Thema:
Spoiler zum Ende von TLOU2 und dem von Oldboy flat
Autor: heffer
Datum:05.08.20 11:27
Antwort auf:Re:Bin also zu doof...alles klar von gameshirtz

"wahnsinnige Liebe", "vergeben", "erlöst" – das klingt mir alles ein wenig zu blumig, quasi eine Oldboy-Version für Wendy-Leser. Das Spiel lässt (natürlich) mehrere Interpretationen zu, aber diese hier gefällt mir nicht. Ich will schlichtweg nicht glauben, dass die Autoren dieselbe Vision hatten.  

Meines Erachtens tust du dem Spiel damit auch nicht zwingend einen Gefallen, denn nach deiner Interpretation wäre das Spiel mE als Gesamtwerk aus Story und Gameplay schon per se gescheitert. Es ist nach wie vor ein ziemlich wuchtiges Action-Spiel, was zum Thema Rache auch sehr gut passt. Wenn nun aber eigentlich Vergebung und Erlösung das Thema wären, dann hätte das Gameplay ebendieses verfehlt. Eine solche Geschichte ließe sich vielleicht über einen Walking-Simulator transportieren.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass gerade auch das Ende nicht vollends gelungen ist, habe aber eine Interpretation, die ich zumindest akzeptieren kann:

1. Ellies Racheanlass sind in erster Linie starke Schuldgefühle gegenüber Joel. Ich meine, dass das zum einen logisch ist, denn Schuldgefühle und Selbsthass können in Hass auf andere umschlagen und erst recht bereits bestehenden Hass, hier insbesondere auf Abby, verstärken. Zum anderen meine ich, dass das Spiel das recht deutlich macht, indem es genau vor dem Moment, in dem Ellie sich entscheidet, Dina für die Suche nach Abby sitzen zu lassen, eine Szene zeigt, in der Ellie Joel zurückweist und anschließend Reue-Tränen in den Augen hat.

Aus der Szene, in der sie Joel gegenüber ankündigt, ihm verzeihen zu wollen, würde ich keine Rückschlüsse auf ihre Motivation ziehen. Zum einen wird ein Fragment der Szene erstmals in genau dem Moment gezeigt, in dem Ellie von dem Mord an Abby ablässt. Das dürfte also allenfalls eine Szene sein, die deutlich macht, warum sie Abby nicht (!) tötet. Zum anderen wäre das eine recht vertrackte Logik für etwas per se Irrationales wie Rache. Der Wille zur Rache entspringt starken Emotionen, keiner verschachtelten Logik. Und vor allem: Ellie mag zu Joel sagen, dass sie ihm noch verzeihen muss, aber die beiden haben schon einen ziemlich positiven und vertraulichen "Vibe" in der Szene. Das dürfte für die Beziehung zwischen den beiden deutlich entscheidender sein als die Frage, ob Ellie im formal-juristischen Sinne eine dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechende "Verzeihungserklärung" abgegeben hat.

2. Dass Ellie Abby nicht tötet, liegt daran, weil ihr in genau dem Moment als sie den Kampf gewonnen und es endlich tun kann, klar wird, dass sie darin gerade keine "Erlösung" findet. Das bringt Joel nicht zurück und das merkt sie hier auch. Entscheidend ist nicht, dass sie ein Bild von Joel sieht, sondern dass dieses Bild sofort wieder verschwindet. Deswegen ist sie in dieser Szene auch so niedergeschlagen wie in keiner anderen, heult und wimmert geradezu.

Das gab es so ähnlich auch in Oldboy, zumindest kann (!) man eine Szene dahingehend interpretieren: Als der Antagonist den Hauptchar so weit hat, dass dieser sich die Zuge abschneidet und ihn anfleht, seiner Tochter nicht die Wahrheit zu sagen. Oh Dae Su ist genau dort, wo der Bösewicht ihn haben will. Dann verlässt der Antagonist den Raum, erinnert sich an seine verstorbene Schwester – und erschießt sich.

3. Irgendwie muss man jetzt noch die letzte Szene mit Joel und Ellie auf der Veranda unterbringen. Aber auch das geht: dieses Gespräch hat es nie gegeben, reine Fantasie von Ellie. Klingt auf den ersten Blick ziemlich plump, macht aber zumindest psychologisch Sinn. Wir neigen alle dazu, auf Schuldgefühle und Trauer reflexartig mit Leugnung zu reagieren. Das kennt jeder, der mal einen Fehler begangen hat und sich im Nachhinein denkt "hätte ich mal xy gemacht". Wir entwerfen Szenarien, in denen wir den Fehler von vornherein vermieden haben oder wieder ausbügeln. Je nachdem wie stark der Schmerz ist, sind diese Fantasien irgendwann nicht mehr von der Realität zu unterscheiden. Ellie bildet sich also zur Verarbeitung ihres Schmerzes ein, sie wäre auf Joel zugegangen und hätte sich mit ihm (quasi) versöhnt.

Das Problem ist nunmehr, für diese Interpretation auch Anhaltspunkte im Spiel zu finden. Aber auch die gibt es und zwar in der Mimik von Ellie kurz bevor die Szene auf der Veranda eingestreut wird.

Im Buch "Körpersprache" von Samy Molcho schreibt der gute Mann an einer Stelle, wer "nach vorne ins Leere schaut", lebt entweder "in der Zukunft oder in einer realitätsfernen Traumwelt".

Genau diesen Blick nach vorne ins Leere hat auch Ellie in der Szene vor der "Rückblende" zum Gespräch auf der Veranda. Mit genau diesem Blick leitet das Spiel zur Veranda-Szene über.

Nach der Szene stellt Ellie dann die Gitarre ab, die sie die ganze Zeit über an Joel erinnert. Es wirkt so, als könne sie durch diese "Erinnerung" an ihn nunmehr mit dem Thema bzw. dem Schmerz abschließen. Das wiederum macht nur Sinn, wenn es die Erinnerung vorher nie gegebenen hat.

Das ist jetzt nur eine (!) von mehreren Deutungen, sicher nicht die einzig mögliche. Aber es ist eben auch nicht weniger, zumindest verschließt sich das Spiel dieser Interpretation nicht völlig. Vor allem finde ich diese Geschichte _wesentlich_ besser als das, was du und andere hier darin sehen wollen. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass das Spiel erhebliche Schwächen in der Story und auch im Telling hat und auch das Ende nicht vollends überzeugt, aber ich finde es immer noch wesentlich besser als das, was du und andere "Pros" in die Story hineininterpretieren. No offense, ihr habt eure Interpretation, die euch offenbar auch gefällt - ich hab meine, die mir besser gefällt.


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