Thema:
Re:Das Spiel ist einfach krass unterbewertet flat
Autor: token
Datum:05.01.21 18:25
Antwort auf:Re:Das Spiel ist einfach krass unterbewertet von phaxy

>>Wäre fast mein GOTY geworden. Gerade im Vergleich zu TLOU2 ist es schon krass wieviel mehr es bietet. Sympathischere Charaktere sowieso. ;)
>
>Nicht immer hinter Smilies verstehen, raus bei der Sprache:
>Was denn zum Beispiel? :P


Eine offene Welt.
Spielerische Freiheiten.
Eine Geschichte die nicht das komplizierte sondern das einfache probiert und das hinbekommt.
Charaktere mit denen man sich identifizieren kann und ein Spiel das versucht diese Form von Immersion zu unterfüttern statt sie zu torpedieren.

Wie auch immer, da Day's Gone OW ist und OW lebt und TLoU2 klassischer ND-Story-Tunnel ist, sehe ich einzig und allein aufgrund des ähnlichen Szenarios eine Form von Vergleichbarkeit, aber im Grunde sind das Äpfel und Birnen.

In Sachen der qualitativen Einwertung des Gesamterlebnisses gehe ich aber bei Spyro mit, halte DG selbst für öffentlich unterschätzt und TLoU2 für öffentlich überjazzed, auch wenn der Hate sehr eklig war und man sich von sowas distanzieren muss, heißt Distanzierung von Hohlrollern ja nicht automatisch dass man das Produkt super findet. Auch ich hatte mit DG letzten Endes mehr Freude und ein runderes Erlebnis als bei TLoU2.

Vergleichen würde ich Teil 2 aber natürlich mit dem Vorgänger und nicht mit einem Spiel mit einer spürbar anderen Ausrichtung. Und da sehe ich Teil 2 schon als massiv spürbares Downgrade zu Teil 1 im Gesamterlebnis.
Besser ist, was auf der Hand liegt, die audiovisuelle Umsetzung. Klar. Allein aufgrund der besseren Hardware. Dennoch auch davon ab krasse Meisterleistung, etwa Dynamik bei Animationen im Kampf, ablesbare Emotionen auf Gesichtern ohne uncanny valley usw.
In diversen Aspekten referenzverdächtig. Und zwar für das gesamte Medium und nicht nur für die Plattform.
Obendrauf auch das deutlich geilere Gameplay, das spielt sich wirklich gut. Teil 1 war nicht scheiße, aber Teil 2 ist halt "wirklich" gut im Combat.

Alles andere, wirklich alles, finde ich schlechter.
Allem voran kreide ich Teil 2 an, dass der Erstling, zum ersten mal in NDs Geschichte, fast abschließend verstanden hat wie der Spiel-Film funktioniert.  Uncharted hatte immer so ein Rauschen an beiden Flanken, sowohl Gameplay als auch Story und deren Erzählung hatten Flaws und griffen auch nicht wirklich super ineinander.
Bei TLoU haben diese beiden Aspekte miteinander getanzt, und jeder Tänzer war dabei auch für sich perfekt. Dieses Spiel hatte imo nur einen einzigen Denkfehler, ein kleiner verschmerzbarer Makel, quasi der einzige Kritikpunkt.
Nämlich den möglichen Bruch zwischen Spieler und Spiel im Finale.
Als ich damit durch war, war mein Fazit, ND, herzlich willkommen im Entwicklerolymp. Technisch gehörten sie schon immer dahin, aber da war der Punkt erreicht wo nicht nur die Technik sondern auch das Gesamtbild des Spiels auf höchstem Niveau zu überzeugen wusste, und dabei haben sie auch noch einige wegweisende Impulse gesetzt, etwa derart ergreifende Videospielcharaktere wie man sie so noch nicht gesehen hatte.

Und was hat ND daraus gemacht?
Aus diesem einzigen Kritikpunkt ein 40 Stunden langes Spiel gezimmert und alle Details die man im Erstling noch fabulös umgesetzt hat, etwa dass Alles was es im Spiel gibt sich auch in die Symbiose aus Game und Erzählung einzugliedern hat, und seien es nur Collectibles, vergisst.
Danke für Nichts.

Müsste ich mutmaßen warum das so passiert ist, würde ich vermuten dass Teil 1 wie das Resultat von Teamwork wirkt, wo sich Stärken einzelner Bereiche gegenseitig ergänzen und jeder im Sinne der Sache auch die notwendigen Einschnitte gemacht hat damit der möglichst perfekte Kompromiss heraus kommt.
Und Teil 2 wirkt auf mich eher wie die Narrenfreiheit einer Einzelperson die über Köpfe hinweg entscheidet und von niemanden eingefangen wird, ähnlich wie Lucas bei den Prequels. Der halt paar Sachen einfach super kann, aber eben nicht alles super kann und im Team besser aufgehoben ist als am Dirigentenpult.
Anders kann ich mir eben kaum erklären dass diese immersionsfördernden Details in Teil 1, die in ihrer schieren Bandbreite und im Zusammenspiel so durchdacht wirken dass sie wohl kaum Zufall sein können, derart unter die Räder geraten konnten.

Man weiß da echt nicht wo anfangen und wo aufhören.
In Teil 1 ist Ellie ein Teen der keine andere Realität kennt. Das sammeln von Comics, eine Teenpassion vor dem Clusterfuck, zündet bei ihr. Und natürlich passt das und wird auch genauso eingewoben. Joel, der eine immer größere Bindung zu Ellie aufbaut sammelt also fortan Comics ohne dass man das als Spieler kurios findet warum jemand in der Apokalypse so einen Scheiß sammelt. Weil es kein Scheiß ist, weil es ihr eine Freude macht, weil sie auch davon erzählt, weil er sie zunehmend ins Herz fasst. Alles greift ineinander. Alles.
Selbst so etwas nebensächliches wie ein Collectible ist ausgearbeitet und fügt sich in ein erzählerisches Gesamtbild. Alles ist motiviert, alles ist glaubwürdig. Diese Welt frisst einen auf, man verliert sich darin, weil alle Details bis in die letzte Hinterritze sitzen.

In Teil 2 ist Ellie eine junge Frau. Es ist viel passiert. Ellie hat gelernt Gitarre zu spielen, Musik ist für sie zu einer Passion geworden, ihr Verlust betrifft explizit ihre Fähigkeit zu musizieren, wenn sie ihre Liebe ausdrücken möchte, greift sie zur Gitarre. Was sind die Collectibles? CDs? Schallplatten? Notenblätter? Nein, immer noch Comics. Im Szenario eines blindwütigen Rachefeldzugs sammelt sie Comics. Das ist halt nicht mehr die bis in die letzte Faser durchgeschliffene erwachsene Unterhaltung die einen an allen Flanken in diese Welt und die Perspektiven der Protagonisten einsaugt, sondern halt wieder das klassische gamey game mit fehlendem Blick für genau die Details die Teil 1 in meinen Augen so herausragend gemacht haben.

Und das macht das Spiel nicht schlecht, aber es ist ein Indiz für die gemachten Downgrades wo man bestimmte Vehikel des spielerischen Mediums entweder der erzählerischen Idee opfert anstatt die Symbiose zu suchen, oder durchaus machbar Anpassungen solcher Details versäumt weil sie einem egal sind.
Und diese Indizien häufen sich und bilden einen roten Faden.
Brüche mit der Light-RPG-Mechanik durch Zeitsprünge und Perspektivwechsel, was bei Teil 1 das funktionale One-Trick-Pony war, wird hier zu einem problematischen integralen Dauerprinzip.

Motive und Verhaltensweisen sind teilweise kaum nachzuvollziehen, Charaktere verhalten sich oftmals wenig glaubwürdig. Möglicherweise generelle erzählerische Schwäche die einfach bei Teil 1 nicht zum tragen kam, weil da galt, keep it simple, schau in die Herzen. Da war nix komplex und gerade deswegen war es so ergreifend. Und dann eben dieser "eine" Kritikpunkt von Teil 1. Wenn du Immersion willst, dann sabotiere diese nicht! Wo Teil 1 im Finale zumindest eine 50-50 Situation hatte wo er zumindest eine Gruppe von Spielern hatte die mit Joel auf Linie waren, stellt er nun einhundertprozentig sicher dass er diesen Konflikt aus Spieler- und Charakterperspektive bei ALLEN erreicht, indem er den Spieler einfach gegen sich selbst kämpfen lässt. Brillant? Naja.
Für mich persönlich ein breaking the 4th wall in _komplett_ bescheuert.
Als ob es beim dramatischen Höhepunkt ein Mehrwert sei, wenn ich als Spieler nicht in character bin, sondern wtf ND denke.

Wer das alles anders sehen möchte kann das gerne so tun. Der Begeisterung und den dahinter stehenden Gründen kann man sich ja nicht verschließen und ausrufen, du erlebst das Spiel falsch, du hast es so wie ich zu erleben. Sehr vielen Qualitäten kann und will ich mich auch selbst nicht verschließen, auch wenn ich es eher kritisch sehe, reicht es auch für mich trotz aller persönlichen Probleme zum GotY-Treppchen, das will bei einem Spiel mit dem ich bei so vielen Aspekten auf Kriegsfuß stehe was heißen.

Wer da also ein Meisterwerk erlebt hat dem sei es gegönnt. Es ist eine begründbare Perspektive. Aber die andere Perspektive auf dieses Machwerk ist auch sehr gut begründbar, und das reicht weit über "Mimimi-Scheißmannweib was habt ihr mit Joel und Ellie gemacht ihr Schweine" hinaus.

Mit der Denkonstruktion hab ich kein Problem.
Mit dieser Form von Symbiose aus Spiel und Film aber schon. Sie wirft imo ND um ein Jahrzehnt zurück. Da war man schon deutlich weiter. Das ist für mich kein Olymp. Das ist wieder Uncharted aber als Feelbad-Game was viel zu viel will und darüber vergisst die einfachen Dinge richtig zu machen, und die erzählerischen Ambitionen IN das eigentliche Spiel zu weben, und nicht das Spiel diesen unterzuordnen, was man imo getan hat.


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