Thema:
Halo Infinite flat
Autor: token
Datum:29.12.21 09:30
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 39 - Jedem Ende wohnt ein Zauber inne von Schlomo

Halo Infinite erinnert mich prinzipiell an Crackdown 3.
Bei beiden Games hatte ich einen für mich äußerst unterhaltsamen spielerischen Kern.
Und bei beiden gab es beim "Drumherum" offenbar einen massiven Stripdown der ursprünglichen Vision um irgendwas zu haben was zumindest funktioniert.
Und obwohl das drumherum äußerst mager war, hat der Kern das Spiel für mich dennoch äußerst unterhaltsam vom Start bis ins Ziel getragen.

In Infinite hat man im Grunde nach 90-120 Minuten ALLES gesehen was das Game im Angebot hat. Und man hätte es auch nach 20 Minuten sehen können, wenn nicht auch schon in diesen ersten zwei Stunden Copy-Paste-Streckungen statt fänden.
Du siehst das Design im Innenbereich. Das ist der Innenbereich.
Du landest auf dem Ring.
Das ist der Ring.

Witterungen, Biome, optionale Geheimnisse, abwechslungsreiche Missionsarten, vergiss es, da ist NIX. Der Stripdown ist derart harsch dass ich zum Ende hin einmal gar gekichert habe, da die C&P-Strukturen für mich zunehmend parodistische Züge aufwiesen.

Daran mag ich mich aber gar nicht groß abarbeiten.
Ja, der Stripdown ist harsch, aber konsequent. Insofern als das was da ist in vollem Umfang funktioniert. Hier und da merkt man noch Unfertigkeiten, etwa wie komisch die Übergänge zwischen Leveln und OW sind, die technisch kaputten Zwischensequenzen, aber das sind so alles B-Noten, da wo es zählt funktioniert alles gut. Das was da ist, ist nicht viel, aber löppt.

Bugs gab es auch kaum, und wenn dann kein Verhaspeln innerhalb des Spiels, sondern auch hinterm technischen Vorhang getriggert durch lange Spielzeit und mit dem Neustart des Spiels instant behoben. Was ich hatte war dass das Spiel anfing zu ruckeln, dass im Spiel meine Joypad-Eingaben nicht mehr erkannt wurden, dass das Spiel meckerte ich hätte dafür keine Lizenz. Und nichts davon nach einem fresh start sondern einem Wiedereinstieg bei schon hoher Spielzeit.
Total unwild, wobei ich irgendwo auch von Probs mit einem Savegame las, sowas ist natürlich die Höchststrafe, blieb selbst aber komplett verschont.

Kommen wir zum Teil der in Infinite einfach herausragend ist. Herausragend!
Das Gunplay und alles was damit irgendwie zu tun hat.
Sounddesign ist 1+.
AI ist 1+.
Feeling mit Details wie Autoaim 1+

Der einzige mechanische Punkt wo ich nur eine 1 gebe und das Plus verweigere ist eine Sache im Interface die ich gerne anders gehabt hätte. Und zwar, der Greifhaken und wie er implementiert wurde ist die beste Erfindung seit der ausziehbaren Hundeleine, aber gerade weil es so _hammergut_ ist, finde ich es komplett hanebüchen dass sich der Haken seinen Platz auf dem Joypad per Switching mit anderen Gimmick-Fähigkeiten teilen muss. Ich hätte das Mapping auf dem Pad anders gelöst, verschone den Text aber mit dieser verkopften Trockenübung. Es wäre jedenfalls gegangen und dann wäre es imo noch geiler, wenn _alle_ Fähigkeiten jederzeit direkt per Knopfdruck getriggert werden könnten, statt diese wechseln zu müssen.

Aber dieser kleine Makel wird dann auch überstrahlt von der großartigen Implementierung des Hakens. Allein darüber was daran so geil gelöst wurde, könnte ich Textwände verfassen. Dass es Spieler nicht schrankt und mit ALLEM koppelt, der Haken als Waffe um sich zu Gegnern zu ziehen, als Fluchtinstrument, als Positionierungsinstrument, um Waffen oder Fässer zu schnappen und direkt aufzunehmen, Details in der Physik wie man die Flugbahn während des Anziehens beeinflussen kann, ein Traum in Tüten das Alles.

Das Sandbox-Gunplay ist mit diesem Unterbau dann auch das Sahnestück von Infinite. Man hat hier einfach magische Momente die nicht darüber entstehen dass ein Designer irgendwas gescripted hat und man auf so einer Schiene gut durchgewichst wird. Sondern entstehen aus der Dynamik des Geschehens, also persönliche Geschichten die über das eigene Handeln auf dem Schlachtfeld geschrieben werden. Und das wird darüber erreicht wie straff die mechanics sitzen, welche tollen Optionen man damit an die Hand kriegt, wie der Sound einen peitscht, und Gegnern die Gegner sind! Die sich verstecken wenn die Machtverhältnisse kippen, die Druck aufbauen und aufrücken wenn einem der Arsch brennt, die flankieren und Wege in den Rücken suchen.
Es macht soooooooo Bock!

Das Ableben hat mich auch nie frustriert.
Wenn ich starb musste ich entweder sofort über mich selbst lachen, weil ich was unglaublich dummes gemacht hab was zu diesem Ableben führte, etwa sich frontal in einen Pulk zu schmeißen, oder war direkt motiviert nach Wegen zu suchen das Problem das sich stellte zu lösen. Und hab die Freiheiten im Vorgehen hart gefeiert, weil Infinite eines der Spiele ist, das in seinem Freiheitsrahmen auch funktioniert und die Gefechte die man da führt schon fast eine Art persönliche Gemälde sind.

Dieser Kern trägt das Spiel derart gut, dass ich mich trotz der ausladenden Eintönigkeit des Drumherums auf allen Ebenen keine Sekunde gelangweilt habe. Mehr noch auch nach dem Abspann noch ein wenig die Kartenaufgaben komplettieren werde, einfach um des Spielens Willen.

Infinite weckt in mir auch einiges an BotW-Vibes, die maßgeblich darüber entstehen wie frei ich als Spieler bin, wie ich mein eigenes Erlebnis gestalten kann, und darüber dass ich es gestalten kann im Spiel versinke.
Aber da muss man halt auch noch einmal einhaken, denn man kann Infinite natürlich dafür feiern wie gelungen es in seinem Kern ist, aber stellt man sich mal vor dass man der Welt und dem Drumherum einfach mal Fleisch an die Knochen flantscht, dass man in dieser proof of concept Skizze auch Angebote für die Neugier des Spielers entwickelt, wird einem schwindelig wenn man darüber nachdenkt wie viel besser das als Gesamtwerk noch sein könnte.

Das schwierigste haben 343 jedenfalls astrein hinbekommen. Den Spielspaß. Das ist die Kunst. Vieles von dem was fehlt ist hingegen einfach nur Handwerk.
Gebt mir das und wir sind klar beim Meilenstein, bleibt es so wie es ist, ist's halt weiterhin geil aber auch ein Stück weit verschenkt was hier noch ginge.
Wie auch immer, ich hab Bock auf mehr davon.


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