Thema:
Wird noch sehr lange nachreifen, man erkennt aber flat
Autor: Syxta
Datum:24.12.20 01:50
Antwort auf:Cyberpunk 2077 — 4 the Luo Clan! von Karotte

schon jetzt den Megastar.

Und alle, die ihre Collector's Editions storniert/retourniert haben, werden sich in einigen Jahren tierisch in den Arsch beißen, wenn die Dinger doppelt und dreifach soviel wert sind, weil auf einmal alle Welt das (dann endlich heile, vollständige) Spiel geil findet.

Verstehe auch gar nicht, warum nur und ausgerechnet die PC-Version der CE restlos ausverkauft ist. Klar, die PS4- und Xbox-Versionen des Spiels taugen mit jetzigem Stand nicht viel, aber als jemand, der am PC spielt und dort sowieso nur einen Download ohne jegliches Interesse an physischen Datenträgern nutzt, würde ich mir bei Bedarf einfach eine PS4- oder Xbox-CE kaufen, wenn ich keine der PC-Fassung abbekommen habe. Im Gegensatz zur PC-Version besteht hier sogar eine reelle Chance, in ein bis zwei Jahren einen verwertbaren Datenträger im Gesamtpaket zu haben.

Ich spiele derzeit noch auf einer 980ti in 1080p, mit den vom Spiel für meine Hardware standardmäßig vorgegebenen Grafikeinstellungen (mehr hab ich mich ehrlich gesagt noch nicht getraut, daran rumzufummeln) und aktiviertem HDR10. Und es sieht so schon ziemlich schick aus, auch wenn es natürlich ganz weit weg von der Optik neuerer RT-Karten ist. Das hole ich zu gegebener Zeit nach, wenn dieser ganze Hardware-Abfuck hoffentlich irgendwann mal ein Ende hat.

Kritik gäbe es massig, einige der Mängel wurden aber bereits in den letzten paar Patches behoben, beispielsweise meine Fleischmützenvisage im Spiegel, statt der angezogenen Kopfbedeckung samt darunter hervor sprießenden Haarpracht.

Ich hatte im bisherigen Verlauf diverse kleinere Glitches, einer davon ließ mich beispielsweise eine kleine Nebenmission nur durch Verwendung von Quickhacks bewältigen, weil eine Gegnerin beim Aussteigen aus dem Fahrzeug im selbigen steckenblieb und mit Waffen nicht anvisierbar war, oder ich sah einige visuelle Fehler wie fragmentierte Rauchschwaden aus Schornsteinen in der Ferne, aber im Großen und Ganzen in gut 50 Stunden nichts Tragisches, definitiv keine Game-Breaker.

Absolut nervig finde ich die als aufsammelbar angezeigten Items, die einfach nicht vom Fadenkreuz erfasst werden, reißt mich jedes Mal wieder heraus. Überhaupt wäre die Item-Platzierung für mich einer der allergrößten Kritikpunkte am Spiel und ich hoffe, dass hier noch irgendwie nachgebessert wird. Das Spiel müsste eigentlich Cybersoda heißen, collecting soft drinks since 2077, one can at a time.

Den ganzen food and beverages shizzle sollen sie bitte möglichst rauseditieren, genauso die unzähligen Billo-Waffen und Billo-Klamotten. Letzere erinnern in ihrer schieren Menge und Unnötigkeit schwer an den größten Kritikpunkt an Mass Effect 1, und das ist schon steinalt. So ein Micro-Management braucht kein Mensch, das hätte unbedingt besser gelöst werden müssen. Dazu kommen noch Trillionen von Shards, die einfach überall doppelt und dreifach herumliegen.

Aus ständiger Panik, irgendetwas wirklich brauchbares zu übersehen, durchkämme ich Millimeter für Millimeter und sammle natürlich alles ein, was geht. Muss man überhaupt nicht, aber das ist irgendso ein zwanghaftes Ding, was mir wahrscheinlich die vielen, vielen RPGs und Action-Adventures vor Cyberpunk so anerzogen haben. Und hier ist es einfach komplett übertrieben und die Items bisher in weiten Teilen auch  absolut nutzlos.

Und mein letzter Kritikpunkt sind die sehr früh in sehr hoher Anzahl aufploppenden Quest- und Eventmarker auf der Map, die ein Completionist natürlich möglichst vor dem Fortschritt der Mainstory abklappern will. Dabei handelt es sich zum größten Teil um eher belanglose Events, die Night City Leben einhauchen sollen, was sicher eine viel bessere Wirkung hätte, wenn sie einfach irgendwo neben einem passieren, während man zufällig an dieser Stelle vorbeikommt, statt die Marker via Map gezielt anzusteuern. Womöglich waren die Entwickler aber so blickig und haben es dem Spieler freigestellt, diese Marker auszublenden und ich habe diese Option oder diesen Filter nur noch nicht entdeckt.

Das war's auch schon mit dem Genörgle, alles gar nicht so tragisch und tritt für mich in Anbetracht der Pluspunkte komplett in den Hintergrund.

Der Rest des Spiels ist bereits jetzt, so kurz nach Anlaufen der Beta, ein absoluter Cybertraum.

Der Sprawl ist genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe - feindselig, abgefuckt, dreckig und dennoch wunderschön in all dem Neonglanz. Und die Storyline ist gleich zu Beginn gewohnt gut inszeniert, packend, mitreißend und wird zunehmends abgefahrener (habe gerade das XBD-Lair hinter mir und bin nun mit Panam unterwegs).

Das Hacking funktioniert großartig und ist passenderweise wohl eines der wichtigsten Gameplay-Elemente. Persönlich hätte ich mir jedoch visuell und auch spielerisch etwas mehr Tiefe gewünscht, nicht nur solche kurzen Minigames im Stil von Bioshock, sondern eine Art Parallelwelt, in die man über Access Points richtig eindringt, darin herumläuft und dort Rätsel löst. Ähnlich wie in den Braindances, nur etwas mehr im Stil der Matrix aus dem alten Neuromancer (C64, Amiga, PC?).

Breach Protocol, die vielen verschiedenen Daemons, deren Erweiterungen via Perks, sowie die ganzen Cyberdeck-Mods ermöglichen einem bereits eine Vielzahl diverser Problemlösungsmethoden und alles andere, wie beispielsweise die verschiedenen Waffenstile, Cyberware und Perks abseits des Hackings kommen noch hinzu. Das bietet schon verdammt viel Freiheit und ist näher am echten Roleplaying als alles, was ich sonst in den letzten 10 Jahren oder mehr gespielt habe.

Meine Lieblingsspielweise, also ein pazifistischer Stealth-Pro, wird vom Spiel vollständig unterstützt und macht mir wahnsinnigen Spaß. Gerade in er letzten Hauptmission hat das unglaublich zu der düsteren, beängstigenden Atmosphäre gepasst.

Der Soundtrack ist phänomenal und wahnsinnig umfangreich - ich freue mich jedes Mal, wenn wieder ein neuer Refused-Track aus den Lautsprechern dröhnt. Bei den Sprechern bin ich allerdings nicht durchgängig glücklich, insbesondere Herr Reeves wirkt im Original auf mich etwas unmotiviert und ich würde sogar behaupten wollen, dass er schlichtweg kein sonderlich guter Schauspieler ist. Das Ganze ist dennoch auf sehr hohem Niveau und um Lichtjahre besser, als jede JRPG-Synchro.
Ich hatte aufgrund des vielen Lobs trotzdem schon mehrmals in Erwägung gezogen, auf die deutsche Tonspur zu wechseln, aber mit jetzt schon 50 Stunden im Spiel will ich mich irgendwie nicht mehr mittendrin umgewöhnen. Also bleibe ich bei Englisch und wechsle dafür sehr wahrscheinlich bei einem zweiten Durchgang auf Deutsch.

Endlich wieder ein Spiel, an das ich denke, wenn ich gerade nicht zocken kann und welches mich nachts weit über den Vernunftgrad hinaus wach hält. Davor war es zuletzt Zelda: BotW. Und endlich, endlich, endlich nach Deus Ex: Mankind Divided überhaupt mal wieder ein Spiel mit Setting in einer SciFi-Cyberpunk-Dystopie.

Ich glaube, irgendwer hatte hier bereits geschrieben, dass er auf richtig großen Erfolg für Cyberpunk hofft, wodurch eventuell ein neues Deus Ex wieder etwas näher rückt. Dem kann ich mich nur anschließen.

Was den ganzen Release-Supergau betrifft, bin ich relativ entspannt. Sie haben zweifellos Mist gebaut und müssen sich dem jetzt stellen. Öffentliche Stellungnahme mit einhergehenden, vollständigen Rückabwicklungen ist schon ein guter Anfang, aber da muss natürlich noch mehr kommen und ich bin zuversichtlich, dass die Jungs und Mädels es schaffen werden, das Vertrauen der enttäuschten Gamer langfristig zurück zu gewinnen.

Jetzt sollen sie erstmal die Scheiße ausbaden, die sie mit dem nicht als solchen kommunizierten Early Access verzapft haben, sich danach etwas verschnaufen, um dann mit dem Feintuning und den hoffentlich zahlreichen DLCs zu beginnen.


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