Thema:
Re:100% agree *UNMARKIERTE SPOILERS* flat
Autor: membran
Datum:10.07.20 01:48
Antwort auf:Re:100% agree *UNMARKIERTE SPOILERS* von Gadon

>ich find es einfach Unsinn das einfach zu vergleichen. teil 1 hatte ein geradeliniges und einfach zu greifendes thema: liebe von vater und tochter bzw eltern+kind. da können die meisten von uns bei einfachen mitteln folgen
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>im zweiten mit dem thema hass/rache UND dem turn der ganzen Sache braucht es eben viel intensivere Mittel um das "nachvollziehbar" rüber zu bringen.
>
>das thema in teil 1 ist imo sehr viel einfacher gewesen als in teil 2.


Es ist doch auch einfach interessanter, wenn ein Teil 2 so verschieden vom Vorgänger ist. Wäre es stattdessen ein Nullachtfuffzehn "Joel & Ellie: Back on the road again" gewesen, hätte es den ersten Teil doch geschmälert. So haben beide Teile ihre eigene Identität und stehen für sich, aber Teil 1 legt das Fundament für Teil 2. Das macht imho auch das nochmalige Durchspielen der Reihe viel interessanter.


Und letztlich war Joels Geschichte wohl auch auserzählt. Ich hatte in einem Think Piece (oder war's ein Forenpost?) das Argument gelesen, dass seine Reise in dem Moment zu Ende war, als er Ellie am Ende von Teil 1 rettet und ihr die Lüge auftischt. Danach würde die Perspektive auf Ellie wechseln und es darum gehen, wie sie damit klar kommt. Von dieser Auffassung her ergibt es Sinn, dass er sich schon so früh aus Teil 2 verabschiedet. Der Charakter selber hat nichts mehr aktiv zur Geschichte beizutragen, aber aus seinem Tod kann man nochmal Nutzen für die Story ziehen. Natürlich war ich überrascht, wie früh und unvermittelt das passiert (dass man im ersten Abby-Abschnitt leider direkt erfährt, dass sie Joel ans Leder will, mal außen vor), aber durch diese abrupte Ende konnte ich erst gar nicht fassen oder glauben, dass das gerade wirklich passiert ist, Ellies Reaktion wohl nicht unähnlich. "Echt jetzt? Komm, der lebt doch noch!". So richtig angekommen war das erst mit der Szene am Grab ein paar Minuten später. Ich fand das recht stark gemacht. Gerade durch diese "Plumpheit", diese "Respektlosigkeit", mit der Joel von einem Moment zum nächsten von der Bühne tritt.


Joels Präsenz hallt zudem noch das ganze Spiel über nach, man hat ihn im Sinn, obwohl er nicht mehr da ist und das nicht nur, weil sein Name ein paar Mal fällt. Und ganz verschwunden ist er ja auch nicht - er ist bei ein paar der stärksten Szenen im Spiel mit von der Partie (Museum & Veranda). Aber gut, das sind Rückblenden und wie sich anscheinend alle einig sind, ist deren Verwendung wohl ein Indiz für schlechtes Storytelling. Diese beiden Flashbacks (Museum vs Veranda) sind aber auch grundverschieden in ihrer Art (was sie dagegen verbindet, ist der Umstand, dass sie beide auf Momente folgen, in denen Ellie mit der Gitarre gespielt hat und sich an Joel erinnert):


Der Museums-Flashback ist spielbar, zieht sich ein wenig (20+ Min), wird mit einem "3 years earlier" Schriftzug eingeführt (dieses "x Jahre / Monate früher" scheint mir oft Teil des generellen Rückblick-Spotts zu sein, siehe z.B. Rick & Morty: [https://www.youtube.com/watch?v=thKCUc8ocW4]). Bei diesen langen, spielbaren Flashbacks bin ich zwar noch am ehesten geneigt, mit Leuten mitzugehen, die sagen, dass solche Abschnitt das "Pacing" kaputtmachen würden - aber dann wiederum ist das hier ein Spiel, kein Film. Ich mache als Spieler ständig das Pacing kaputt, wenn ich eine Viertelstunde vergeblich versuche, in ein geöffnetes Fenster im ersten Stock reinzukommen, um dann festzustellen, dass das wohl doch nur Staffage ist. Oder wenn ich in ein und derselben Straße eine halbe Ewigkeit in denselben vier Häusern verbringe, weil ich alle Collectibles einkassieren will und darum jedes Zimmer dreimal durchwühle. Wenn mir das Spiel Spaß macht und mir der Flashback gefällt, merke zumindest ich in dem Moment nichts vom "kaputten Pacing" in einem Spiel, das knapp 30 Stunden lang ist. Das mag auch daran liegen, dass ich mir das Spiel in viele kleine Sessions aufgeteilt hatte, es wurde mir nie zu lang; das Spiel hatte durch die Einteilung in Tagen natürliche Ausstiegspunkte, wie Folgen einer Serie. Jedenfalls: Der Museums-Flashback zieht zum einen Parallelen zu Abby Flashbacks (die Erkundung des Museums mit Joel vs die erstmalige Erforschung des Aquariums mit Owen), gibt dem Spieler aber auch noch ein letztes, unbeschwertes Joel-und-Ellie-Miteinander, eine Art letzte Dosis "Feelgood". Und irgendwo auch ein Abschnitt, der wirkt, als hätte er so oder so ähnlich auch gegen Ende von Teil 1 vorkommen können (schon allein durch die Verwendung des jüngeren Ellie-Charaktermodell werden Erinnerungen an Teil 1 geweckt). Dahingehend wirkt es fast wie ein Fremdkörper, als würde die Passage nicht so recht zum düsteren Rest von Teil 2 passen wollen. Ich fand das aber interessant, wie Teil 2 über diesen Moment oder auch den Storystrang Abby/Yara/Lev den ersten Teil channelt und trotzdem klar sein eigenes Ding durchzieht. Und letztlich ist es eh nur Ellies Erinnerung an bessere Zeiten, hervorgerufen durch das Gitarrespielen.


Der Veranda-Rückblick ist anders. Kürzer zum einen, nicht spielbar zum anderen. Dazu kurz vor Ende des Spiels platziert und für Ellies Geschichte, Motivation und Handlungen ungleich wichtiger als die Passage im Museum (welche nur die Vater-Tochter-Beziehung unterstreicht, die schon im ersten Teil etabliert wurde). Es wird gezeigt, wie Ellie nach Jahren gestörter Beziehung am Abend vor Joels Tod (aus dem Dialog heraus schließbar; die Szene hat keine Datumsangabe) den ersten Schritt auf ihn zumacht und zumindest versuchen wollte, ihm zu verzeihen. Wie diese Enthüllung die restliche Geschichte davor färbt, mag jeder für sich selbst entscheiden. Dieser Rückblick wird zudem noch in einem entscheidenden Moment als Einzelbild-Einblendung "angekündigt" - Abby ist Sekunden vorm Ertrinken, dann kommt für eine handvoll Frames "Joel mit Gitarre auf Veranda", und dann lässt Ellie von Abby ab. Die "Erklärung", also die volle (immer noch kurze) Szene folgt dann ein paar Minuten später. Ist das auch "lazy flashback storytelling"?


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