Thema:
Mei o mei. Auch durch, markierter Spoiler flat
Autor: phaxy
Datum:30.12.20 10:46
Antwort auf:Shadow of the Tomb Raider [PS4/Box] von !!!

Siehe: [https://www.maniac-forum.de/forum/pxmboard.php?mode=message&brdid=1&msgid=4844315]
Hat mir sehr viel Spaß gemacht.

7/10






So. Und jetzt kommt der Spoiler-Rant ;)

Hier wurde die tolle Arbeit hunderter Entwickler sabotiert.
Shadow of the Tomb Raider schafft so gesehen erneut ein Wunder: die Antiidentifikation mit dem Charakter.

Ich dachte mir zu Beginn noch wäre bestimmt ein cleverer zentraler Kniff, um zu zeigen, wie weit Lara bereits in die Obsession abgedriftet ist:
Sie soll quasi als "menschliches Exponat" für den Spieler die Leiter der Extreme nach oben klettern und kommt am Gipfel wieder zur Besinnung, z.B. wenn sie echte Opfer bringen muss.
Entsprechenden Hinweis von Jonah gibt es aber nur zu Beginn.
Immerhin hat Lara (unabsichtlich) hunderte ziviler Menschenleben auf dem Gewissen.
Aber es ist Jonah der zweifelt, der sich schuldig fühlt. Als er jedoch diesen Gedanken mit Lara teilt, um irgendeine Rückmeldung zu bekommen, lenkt diese sofort ab auf das Artefakt, das sie finden muss:
[https://youtu.be/ZBmVcxs90As?t=1030]

Und so geht das weiter.

Situation 2:

- die Darstellung Laras im "verhätschelte-Kindheit"-Level...
Welches Bild will man hier denn eigentlich vermitteln? Wie tollkühn, unbeschwert und klug die junge Lara bereits ist? Dass sie keinerlei Hürden im Leben hat, sozusagen nur eine Kleinversion der erwachsenen Lara ist?
Wo macht das Kind dummes Zeug, wie jedes andere auch? Hat sie keine Freunde?

Situation 3:

- als Jonah versucht mal etwas Persönliches über sich Preis zu geben, macht Lara das, was sie am besten kann:
Sofort über ihren toten Vater sprechen.

Situation 4:

- Im peruanischen Dorf wird Lara natürlich nett und zuvorkommend empfangen. Die Leute sind nicht misstrauisch, was ein weißes Weib neben einer Privatarmee auf einmal dort macht. Umgehend springt eine Frau auf, lässt ihren Schraubenschlüssel fallen (die Leute haben ja eh nichts Besseres zu tun) und spendiert Lara und Jonah ein paar Bier ...
Und was macht Lara.. Sie legt ihre Pistole erstmal mitten auf den Tisch!
[https://youtu.be/Y54QZkxbIzM?t=710]

Situation 5:

- ich treffe auf zwei Söldner, die aufschrecken und panisch durch die Luft ballern, weil gerade "Etwas" im Gebüsch ist und die Kollegen erledigt. Lara ermordet sie ohne mit der Wimper zu zucken und fragt sich daraufhin wovor diese wohl so viel Angst gehabt hätten.
Hmmm, ich weiß nicht Lara, vielleicht vor einem grausamen Ableben ... also vor DIR??


Situation 6:

- Lara beschädigt trotz Warnungen mutwillig Bauten und rechtfertigt das damit nur "etwas freizulegen"


Für was genau steht der Charakter Lara Croft also heute. Denn sie ist keine souveräne Figur, die nach Werten und eigenen Maßstäben Entscheidungen trifft. Vielmehr tritt sie als ständige Geriebene auf. Getrieben von Trinity, von ihrem Vater und von ihrem Selbstmitleid. Einmal heult sie rum, hat die totale Sinnkrise ([https://youtu.be/e1yoc72n0Es?t=1010]), dann ist sie erneut** als "coole" Tötungsmaschine inszeniert:  Sie soll so menschlich sein, die auf diese Extreme reagiert..

Stattdessen ist sie emphatielos und narzisstisch.
Sieht steht für nichts.



Weiteres:

- die Nummer mit dem "lass uns Freunde sein"-Sidekick kaufe ich ihnen immer noch nicht ab:
Jonah spielt laufend die dritte Geige in ihren waghalsigen Abenteuern. Er ist der Engel auf ihrer Schulter, der ihr jedoch auch zum passenden Zeitpunkt keine Vernunft einprügelt. Lara und Jonah haben keinerlei Schnittmenge, weder ideologisch, charakterlich, geschäftlich, noch können sie sich sinnvoll ergänzen: Er ist "nur der Koch", sie, so ihre Behauptung, die """Archäologin""".
Warum existiert Jonah überhaupt im Lara-Universum? Warum tut er sich solche lebensgefährlichen Situationen an, wenn das Verhältnis hier ein rein platonisches ist?

- Lara kommt in ein kleines Dorf im Urwald, nimmt einfach mal pauschal an, dass alle Englisch sprechen ... und alle tun es. Ja sogar ein paar Stunden weiter, bei den indigenen Ureinwohnern einer verschollenen legendären Hauptstadt gibt es keinerlei Verständigungsprobleme. Die Leute sprechen normales Straßenenglisch***, samt Redewendungen.
Und das bei einem modernen Spiel in dem es ausgerechnet um ferne/vergangene, mysteriöse Kulturen geht? Einfach nur verblüffend, diese Entscheidung.

Lara nimmt erneut keinerlei Form an, wieder wird sie nicht wachsen. Kulturelle Differenzen? Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung? Charmante Momente? Nöööö! Das Spiel vermittelt: Lara kann das alles (irgendwie) schon bzw. es wird einfach ausgeblendet.

** SotTR [https://youtu.be/e1yoc72n0Es?t=803]
*** dieser Punkt wird in einem Log auf extrem deppade Weise aufgeklärt.

Die Story bzw. die Einbindung ins kulturhistorische Konstrukt sind eh albern: Die Maya-, Azteken- und Inka-Kulturen werden zu einem Bullshit-Bingo zusammengemischt, dass man als Laie bald nicht mehr weiß, um welche es eigentlich ging. Für Lara Croft, der Archäologin, ist es eh alles das selbe.
Man merkt TR an, dass im Team einige Volontäre mit an Bord sein mussten, die ganz interessiert von Wikipedia abschrieben und dann von den Story-Writern plattgewalzt wurden.

SotTR schafft Erstaunliches, oder besser gesagt einen erstaunlichen Fehler:

Vermische nicht die dargestellte Kultur mit dem fremden Spielecharakter.
Lara Croft ist nicht einfach außenstehende Beobachterin einer verschollenen Stadt, sie mischt aktiv darin mit, ist deren Ritter und Retter. Sie stoppt das Böse, erledigt läppische Aufgaben für das primitive und unfähige Volk und nimmt als selbstverstandene Belohnung nebenbei deren Hab und Gut mit.

Und für all diese Faktoren ist Tomb Raider einfach nicht charmant, nicht augenzwinkernd genug.

Denn in der Story geht um nichts weniger als.. alles, Weltuntergang.
Drei Iterationen wurde hier versucht den Hauptcharakter darauf auszulegen - und scheitert phänomenal.

Um die Platzierung von Lara in dieser Welt irgendwie zu retten, hätte es einen Twist gebraucht, der sie in nach einer Wahnvorstellung in einer Heilanstalt aufwachen lässt. Anders lassen sich Story, Dialoge, die überhöhte Darstellung ihrer Kindheit, das gleichgültige, aussagelose Verhältnis zu Jonah, der rasche Wechsel ihres Geisteszustandes und die Resonanz der Einwohner auf ihre Anwesenheit nicht erklären.

Wie sagte eine dieser: "Aber wenn die berüchtigte Lara Croft so klug ist, wie man sagt..."

Natürlich. :D


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