Thema:
Witcher 3 - oder die Suche nach der modernen Open-World flat
Autor: phaxy
Datum:15.04.21 20:53
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 38 - Vorwärts immer! von Lynne

Spoiler: Eine insgesamt schwere Geburt.

Witcher 3 ist für mich über Jahre sowas wie die Achillesferse gewesen. Zweifelsohne ein cooles Universum.
Erschlagen vom grandios vergeigten Einstieg (Tutorial-Overkill!) habe ich es ewig liegen lassen, nur um mich doch endlich aufzuraffen. Schließlich ist es WITCHER 3.

Und weil über das Spiel bestimmt schon alles geschrieben wurde, habe ich nur einen Aufhänger, welcher zentral mein Erfahrung damit bestimmt hat.

Denn die Welt ist schon schön und schön detailliert und leider... viel zu groß. Sie beeinflusst in ihrer Landmasse meinen Genuss des Spiels erheblich.
Dabei ziehe ich neben mancher Quests in erster Linie Freude und Befriedigung aus der Welt, wenn diese in wortlose Geschichten erzählt wird.

- was macht das Wagenrad am Wegsrand?
- was tun Einwohner gegen mögliche Errosion des Bodens?
- wo und wie bauen sie Brücken und Wege
- wie haben die einstigen Bewohner die Boote zum Wasser transportiert?
- wie hat man es geschafft riesige Tunnel in den Fels zu treiben?
- was mag hier passiert sein, dass das Dorf verlassen wurde und sich die Natur sein
Revier zurück holt?
- warum liegt hier Stroh rum?

Toll! Aber eigentlich wird dieser Mikrokosmos erdrückt.
Und zwar weil Witcher 3 alles daran setzt von seiner Welt und der Erkundung als ein essenzielles Kernlement abzulenken - nur mit atrifiziellen Elementen: Antiimmersive Schriftzüge und Distanzangaben, die Karte, die Zangsstörungen auslöst, die Google-Minimap, sie alle sind ein deutlicher Wink, dass ich nur ein rastloser Nomade zwischen einzelnen Orten bin - kein Teil dieser Welt.  
Um es zu präzisieren: Im Kontext der Story herrscht ironischerweise nur selten Zeitdruck, es ist somit selbstauferlegter Stress. Aber beeinflusst durch die vielen Informationen am Schirm manifestiert sich das Spiel an einem begrenzen Feierabend als zusätzliche To-do-Liste, sodass ich es kaum als Welt und Umwelt anerkennen kann und diese somit auch nicht genieße.

Dabei ist es unerheblich wo Gerald gerade ist, das Taxi im Pferde-Skin kommt nahezu überall durch und auch wieder weg. Unbekanntes Gebiet? Mächtige Gegner? Sollte ich von der Straße (ich nenne sie mal: "Adern einer sicheren Zivilisation") abweichen und mich behutsam ins Unbekannte und möglicherweise gefährliche Unterholz vortasten, geleitet von natürlicher Neugier, von _mir_, dem Spieler selbst, weil dort irgendwo vielleicht ein toller Fund begraben ist? Solch Abwägung der Risiken kommt nie zu Stande. Natürlich kommt auf mal ein übermächtiger Gegner daher, der mich im schlimmsten Fall am Betreten einer Ruine hindert. Aber es ist egal. Ich drehe mich um und kehre nie wieder zurück. In der anderen Richtung sind schließlich noch hundert andere POIs und Aufträge. Ich verpasse meistens auch keinen geilen Loot, oder - Gott bewahre - spannende neue Fähigkeiten. Ich empfand es so sehr als Sammeln zum Selbstzweck, dass ich nach der Hälfte der Spielzeit gar keine Lust mehr auf Kisten, Truhen oder Fässer hatte. Des Trödels wegen, klar, aber auch das Tragelimit haben mich davon abgebracht.

Ich werde vielmehr dazu "motiviert" kopflos Brotkrumen hinterher zu laufen, auf einer Karte, die bereits vollständig und korrekt kartographiert wurde und dem Spieler komplett zur Verfügung steht. Ich muss mich mit der Umgebung nicht auseinandersetzen geschweige denn einprägen. Grundlegende Orientierung ist nicht nur nicht notwendig, sie ist imo auch kaum möglich. Oder kann jemand in Novigrad von Hattoris Schmiede zum Goldenen Stör laufen, nur anhand von Merkmalen und Wahrzeichen, vielleicht einprägsamen Gassen und Vierteln?
Die Folge: ein vertrautes Gefühl, wenn man von der Umgebung eine innere Karte gezeichnet hat, wird nie entwickelt. Nicht für die Welt, nicht für eines der Gebiete, noch nicht mal für Novigrad. Für die Überbrückung von Distanzen kann ich lediglich auf das Radar starren und ich komme trotzdem prima zurecht. _Ohne_ Minimap und Markierungen aber wäre Gerald aufgeschmissen..

Und so sehr schätzt CDPR seine eigene Welt.

Im Nachhinein muss ich mir doch die Augen reiben, über den Einfluss, den Gothic auf The Witcher gehabt haben soll. Denn Gothic 1+2 ist das genaue Gegenteil und dort fundamental besser.

Witcher 3 schleudert natürlich eine für die Größe großartige Produktionsqualität hin, aber aufgrund dieser insgesamt verschwendeten Welt, bin ich emotional irgendwann der Gleichgültigkeit angekommen. Je mehr mir die Welt präsentieren möchte, desto weniger kann ich diese wertschätzen. Da mögen manch Quests noch so gut geschrieben sein.

Es hätte ""nicht viel"" bedurft für ein erfüllenderes Erlebnis, sicher aber das:
deutlich weniger.

Meine Frage:
Gehört The Witcher 3 also immer noch zum Besten in Sachen OW?


< antworten >