Thema:
Anstrengend flat
Autor: token
Datum:20.10.20 07:38
Antwort auf:Boykott brodelt von Sachiel

Losgelöst von dem Standpunkt den du vertrittst finde ich es ganz cool welche Mühe du dir mit dem Post gemacht hast und dass du hier eine Art Zusammenfassung dessen erstellt hast was eine spezifische Gruppe im Kontext des Spiels als Vorwurfskatalog anführt. Handwerklich guter Post, las sich gut, ohne den Diskurs in seinen Details zu kennen scheint mir das einen kompakten Überblick zu liefern.

Und nun zum Thema, aber da muss ich aus ausholen.
Ich habe oftmals ein Problem mit Gruppen die hinsichtlich ihrer Ausrichtung mit einem sehr hohen Engagement unterwegs sind. Ich empfinde die Eigenwahrnehmung solcher Gruppen, losgelöst von ihrem Themenvehikel, ein unpolitisches Beispiel wären Ultras in der Fußballszene, als anmaßend und anstrengend.

Und ich habe ein massives Problem mit etwas was ich fast schon als eine Art aktuellen Zeitgeist empfinde. Normalerweise ist es so dass man einen Strauß von Indizien hat, und diese Indizien können eine Art roten Faden bilden, sie fügen sich dann zu einer Story. Zeitgeist ist jedoch genau dieses Pferd von hinten aufzuzäumen. Am Anfang steht die Story, und zu dieser Story kehrt man dann proaktiv die passenden Indizien zusammen. Und dazu gehört dann auch, alles was dieser Story im Weg steht aktiv auszublenden und möglichst nicht anzusprechen.

So funktioniert Populismus, so funktionieren die ganzen durchgeknallten Verschwörungsagendas, so funktioniert das hochstilisieren von Gruppen und Einzelperson zu einem überzeichnetem Feindbild.

Und oh boy, wenn ich diese "Beweisführung" sehe, what a smell...
Ein Werk das hunderte von Menschen mit ihrem Input gestalten verfolgt also einen eingleisigen und eindeutigen diskriminierenden Masterplan. Dinge die man schon vom Spiel kennt und die dieser Story entgegen stehen, werden mühsam wieder ins Bild gerückt. Ein Chareditor mit bislang nicht gekannten Freiheiten? Das Geschlecht ist an die Stimme gekoppelt! QED! Ausblenden, weiter im Gallop. Ein hochgradig zynisches Szenario wird in seinem eigentlich was entlarvt? Seinem Zynismus? Ernsthaft? Weil ein ikonisches Plakat in ein Cosplay umschwingt, und ein Marketingteam eine gelungen inszenierte Stilblüte ob des eigenen Produkts als günstige Steilvorlage für Marketing begreift? Ist das nicht naheliegend und normal und deren Job? Nein, natürlich nicht, vollkommen ausgeschlossen dass es dafür naheliegende Erklärungen geben könnte, wenn man denn eine andere Story hat in welche so ein Puzzlestück auch passt. Puzzlestücke sind aus Pappe, da muss man halt ein bisschen drücken. Und das geht in einem fort so weiter.

Ich bin's leid und ich bin's auch müde dieses anmaßende Kasperletheater zu beobachten, egal aus welcher Flanke es kommt.
Und es betrübt zu sehen wie solche grotesken Wellen Schwimmer in freien Gewässern erfolgreich zu ihren Surfern rekrutieren. Aber hey, wenn dieser bullshit nicht so erfolgreich wäre, hätte er sich ja auch kaum zum Zeitgeist aufgeschwungen.

Wo kämen wir auch hin wenn Menschen versuchen würden Respekt voreinander zu haben, zu versuchen nett zueinander zu sein und sich nicht mit dem Rucksack eines Generalverdachts zu begegnen, sich nicht in vorgezeichneten Feindbildern zu bekämpfen sondern aus einer immer gegebenen Basis von Gemeinsamkeiten in Konfliktthemen herauszufordern und sich nicht daran messen wie weit ihre Standpunkte voneinander entfernt sind, sondern das was diese Distanzen generiert in ihren Argumenten zu verproben.
Oder kurz, sich wie vernunftbegabte Wesen benehmen und nicht wie ein Haufen hysterischer Hühner.

Zum eigentlichen Thema.
Wenn man mich darüber aufklären möchte wie es ist wenn man mit Problemen zu kämpfen hat die außerhalb des gesellschaftlichen Wahrnehmungshaushalts ablaufen, dann zeigt mir diese Menschen und lasst sie einfach von ihren Problemen erzählen.
Ich hab etwa Tell me why angefangen. Erstmal denke ich, oh, wow, kehrt hier Dontnod etwa zu seinen Stärken zurück? Coole Charaktere, eine instant packende Geschichte die neugierig macht. Und prompt geht es dazu über dass so Sendung mit der Maus mäßig Frontalunterricht betrieben wird. So Sachen wie ein Dialog der nicht mal versucht natürlich zu erscheinen sondern schlecht verpackt darüber unterrichtet wie die korrekte Anrede bei Transgender ist. Keine Geschichte die eine Botschaft hat sondern ein erhobener Zeigefinger der permanent meine Gesichtsöffnungen penetriert. Ich konnte das, trotz des grundsätzlich gegebenen Drives irgendwann einfach nicht mehr weiterspielen weil es so plump und plakativ aufgezogen war dass es das eigentliche Spielerlebnis aktiv untergraben hat.

Als Gegenbeispiel mal die letzte Voice-Sendung. Ein Kandidat der schon mal in der Show war, dort recht erfolgreich agiert hatte, aber zwischenzeitlich eine Geschlechtsumwandlung gemacht hat und es jetzt nochmal probiert hat.
Und dieser Mensch hat von sich und seinem Weg erzählt. Kein Vorwurfskatalog an die Gesellschaft. Sondern einfach erzählt wie zermürbend es war sich sein ganzes Leben lang falsch zu fühlen, sich nicht nur in sich selbst nicht finden zu können, sondern auch in seinem Umfeld immer als Fremdkörper wahrzunehmen. Und all das nicht zu verstehen und dennoch daran in Unglück zu ertrinken. Irgendwann zu begreifen was mit einem los ist, einen Ausweg zu erkennen, aber auch mit massiven Ängsten konfrontiert zu sein dass dieser Ausweg einer sein könnte bei dem man das verliert was einem trotz des dauerwährenden Unglücks aktuell noch Halt gibt.

Da bin ich ergriffen, da springen nicht nur die Tränendrüsen an sondern auch der Kopf. Hinter vielen Dingen die schief gehen steckt kein diabolischer Plan mit perfiden Strippenziehern einer gleichgeschalteten Bande die aus einer Steuerungszentrale dirigiert sondern oftmals triviale Dinge, wie etwa nicht vorhandenes Problembewusstsein. Und die meisten Konflikte lassen sich eben nicht durch einen Krieg beilegen.

Ich würde vielen Menschen die sich in solchen Strudeln verlieren in denen sie Probleme anderer zu ihren eigenen machen und in der Art und Weise wie sie sich darin engagieren nicht gerade den Verdacht erwecken selbst auf einem Fundament der Ausgeglichenheit zu stehen, mal fragen wie es ihnen eigentlich selbst geht. Ob es da vielleicht auch etwas gibt was ihnen selbst zu schaffen macht. Denn dieser Verdacht liegt mir persönlich da eher nahe. Und generell gilt, wer für Respekt wirbt, egal in welchem Themenkomplex, ist gut beraten hinsichtlich seiner Anspruchshaltung bei sich selbst anzufangen. Das Ausmaß wie aktuell bei solchen Themen Form und Inhalt auseinanderlaufen ist mehr als bemerkenswert und führt meines Erachtens nicht in eine bessere Welt sondern vor eine Wand.


< antworten >