Thema:
Fazit (lang): so wunderschön wie übergewichtig flat
Autor: thestraightedge
Datum:13.01.23 11:10
Antwort auf:Horizon Forbidden West [PS4|5] #2 von JPS

Ich habe aufgrund privater Themen, kleiner Happen die ich dazwischen genommen habe usw. in 2 Blöcken gespielt. Einer nach Release bis ca 30 %, den Rest seit Dezember. Vorgestern beendet, gestern an diesem Pamphlet hier getippt, heute sind meine Gedanken damit erstmal beendet.

Ich bin grundsätzlich happy mit dem Spiel und sehe, was für einen großen Wurf Guerilla da gelungen ist - bzw. hätte gelingen können. Technisch ist es imo der beste Titel aktuell und überhaupt. Wirklich Wahnsinn, was da gezaubert wird. Das Gesamtpaket ist erschlagend - dazu gleich mehr. Das Horizonverse (lol) ist für mich immer noch eines der faszinierendsten, das je in einem Videospiel entwickelt wurde.

Ich liebe die facettenreiche Welt, all die Details. Es ist für mich „mindblowing“, wie viele Details in diese Welt gepresst wurden. Jede Festung ist eine Augenweide, da sieht nichts beliebig aus, die ganze Folklore mit Klamotten, Farben, Rüstungen, Waffen ist immens komplex, dazu immer mehr Maschinen, eine brillante Flora und Fauna, tolle Landschaften von Schnee bis Wüste, fast alles ist erreichbar. Dazwischen Mangroven, Mammutbäume, Küsten, Unterwasserwelten, und nichts davon ist weniger als brilliant in Design und Technik. Das Klettersystem ist besser, aber immer noch immersions-brüchig mit den gelben Kanten. Da hätte ich fast den Schritt Richtung BotW gewünscht, sprich: alles ist erklimmbar. Dennoch sieht das alles fantastisch aus. Vom schneebedeckten Gipfel runter nach Kalifornien zu schauen, wo der Nebel zwischen den Mammutbäumen aufsteigt, und dann mal eben da runter zu segeln ist einfach irre. Alles sieht so wunderbar aus in den verschiedenen Lichtstimmungen, in der Welt steckt so viel Liebe. Dazu wie gesagt der Eindruck, dass hier nicht prozedural Welten ausgespuckt wurden, sondern jede Klippe, jedes Lager, jeder Baum da stehen weil sie da stehen sollen. Und wenn man denkt man hat viel gesehen gibts gigantische unterirdische Anlagen, die gigantomanischen Techno-Cauldrons, man kann Tiefseetauchen usw. Lichteffekte, Partikel, Nebel, die Klarheit des Bildes, Tageszeiten, Wettergeschehen, Flora und Fauna - das ist alles so überzeugend wie kaum jemals anderswo zuvor. Ich kenne kein schöneres Spiel aktuell, jeder Bergwand, jeder Wald, jede Nebelschwade sieht besser als irgendwo anders. Ich hatte eine Szene, da stand ein Guard mit Maschinengewehr in einer Halle, die durch einen blauen Holo-Monitor beleuchtet war. Auf die Wand fiel dieses Licht und damit sein Schatten, Das Gewehre hatte ein orangene Energie-Quelle, die sich wiederum zwischen Schatten und dem blauen Lichtkegel des Holos bewegte. Das auf der hochauflösenden Wandtextur zu beobachten war einfach irre, so banal das Beispiel auch klingen mag. Gespielt habe ich in den verschiedenen Grafik-Modi. Hatte immer mal wieder Bock auf einen Wechsel.
Die Heldin verkörpert weiterhin eine sehr schlüssige, tolle Rolle. Auch viele Details im Spiel sind wahnsinnig gut gelöst, z.B. das Tippsystem. Irre was da an Arbeit eingeflossen ist, denn häufig gibt Aloy kontext-genau Tipps wenn man mal wie blöd rumläuft und nicht weiter kommt. "Maybe I should..." ist da oft Gold wert und ist einfach extrem gut gelöst, da oft wirklich passende, auf den Ort, die Mission oder die Aufgabe bezogene Tipps exakt zur richtigen Zeit folgen.  

Die Story ist irre, komplex, aber auch leider geil. Die ganze Apokalypse-Nummer, mit all den Facetten - das ist tlw. komplett drüber, aber am Ende eben doch erstaunlich schlüssig, trotz Zenith vom anderen Stern usw.. Ich verstehe, warum die Story einige verloren hat, denn auch auch hier schlägt der unten beschriebene Fluch der Über-Komplexität zu. Noch eine Faction, noch ein übergeordneter Gegner, alles erläutert in stundenlangen Dialogen, Audiofiles und ganz schlimmt: Textfiles. Unterm Strich ist das Universum und die Story aber in all seiner Abgefahrenheit dennoch eine Stärke und v.a. schlüssig, auch wenn hier ebenfalls "weniger wäre mehr" gilt..

Denn grundsätzlich überfordert mich persönlich das Spiel durch eine Art Überfrachtung und Über-Komplexität in ALLEN Aspekten: ein eh schon komplexes Kampfsystem wurde noch komplexer. Factions, Story-Verschachtelungen, Dialoge bis zum Abwinken. Nebenmissionen? An jeder Ecke will jemand was, es passiert ständig was in der Welt. Dazu ein Skill-Tree, Rüstungen mit Leveln, Perks, Coils, Kleidung, Farben. Fighting Pits, Machine-Strike, Manöver freischalten, Zusatzfähigkeiten durch Tränke schaffen. Fähigkeiten abrunden. Crafting-Tische. Stash und Inventar. Alles ist levelbar. Es gibt Köche. Rüstungsmeister. Waffenklassen, Gesichtsbemalungen, in jeder Klasse x Waffen, jede Waffe mit Coils und Level sowie Auswirkungen durch den Skill-Tree, und dann noch die verschiedenen Munitionsarten, die jeweils bei anderen Maschinen und Menschen komplett andere Auswirkungen haben, und jede Waffe hat dann noch Sonder-Schüsse, die man auswählen kann im Waffen-Wheel. Nicht vergessen: mit Valor Surge verstärkt man dann noch diverse Effekte, das muss man aber separat aufladen. Nicht genug? Koche Tränke und setze sie im richtigen Moment ein, um Wirkung x von Waffe y gezielt zu verstärken. Es gibt Sammelmissionen, gleich diverse, Drohnen hier, Relikte dort, Vista Points, Totems, Black Boxes, Metallblumen. Cauldrons. Tallnecks. Parkours, Rennstrecken, Lager erobern. Das Spiel hört und hört nicht auf, einen mit Dingen zuzuwerfen. Jaja. man kann auch einfach nur die Main Mission machen, aber irgendwie fühlt es sich komisch an. Gleichzeitig frage ich mich a) beeindruckt, wie man so etwas irre komplexes und vielschichtiges, was bei entsprechend Zeit auch noch komplett funktioniert erschaffen kann und b) wie jemand das alles schaffen will und kann. Dagegen sind die Assassins Creeds von einst ja Frühstückshappen.

Es ist einfach viel zu viel.

Vor allem die Komplexität des Kampfsystems hat mich irgendwann verloren. Ich würde mich durchaus als erfahrenen Spieler bezeichnen, und dennoch ist das sicher auch immer ein persönliches Problem, ja. Aber irgendwann hatte ich gefühlt keine Ahnung mehr, welches Teil einer großen Maschine ich mit welchem Pfeil und welcher Aufladung behandeln muss, damit ich es dann abschießen kann, um es irgendwie zu verwenden oder explodieren zu lassen, damit ich der Maschine dann mit dem nächsten Manöver in Kombination mit der richtigen Waffe und Munition auf den Stahl-Pelz rücken kann. Nicht vergessen: im richtigen Moment Valor Surge oder andere natürlich levelbare Boosts aktivieren, Special Moves ausführen durch Tastenkombi, Munitionsarten wechseln, Maschinen scannen um Minicontainer XY durch Waffe AB mit Munition RS zu treffen, um direkt danach Waffe und Munition zu verändern, damit man Container 4711 abschiessen kann, oder schnell die vom Viech abgeschossene Waffe gegen seine Schwachstelle nutzen. Wow. Wenn mans richtig effizient machen will, paart man das dann noch mit Fallen, die wiederum die verschiedenen Elemente beinhalten und deren horizontale, vertikale oder sonstige Ausrichtung je nach Gegnertyp komplett anders wirken. Und: hat man sich mit einer Maschine befasst und würde theoretisch Hitzones, Munition und alle anderen Wechselwirkungen kennen, dann: ist das auch nix wert, weils jeder der 30-40 Maschinen in zig Varianten gibt. Du denkst Du den kennst den Bristleback? Ha, hier ist der ACID Bristleback und sein Bruder der Apex FIRE Bristleback, die wieder ganz anders anzugehen sind weil die Schwachstellen sich mal eben komplett ändern. Vorher war Feuer effizient, jetzt eben Chillwater. Also: Waffenrad aufmachen, Waffen mit Element-Wirkung neu zuteilen, Munition craften, Gegner angehen. NEIN DANKE. :( Anders als bei Nebenmissionen und Sammelaufgaben kann ich diesem Komplex eben nicht entgehen.

Irgendwann bin ich entsprechend auf easy und sogar Story-Modus umgeschwenkt und konnte hier inzwischen lesen, dass das krass viele Spieler gemacht haben, u.a. auch viele die sich sonst eher durchbeissen. Das ist leider ein recht verheerendes Urteil für so ein Spiel, und ich hoffe das Guerilla davon Notiz nimmt. Ich bin fast erstaunt, dass dieser ja auch hier im Forum Hauptkritikpunkt bei Guerilla nicht irgendwie aufgefallen ist. Da muss doch mal jemand in einem Meeting gesagt haben "Schluss! Aus! Wir verzetteln uns hier gerade, wer soll denn das alles durchblicken, nutzen, genießen?!".

Lustigerweise hat mir das Spiel dann wieder mehr Spass bzw. richtig viel Spass gemacht, und das Kämpfen auch. Alle anderen Aspekte, also Story, Exploration, Reisen sind ja unbetroffen von dem Wechsel. Und nur für die Akten: ich spiele eigentlich immer regular/normal, manchmal hard/schwer.

Ich bin fast sicher, dass man mit Zeit und Energie hier ein perfektes, hochkomplexes Kampfsystem vorfindet, welches es so nur sehr selten gibt, aber ich habe v.a. die Zeit dafür nicht. Ich kann nicht 3 Semester Horizon studieren, um das alles zu schnallen und die Schwachstellen jeder Maschine auswendig zu lernen. Gleichzeitig hemmt die Sichtung von Schwachstellen und Co. jeden Spielfluss, wenn man eben nicht alles auswendig kennt und auf höheren Schwierigkeitsgrade effizient vorankommen will.
Und ich bin beruhigt, dass es hier offenbar vielen so ging. Und gleichzeitig enttäuscht, dass Guerilla hier ohne Not solche Hürden in Zugänglichkeit und Spielfluss eingebaut hat. Und ja, ich weiss dass es hier 100+ Stunden Spieler gibt, die auch große Gegner auf Hard in 3 Minuten filetieren. Das ändert nichts an meinen Aussagen / Eindrücken.
Ich hoffe inständig, dass Guerilla sich hier zurückbesinnt auf Zugänglichkeit, eine intuitive Technik, die Flow entwickelt, statt der Klassenbeste (und komplexeste) in ALLEM sein zu wollen.

Meine Zeit mit dem Spiel ist also tatsächlich zwiegespalten. Es gibt Dinge, die ich liebe, wie auch im ersten Teil, aber auch Dinge, wo ich anerkenne dass sie toll funktionieren mögen, aber für mich einfach komplett drüber waren. Das mag auch an meinem zeitlichen Möglichkeiten fürs Hobby liegen, so wie ich hier las hat das Spiel aber doch einige verloren, die es eigentlich mögen. Vielleicht ist eine Art Ende der Fahnenstange erreicht, was solcherart Komplexität, Größe und Überladung angeht. Vielleicht gehts irgendwann ein wenig zurück zu schlankeren, belohnenderen Erfahrungen, ohne eine Grund-Komplexität zu opfern. Es wäre zu wünschen.

Unterm Strich bleibt ein krasses Epos, eine irre gut designte, aufregende Spielwelt, eine hochkomplexe Story, welches aber leider an den eigenen Ambitionen in Teilen scheitert. Nicht, weil diese Ambitionen nicht umgesetzt wurden, sondern weils eher so wirkt, als wären alle Ambitionen hochkompetent umgesetzt worden, was leider dazu führt, dass man eine 8-wöchige Ausbildung in Waffenkunde braucht, ein Pilotenhandbuch für die Bedienung des Spiels, 6 Monate Zeit um die Karte zu lernen und 150+ Stunden, um Dialoge und Textfiles zu studieren.

Ich denke, ich werde hier und da zurückkehren. Über die Map fliegen, ein paar Nebenmissionen machen, die Atmosphäre, Landschaft, Welt genießen, ein bisschen was sammeln. Trotz aller Kritik oben halte ich das Franchise für eines der besten, beeindruckendsten, besonderen die jemals geschaffen wurden.

Ein paar Screenshots:
[https://i.imgur.com/16bCbbs.jpg]

[https://i.imgur.com/gySznP2.jpg]

[https://i.imgur.com/bnvR269.jpg]

[https://i.imgur.com/ovpibvW.jpg]

[https://i.imgur.com/XTpy7OQ.jpg]

[https://i.imgur.com/lahJP2S.jpg]

[https://i.imgur.com/VMSsbAQ.jpg]

[https://i.imgur.com/xkHoDnc.jpg]

[https://i.imgur.com/pG6fDeh.jpg]

[https://i.imgur.com/CB5BOxo.jpg]


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