Thema:
Re:Zweiter Eindruck flat
Autor: token
Datum:13.10.21 12:23
Antwort auf:Re:Zweiter Eindruck von Stahlanbeter

>Wow, so viel Text und so wenig Inhalt.

So eröffnet man eine Diskussion ;)

>Hängen geblieben ist, dass du mit der Steuerung (noch) nicht klar kommst.

Das hab ich nicht geschrieben. Ich hab geschrieben dass das Interface dämlich gelöst ist, und die Gründe dafür punktuell angeführt.

>Es ist ein zugegeben ungewohntes Steuerkonzept, an das man sich natürlich erst gewöhnen muss. Aller Anfang ist schwer. So war es bisher bei allen neuen Steuerungsarten, die alte ist im Muskelgedächtnis, die neue muss erst mal antrainiert werden. Das heisst aber nicht, dass die Neue per se schlechter ist.
>

Also, wie Steuerungslösungen aussehen hat immer maßgeblich mit der Momentaufnahme des gängigen Interfaces zu tun. Sprich, was bietet mir das Joypad an Befehlsmöglichkeiten an, wie bilde ich die Funktionen meines Spieles als Befehlseingaben auf dem Joypad an.

Konflikte entstehen stark vereinfacht ausgedrückt dran, wenn ich mehr Funktionen im Spiel habe, als Befehlstrigger im Interface.
Diese Problematik gibt es eigentlich auch schon seit es Videospiele gibt. Wir können auch ganz weit zurückspulen um das zu veranschaulichen.

Ein C64 und Amiga500 hatten nur einen Stick und genau einen Knopf (auch wenn zwei Knöpfe am Stick waren, aber die machten das gleiche).
Ein NES und SNES waren da besser ausgestattet, gerade bei der Anzahl der Knöpfe.

Ports von Spielkonzepten dieser Konsolen oder gleich Ports der Spiele mussten sich aufgrund des dünneren Funktionsumfangs der Commodore-Joysticks also hier und da was einfallen lassen. Gelöst wird sowas über Kombos und Mehrfachbelegungen oder anderes Mapping. In Mario hast du eine Sprungtaste, in Giana Sisters drückst du den Stick nach oben, gibt es dann auch sowas wie Leitern die so eine Spielfigur nutzen kann, wird daraus eine Doppelbelegung auf dem Commodore wo "Oben" im Kontext der Leiter nicht mehr Springen bedeutet, sondern klettern. In einem anderen Game hast du vielleicht einen eigenen Knopf für eine Bombe, auf dem anderen Gerät musst du unten drücken und gleichzeitig feuern.

Solche Lösungen sind NIE Features sondern IMMER Verlegenheiten aus denen Kompromisse erwachsen. Warum so fundamentalistisch mit NIE und IMMER?
Weil ein Interface ein reines Zweckvehikel ist. Es übersetzt einfach nur deinen Befehl an die Spielfigur in die Aktion der Spielfigur. Dieser Prozess wird früher oder später automatisiert, heißt, der Spieler denkt nicht mehr drüber nach was er da mit den Händen macht, das passiert auch wenn Interfaces komplex sind. Jemand der Gitarre spielt hat bspw. ein fucking komplexes Interface um da schöne Töne draus zu leiern, wird aber irgendwann aufhören darüber nachdenken zu müssen wie er die Akkorde greift.

Sprich, die Komplexität von Features löst sich irgendwann über Automatisierung auf, aber komplexe und sperrige Interfaces machen dem Spieler diesen Prozess schwerer, ohne dass diese Herausforderung für sich irgendeinen Mehrwert bietet, und im schlimmsten Fall wirkt sich fehlende Direktübersetzung auf auf die Performance aus, bestimmte Aktionen sind einfach sehr schwer auszulösen, oder noch schlimmer, die Spielfigur kann einfach bestimmte Dinge gar nicht, obwohl das Spiel diese abfragt.

Es gibt also eine Evolution an zwei Fronten, Interfaces entwickeln sich weiter, bekommen mehr Knöpfe, bekommen Rumble, bekommen Gyro usw. und der Funktionsumfang in Spielen wächst. Und da sind wir dann bei Nintendo, dem für diese Evolution wichtigsten Player der Videospielgeschichte. Die halt gesehen haben, diese Evolutionen passieren nicht losgelöst voneinander sondern bedingen einander, das sind zwei Seiten der gleichen Münze. Und haben sich etwa beim Sprung zu 3D hingesetzt und sich gefragt, was für Spiele wollen wir mit den neuen Möglichkeiten machen, und was für ein Joypad brauchen diese Spiele und wie arbeiten diese zwei Fronten miteinander.
Während Sega und Sony also Lastgenjoypads kopiert haben und mit mehr Knöpfen versahen, kam Nintendo mit dem N64 und Mario64, und hat quasi schon aus dem Stand fast alles konzeptionell vorgetanzt was auch noch heute den Großteil der gängigen Lösungen markiert, während die Konkurrenz zum nachsitzen musste und dann Analogsticks angeklebt hat.
Auch die Cam-Steuerung war schon im Pad drin und die gelben Buttons für eine solche reserviert, da hat Nintendo lediglich die Lernfähigkeit von Spielern unterschätzt und versucht hier etwas einfaches anzubieten, aber dass 3D auch das braucht war ihnen schon da bewusst und wurde integriert.

Heutzutage hat Nintendo nicht mehr so eine Ausnahmerolle, aber punktuell zeigt sich immer noch eine größere Bereitschaft Evolutionen bei sich zu integrieren und alte Zöpfe abzuschneiden, etwa beim Thema Gyroaiming aktuell, wo sie mit Splatoon auch ihren proof of concept haben dass das von Spielern auch ohne Gemoser angenommen wird. Wie so ziemlich alles an Veränderungen erstmal Gemoser auslöst mit "Bäh, was wolln die, das war doch immer schon so, ich werd wahnsinnig weil ich dauernd den falschen Knopf drücke". Aber Spieler die dann zu ihrem Glück gezwungen werden bei besseren Lösungen raffen sobald sie diese aktiv benutzen auch irgendwann dass es bessere Lösungen sind und ihre alten Automatismen mit neuen Automatismen überschreiben. Siehe Splatoon wo es von alteingesessenen erst heiß, oje, ich will nicht fuchteln, und dann merken, ah, das ist kein Gefuchtel, das ist ja toll.
Lediglich beim Thema Customizing und Barrierefreiheit lebt Nintendo konsequent hinterm Mond und macht die mit Abstand schlechtesten Angebote, nämlich in der Regel keine. Gerade beim Thema Barrierefreiheit ist das superbitter, weil Joycons die perfekten Controller für Menschen sind die nur eine Hand vernünftig unter Kontrolle haben, aber das ist ein anderes Thema.


Und da sind wir nun.
Du sagst mir ich solle etwas lernen was ich nicht mehr lernen muss weil ich eben auch seit 40 Jahren Games zocke und diese aus der Not heraus geborenen Überfrachtungen von Interfaces alle miterlebt hab.
Und ich frage mich ob du die Ironie erkennst wenn du mir einerseits nahe legst ich solle doch einfach etwas lernen was ich schon kann, auf der anderen Seite aber transparent machst dass du dich mit einer Funktionstrennung von Gehen und Zielen schwer tust, was sicher nichts damit zu tun hat dass diese schwerer zu beherrschen wäre, denn das ist deutlich einfacher und sinniger als eine Doppelbelegung, sondern eben mit dem Mangel an Bereitschaft sich auf Evolutionen einzulassen und alte Automatismen abzutrainieren und neue anzunehmen.

Das ist am Ende auch nur menschlich und okay so zu ticken, deswegen bieten 2D-Games oftmals Digipad-Kontrolle auch wenn sie intern auf Analogkontrolle ausgelegt sind, etwa Ori1 wo du das Dashing über Gegner unendlich präziser steuern kannst als mit Acht-Wege, aber auch Acht-Wege "funktioniert" halt, nur eben mit Einbußen in der Präzision und ist am Ende schwerer zu beherrschen.
Oder mit optionalen Settings für Alteingesessene die sich dann "Classic Controls" oder so schimpfen.
Gegen solche Angebote hab ich persönlich nie was einzuwenden, ich nutze sie halt nicht und gehe lieber mit der Zeit und lerne dafür auch mal was neues wenn es auf Sicht mein Gamerdasein verbessert.

Und ich hatte auch schon seit immer eine kleine Faszination für diese abstrakte Entwicklung und freue mich immer sehr wenn ein Entwickler mit cleveren Innovationen kommt die Konflikte auflösen oder mit cleveren Lösungen wie bspw. Radialmenüs die Bedienung von Spielen verbessern oder ärgere mich wenn Entwickler schon gängige Design Patterns ignorieren und mit überholten Lösungen ankommen. Zuletzt bei Ghosts of Tsushima, die zumindest das was ich mir vom Start weg gewünscht habe und was dann auch nicht über Barrierefreiheit-Remapping abbildbar war nun nachgepatched haben.

Ich muss auch beruflich immer wieder mal Interfaces für Benutzer bauen, und mein ganzes Know-How worauf da zu achten ist hab ich eigentlich fast im vollen Umfang von Games abgeschaut, und achte sehr gezielt drauf Nutzerperspektiven einzunehmen, auch selbst mit meinen Lösungen zu arbeiten und das was mir selbst auf den Sack geht zu verbessern und dann auch Tester beim Arbeiten zu beobachten und die dann gewonnenen Erkenntnisse nochmal zu streamlinen.

Und aus so einer Perspektive heraus finde ich, auch Dread ist ein Game von dem man unglaublich viel lernen kann was Interfacedesign angeht.
Nämlich wie man es nicht macht. Diesbezüglich ist es eine regelrechte Schatzkiste für Unfug. Die Switch hat Pads mit einem Digikreuz, zwei Analogsticks und 12 Buttons. Wenn man dann den eigenen Funktionshaushalt so widerspenstig, uneinheitlich, störrisch und vollkommen unnötig komplex auf eine Steuerung projiziert, dann ist das vieles, aber ganz sicher kein Qualitätsmerkmal.

Und die Steuerung ist halt nur einer der Eckpunkte wo das Spiel nicht zu Ende gedacht wirkt.
Dass einen das Game dennoch flashen kann und es halt irgendwie dennoch funktioniert, geschenkt, darum ging es mir gar nicht.


< antworten >