Thema:
Psychonauts 2 flat
Autor: token
Datum:12.01.22 10:59
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 39 - Jedem Ende wohnt ein Zauber inne von Schlomo

Ich hatte es Schafer einfach nicht mehr zugetraut seine Muse zu finden und an die Großartigkeit von Psychonauts und anderer vergangener Werke anzuknüpfen. Aber als die Credits rollten und da stand "Written by - Tim Schafer" ohne weitere Namen, wäre ich am liebsten aufgesprungen um stehend zu applaudieren.

Das Spiel bietet für mich die abartigste Kreativleistung die mir seit Jahren in die Finger gekommen ist. Und diese ist so ausladend dass ich gar nicht weiß wo man mit der Lobhudelei anfangen oder aufhören könnte.
Eine Geschichte mit einem Handlungsbogen der in gelungener Weise Anzüge eines Krimis hat. Unmengen von großartigen Figuren mit großartigen Texten. Hier steckt teils in NPCs die in einem Level geparkt werden und an denen man mal vorbeiläuft mehr Finesse und Profil drin als in Mainchars diverser anderer Games. Ein humoristisches Ideenfeuerwerk bei dem man sich irgendwann fragt wo das alles herkommt weil irgendwann der ganze Himmel leuchtet, allein die unterschiedlichen Levelideen, ey! Als hätte Schafer einen Samenstau gehabt und mit Psychonauts 2 eine Literladung abgefeuert. Der taucht ja selbst in einem Songtext der dann von Jack Black performt wird, als Writer auf.

Aber neben dieser Inflation toller Ideen zeichnet Psychonauts 2 für mich vor allem eines aus, wenn es darum geht was ich hier so herausragend finde. Es wirkt auf mich so als hätte der junge Schafer mit einer auf Hochtouren arbeitenden Kreativpumpe im Kopf Zugang auf die Lebenserfahrung vom alten Schafer erhalten, oder halt umgekehrt. Das Setup von Psychonauts ist nämlich hinter der comichaften und äußerst witzigen Fassade ein durchaus ernstes. Es geht um mentale Belastungen in allen Formen und Farben. Und sowas wie bspw. Verlust ist etwas dass man als junger Mensch zwar versteht und erfahren hat, zum Beispiel der Herzschmerz nach der Trennung von der ersten Liebe. Aber natürlich hat man zu so einem Thema mit paar grauen Stummeln im Restbestand der Haarpracht einen komplett anderen Erfahrungsschatz und damit auch Zugang zu so einem Themenpunkt.

Und genau das macht für mich Psychonauts 2 mitunter erzählerisch so bockstark. Hinter der knallbunten und hochgradig lustigen Fassade stecken durchaus ernste Themen die eine emotionale Tiefe anbieten und mit denen man auch connecten kann. Alles unheimlich humorvoll und leichtfüßig, und doch ist da eine Substanz, so dass wenn man mit Raz in den Geist eines Figur einsteigt um dort aufzuräumen auch die ein oder andere Querbezug-Schublade bei einem selbst geöffnet wird. Aber mit einem Esprit der einen jetzt auch nicht wirklich belastet und schlussendlich auch hoffnungsfroh entlässt.  

Gibt es auch Flaws? Oh ja.
Wie auch schon Psychonauts ist der Nachfolger ein Spiel mit einigen Schwächen, die vom Szenario geschultert werden müssen. Ich persönlich fand das Pacing nicht sonderlich packend, es fängt schleppend an und entwickelte erst ab der Halbzeit sowas wie einen Drive. Ich hatte zwar mit jeder Session meinen Spaß. und doch war Psychonauts 2 kein Game das einen Sog entwickelt hat, sondern eines das ich immer wieder mal für Tage oder gleich Wochen liegen ließ.

Über Maß bedauerlich finde ich die fehlende deutsche Vertonung. Gerade Psychonauts war einer der wegweisenden Vorreiter professioneller Videogame-Lokalisation, und ausgerechnet so ein Pionier steht jetzt komplett blank da. Dabei ist die Lokalisierung in vielen Aspekten immer noch bemerkenswert gut, Plakate in Ingame-Grafik die wirklich auf Deutsch umgemalt werden, Songs die in ihrer Übersetzung Versmaße und Reime berücksichtigen und Jokes die auf Spracheigenheiten setzen sinngemäß und nicht wortwörtlich übersetzen. Aber es fehlt die Synchro, und darunter leidet dann auch für mich persönlich auch ein Stück weit der Humor, denn es macht schon einen Unterschied ob das gesagt instant in die Synapsen fließt, oder noch ein innerer Babbelfisch zwischen sitzt der zwischendrin auf Untertitel linst.
Wenn man den Elan hinter den anderen Lokalisationsaspekten sieht, scheint klar, das ist hier reines Budget-Thema gewesen, und dass man sich dieses mit MS im Rücken dennoch vom Mund abgespart hat (oder absparen musste) ärgert mich sehr.

Auch ein spürbarer Negativaspekt ist der Umstand dass man in Teil 2 zwanghaft an das Fähigkeitenkonzept des Erstlings und dessen mechanische Abbildung anknüpfen möchte. Das führt zu einer beknackten Steuerung die komplett ohne Not erzwingt dass man mit seinen Fähigkeiten jonglieren muss und so immer wieder der Flow im Spiel gebrochen wird. Obwohl das was die Figur kann, problemlos im vollen Umfang auf das Pad hätte gemappt werden können. Und in Punkto Guiding hatte ich gar einen Moment wo ich in einem Level Google bemühen musste, weil ich nicht verstanden hab was das Spiel von mir will.

Ich hab aber keine Lust mich den Fehlern zu widmen, zu überragend ist die Unterhaltsamkeit des Gesamtpakets und der verschwenderische Umgang mit Ideen ist geradezu atemberaubend. Andere Entwickler stricken um Dinge die Psychonauts 2 wie Unterhosen wechselt ganze Spiele, es hat mich gar ein wenig an das Ideenfeuerwerk aus Galaxy erinnert, wobei ich diese Games nicht vergleichen würde, weil Galaxy ein Mechanics-Wunderland ist, und Psychonauts 2 eher mit Fantasie bei seinen Levelszenarien glänzt. Auch wenn diese zudem spielerisch abwechslungsreich sind, kommt der Kick des Genialen aus einer anderen Ecke.

Hut ab Tim, als die Ankündigung kam erschien es mir als Ding der Unmöglichkeit das was Psychonauts geschafft ähnlich gelungen zu wiederholen, speziell wenn ich mir angesehen hab was Double Fine sonst so gemacht hat. Da war nach Psychonauts ein echter und dann auch durchgehender Bruch spürbar. Und nichtsdestotrotz wurde komplett abgeliefert.
Für alle Fans von Teil 1 ist das hier ein absoluter Muss-Titel.


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