Thema:
UNMARKIERTE SPOILER flat
Autor: token
Datum:26.03.17 13:00
Antwort auf:Re:Größte Enttäuschung seit langem! von Atlan

>Dass du "Contact" nennst, zeigt, dass du offenbar mit vollkommen falschen Erwartungen in den Film gegangen bist. Die Filme gehören nur auf den ersten Blick in dieselbe Schublade.
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>Denn "Arrival" ist kein Science Fiction-Film, in dem es um Erstkontakt mit Außerirdischen geht. Er ist eigentlich nicht mal ein Science Fiction-Film.
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Ach püh, dann definiere mal Sci-Fi. Das ist doch letztlich der klassische Ansatz, den etwa Lem sehr gut beherrscht hat. Ein Sci-Fi-Szenario das halt wirklich Sci-Fi ist (Szenario Aliens sagen mal Hallo ist eben auch ein Sci-Fi-Szenario), diesen Ansatz aber nicht um seiner selbst Willen auszuweiden sondern als Vehikel zu nutzen um eine spezielle Perspektive auf das Wesen Mensch und den Typus Menschheit zu werfen und das dann in philosophischer Manier abzuhandeln.
Ein Ansatz der in letzter Zeit wieder populärer wurde und mit etwa Moon oder Her wirklich tolle Filme vorgebracht hat, in denen es nicht darum geht eine Materialschlacht zu inszenieren.

ABER, Arrival hat dann eben doch einen Kniff wo ich geneigt bin zu fragen, ist das tatsächlich noch Sci-Fi, oder ist es dann vielleicht doch eher Esoterik-Kram?
Mit vielem bin ich einverstanden. Etwa die Idee wie Sprache abgehandelt wird, und welches Potenzial man dieser attestiert. Die biologische Evolution ist schon noch weiter am werkeln, auch beim Menschen, es ist aber nicht die biologische Evolution die den Gap zwischen dem Barbaren der das Weib an den Haaren in die Höhle zieht und dem Nerd der mit einer Plastikbrille auf dem Kopf Hand an sich legt begründet, denn diese ist gar nicht mal so schnell in der Entwicklung, sondern die kulturelle Evolution. Und da ist die Sprache eines der wichtigsten Fundamente, wenn nicht gar das wichtigste überhaupt. Sprache und darüber erlangtes Wissen definiert unterschiedliche Formen des Bewusstseins, die Idee das Erlernen einer außerirdischen Sprache als Instrument zu nutzen um das irdische Bewusstsein auf eine andere Ebene zu hieven ist nice und hält der Scienceprüfung in der fiktionalen Ausführung stand.

Dann das Verständnis von Zeit. Unser intuitives Verständnis von Zeit ist grundlegend falsch, das wissen wir und das ist auch bewiesen. Der lineare Zeitablauf wie wir ihn erleben ist eine funktionale Projektion unseres Bewusstseins, eine Illusion die dem wahren Wesen von Zeit widerspricht, wie dieses Wesen insgesamt ausschaut wissen wir nicht in Gänze, aber was wir mit Sicherheit wissen ist eben, unser intuitives Verständnis ist falsch. Doch, auch wenn das Gedankenspiel eines nonlinearen Bewusstseins erstmal nicht durch die Scienceprüfung rauscht, stellt sich dennoch die Frage nach der Ausführung dieses Gedankenspiels.

Und da hat mich Arrival erstmal ziemlich enttäuscht, denn genau in dieser Ausführung sah ich initial eine recht einfache Problematik, konnte im Film aber nicht ausmachen dass diese irgendwie gelöst oder auch nur behandelt wird. Auch wenn unser Verständnis von Zeit falsch ist, kommt man nicht drumherum festzustellen dass unser Bewusstsein in der Zeit in einem Körper verankert ist. Ein Problem das selbst ein Quatschfilm wie Butterfly-Effect nicht ignoriert hat, Stichwort Nasenbluten.

Wenn unsere Heldin also zu einem Bewusstsein mit nonlinearer Erlebniswelt gelangt, dann stellt sich in erster Linie die Frage was denn bitte dieses Bewusstsein sein soll das da lustig durch die Weltgeschichte hoppelt. Wie bitte soll das funktionieren dass zwei zeitlich getrennte Bewusstseinszustände miteinander verbunden sind, was ist das Transportvehikel was irgendeine Form von Austausch dieser Zustände ermöglicht, wenn doch der Bewusstseinsträger, also der Körper, fest in der Zeit verankert ist. Ein Engel? Ein ätherisches Wesen? Die Seele? Was soll das sein, wie soll das funktionieren?
Hier kippte der Film für mich von einem stichhaltigen Sci-Fi-Szenario ohne Vorwarnung und ziemlich abrupt und knallhart in das Genre Sci-Fi-Märchen. Auf einen Schlag wurde Star Trek zu Star Wars, und ich nahm dem Film diesen Bruch echt krumm und war davon ziemlich angenervt.

Da ich den Film in so gut wie allen anderen Aspekten großartig fand, hab ich versucht das irgendwie für mich zu retten, und irgendeinen Ansatz zu finden der diesen Esoterikscheiß rausbekommt, und kam für mich zum Schluss dass eventuell eine Art Parallelprocessing im Kopf ein Lösungsansatz darstellen könnte, also dass es gar keinen Bewusstseinssprung gibt, sondern eine Simulation von einem zukünftigen Zustand. Eine Simulation zu der wir ja auch im Stande sind, wenn wir Entscheidungen treffen, dann wägen wir ja auch die Konsequenzen ab, also etwas in der Art, nur auf einem unendlich komplexeren Niveau. Hat dann zwar immer noch das Problem des extrem limitierten Wahrnehmungsraums der eine solche Simulation eigentlich nicht auf einem solch komplexen Niveau zulässt, aber da bin ich dann schon eher geneigt die suspension of disbelief zu zünden, als bei einem lustigen Hoppelhasen der sich mal eben Infos aus der Zukunft abholt.

Was macht da eigentlich das Buch, stellt es sich dieser Problematik, oder vermeidet es vielleicht gar sich dieser im Gegensatz zum Film überhaupt auszusetzen?

>"Arrival" ist ein Beinahe-Kammerspiel, das eine existenzielle Frage unseres Lebens behandelt in erzählerisch außergewöhnlicher und audiovisuell meisterhafter Form.

Vielleicht magst du ja was zu deinem Verständnis vom Film schreiben, ich würde es jedenfalls lesen.


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