Thema:
Assassin's Creed: Valhalla (Platin) flat
Autor: FWE
Datum:05.02.21 13:31
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 38 - Vorwärts immer! von Lynne

Ich habe über 200 Stunden in dieses Umfangmonster versenkt. Ich habe so ziemlich alles erledigt, was man erledigen kann und jede Kiste geöffnet. Mich hat das Spiel gut unterhalten - und dennoch ist es auf so vielen Ebenen mies.

Zunächst mal: Ich mag Assassin's Creed und ich kann auch gut mit der UBI-Formel. Das Abgrasen der Map ist wie das Füllen eines Panini-Sammelalbums. Hier gab es viele kleine Rätsel und auch ein paar nette Kurzgeschichten. Ausgerechnet der Sammelteil war für mich der beste Teil des Spiels, denn...

...das Core-Gameplay ist völlig im Eimer. Das Level-/Power-System hat nur wenig Auswirkungen. Man erlangt über den Skill-Tree neue Fähigkeiten. Aber ob man Power 100 oder 400 hat, spielt irgendwie keine so große Rolle. Nach meinem Verständnis müsste ich mit Level 400 im Startgebiet (Level 20) jeden Gegner mit einem Schlag wegballern. Aber das funktioniert nicht. Ebenso wenig ist das End-Gebiet besonders schwer. Wenn man Nebenaufgaben macht, ist man sowieso schnell overpowered.

Es gibt einige Rüstungen und Waffen, die man aber nie benutzt, weil Upgrade-Material zu rar ist. Ich wette, mindestens die Hälfte der Spieler rennt am Ende des Spiels im aufgerüsteten Starter-Equipment rum. Ich habe ziemlich früh im Spiel bei jeder Gelegenheit im Laden Titanium gekauft. Am Ende des Spiels reichte es dann für zwei voll aufgerüstete Rüstungssets (von ca. 10)  und einer voll aufgerüsteten Waffe jeder Gattung (von jeder Menge). Wenn also jemand sich auf das Titanium verlässt, das er im Spiel findet, hat er am Ende vielleicht eine Waffe und eine Rüstung voll aufgerüstet. Das ist viel zu wenig, um mit der Ausrüstung zu experimentieren.

Verschiedene Builds sind auch nicht möglich, da das Spiel den gleichen Fehler wie Ghost of Tsushima macht: Um etwas anderes zu tragen, müssen sämtliche  Ausrüstungsteile einzeln geswitcht werden. Wenn man dann noch die Runen in der Ausrüstung wechseln will - gute Nacht. Es gibt drei Bogengattungen im Spiel. Ich habe nur eine benutzt, weil ich zu faul war, um immer über das Inventar zu wechseln. (*Ghost of Tsushima hat übrigens in einem Patch die Möglichkeit zum direkten Wechsel der Ausrüstung nachgeliefert. Vorbildlich!)

Das Kampfsystem ist ein trauriger Rohrkrepierer. Die Idee dahinter ist von den Soulsspielen geklaut, aber komplett in den Sand gesetzt. Es gibt verschiedene Gegner mit verschiedenen Angriffen. Diese kann man blocken oder parieren. Soweit so gut. Man selbst hat leichte und starke Angriffe. Jetzt würde sich im Souls-Universum ein Reigen aus blocken/parieren und Kontern entwickeln. Nicht so hier. Man kann nämlich gegnerische Angriffe nicht unterbrechen. Manche Gegner feuern nun einen unblockbaren Angriff nach dem anderen raus. Und nun? Die Lösung findet sich im Skill-Tree: Eine Fähigkeit verlangsamt beim Ausweichen die Zeit. Godmode on! Standardgegner besiegt man sowieso mit R1, R1, R1... (leichter Angriff), unfaire Gegner besiegt man in Zeitlupe mit R1, R1, R1. Wenn man einen Morgenstern hat, verdrischt man jeden Gegner, inklusive der Bosse, auf diese Art. Denn der Morgenstern kann die Gegner stunlocken.
Und so geht die ganze schöne Idee eines Kampfsystems den Bach runter, weil sie nicht konsequent durchgeführt wird. Es ist offensichtlich, dass man hier nicht den Mut hatte, dem Spieler eine Lernkurve aufzuzwingen. Das Kampfsystem existiert nur in der Theorie, tatsächlich reicht Buttonmashing und Ausweichen.

Die übergreifende Story fand ich eher mau. Die Bezüge zur Jetztzeit haben mich in AC schon immer genervt. Wikinger finde ich lame. Keine Ahnung, was alle an denen finden. Hier sind sie auch nur eine von Ehre und Blut faselnde marodierende Bande. Und dazu immer dieser Traum von Valhalla, dem Ort, an dem man bis zum jüngsten Tag säuft und kämpft. Und am jüngsten Tag nimmt man dann an Ragnarök, dem großen Krieg, der alles beendet, teil. Geht's noch? Was soll man von einer Truppe erwarten, deren Mythologie komplett ballaballa ist. :)

Da das Spiel durch das Wikinger-Setting im 9. Jahrhundert spielt, gibt es architektonisch auch nicht viel zu entdecken. Ich fand dieses AC von der Umgebung her eher langweilig und eintönig. Es gibt viele hübsche Momente in der Natur, mit tollen Lichtspiegelungen etc. Aber die Welt lässt sich zusammenfassen in: Wasser, Gras, Bäume, Felsen, Holzhütten, römische Ruinen und ein paar Kirchen. Mehr war halt nicht los im England des 9. Jahrhunderts. Camelot war nirgends zu finden und Robin Hood noch nicht geboren. :(

AC Odyssey fand ich um ein Vielfaches besser. Die Antike gab einfach viel mehr her. Kassandra war mir auch viel sympathischer als die/der grummelige Eivor. Apropos Charaktere: Die Wikinger trampeln in dem Spiel breitbeinig und bullisch durch die Gegend, was ihnen ein Barbarenflair verleiht. Allerdings laufen und stehen auch alle weiblichen Charaktere so herum. Das sieht bescheuert aus. Die Frauen müssen für mich nicht besonders feminin und weichgezeichnet sein. Aber für mich sah es albern aus, dass als Motion Capture für alle Figuren anscheinen Conan der Barbar Modell stand.

Ach ja: Das Spiel ist immer noch buggy. Normalerweise kaufe ich AC nicht zum Release, ich wollte aber etwas Glanz für meine PS5. Das war ein Fehler. Das Spiel beinhaltet noch einige üble Bugs. Manche verhindern das Fortkommen in kleinen Nebenquests und manche das Erhalten von Trophies. Dazu kommt ein Haufen kleinerer  Bugs und Glitches. Aber das wird sicherlich noch gepatcht.

Für mich war AC Valhalla ein unterhaltsames Spiel ohne große Höhen und Tiefen. Es ist ein Spiel der verpassten Chancen. Es beinhaltet viele gute Ideen, von denen aber kaum eine gut umgesetzt ist. Wer, wie ich, die AC-Berieselung mag, wird immer noch Freude daran haben. Jeder andere greift bitte z.B. zu Ghost of Tsushima.


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