte zu einem typischen Young-Adult-Cashgrab verkommen, mit dem man vor fünf bis zehn Jahren ziemlich idiotensicher einen Reibach machen konnte.

Hier wird es etwas komplizierter, denn schon der Manga und die OVA wiesen durch die Romanze zwischen Alita und Hugo entsprechende Elemente auf. Die Serie beginnt mit dem Erwachen einer gedächtnislosen Alita bei ihrem väterlichen Retter und hat dadurch natürlich auch einen größeren Coming-of-Age-Einschlag - zumindest zu Beginn.

Der Kinofilm behält diese Elemente konsequent im Fokus, aber wie schon die Originalvorlage macht er dem Zuschauer gleichzeitig deutlich, dass für solche Gefühle in dieser brutalen Welt eigentlich kein Platz ist.

Mich hat dieser Kniff in jungen Jahren total abgeholt. Ich habe Alita in einem Alter kennengelernt, in dem ich mich selbst superschnell neu verlieben konnte. Dass die frisch erwachte Alita mit all ihrer unschuldigen Naivität ihr Herz an den nächstbesten Jungen verliert, war für mich nachvollziehbar und plausibel.

Und es ist sehr gut möglich, dass ich diesen Zugang heute nicht mehr finden könnte, wenn ich die ganze Story erst jetzt, mit 41 Jahren, komplett neu kennenlernen würde.

Aber das ist nicht der Fall: Die Grundlage in mir wurde schon vor 23 Jahren gelegt und ist immer noch lebendig.

Natürlich ging mir Hugo im Film auch eher auf die Nerven. Aber das ist ja nicht der Punkt: Ich sollte mich ja nicht in ihn verlieben. Und diese kindliche, naive und unschuldige Romanze, gepaart mit ihrer Chancenlosigkeit in dieser Welt: Die setzt der Film nicht schlechter als die Vorlage um, und zumindest jüngere Zuschauer sollte man damit auch heute noch erfolgreich ködern können.

Letztendlich dient die Romanze auch auch nur der Charakterisierung von Alita: Sie ist naiv, unschuldig, wohlwollend, aufopferungsvoll, gutmütig - und damit steht sie im krassen Kontrast zur Welt um sich herum. Und auch zu Hugo. Sie ist buchstäblich ein Engel. Und gleichzeitig eine Waffe. Diese Tatsache lernt sie über die tragische Liebesgeschichte zu Beginn ihrer langen Saga.

So. Weg von meinen Befürchtungen, hin zum eigentlichen Film:

Ich saß zwei Stunden lang mit einem Grinsen im Kino. Die haben tatsächlich Battle Angel Alita im ganz großen Stil auf die Leinwand gebannt. Alita selbst fand ich super, selbst die Augen fand ich jetzt im Endeffekt sogar richtig gelungen. Normalerweise habe ich große Probleme damit, digitale Charaktere (oder stark digital veränderte Schauspieler) in Filmen ernst nehmen zu können. Die Na'vi in Avatar fand ich komplett unglaubwürdig, deren Künstlichkeit konnte ich nie ausblenden. Bei Tarkin in Rogue One war es fast noch schlimmer. Aber Alita? Fand ich super, sie ist das absolut glaubhafte emtionale Herzstück des Films.

Die Welt...ist vielleicht einen Tick zu hell, zu bunt und zu freundlich. Zwar nie im Fokus, jedoch im Hintergrund. Das Rollerball-Publikum war mir etwas zu fröhlich, und auf den Straßen wirkte es so, als könnte man in dieser Welt auch ein normales Leben führen. Das hat nicht ganz gepasst.

Die Action ist grandios. Stets nachvollziehbar, und es war nicht zu übersehen, dass der Manga häufig als Storyboard diente. Echt klasse.

Der Film war tatsächlich saubrutal, obwohl er ab 12 Jahren freigegeben ist! :-D
Jetzt kein Splatter oder so, Blut gibt es kaum. Aber die ganzen Cyborgs, und wie diese zerstört und getötet werden? Das war zuweilen höchst verstörender Bodyhorror! Da war der Film echt konsequent und kompromisslos, was mich sehr positiv überrascht hat.

Und IMO war der Film auch eine ziemlich runde Sache. Er ist und bleibt halt nur der Bruchteil des Beginns einer ewig langen Saga. Und daraus muss man auch keinen Hehl machen. Dennoch wirkte diese "Ark" befriedigend abgeschlossen, und gleichzeitig weckt der Film natürlich die Neugier auf das, was noch kommen wird. IMO völlig legitim. Viel besser, als wenn man bei einem hoffentlich erscheinenden Sequel erst einmal wieder ein Stück zurückrudern müsste. Eine Fortsetzung könnte nahtlos anknüpfen.

Nö, also ich muss sagen: Als jahrzehntelanger Fan der Originalvorlage bin ich hellauf begeistert von dieser Verfilmung. Hoffentlich wird daraus eine Filmserie. Wird kein Selbstläufer in Sachen Boxoffice, aber ich kann mir hier auch durchaus ein Szenario á la "Pacific Rim" vorstellen: Die Serie entpuppt sich nicht als Lizenz zum Gelddrucken, aber irgendwie kann man dann doch auch wenigstens ein bissi Geld damit verdienen.


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