Thema:
Zur Story (massive Spoiler) flat
Autor: heffer
Datum:05.07.20 15:31
Antwort auf:The Last of Us Part II #3 von Gunpriest

Eine Woche vergangen seitdem der Abspann lief. Alles einmal sacken gelassen, drüber nachgedacht und versucht, fair zu bleiben. Aber auch mit Abstand und allem Bemühen um Fairness meine ich, dass bei der Story von TLOU2 einiges schief gegangen ist. Im Einzelnen:

Jesse ist ein recht farbloser Charakter, die Freundschaft zwischen ihm und Ellie bleibt oberflächlich und leer, die Eifersuchtsstory zwischen den beiden verläuft im Nichts. Er wird irgendwann beiläufig von Abby erschossen, nüchtern inszeniert in einer Szene, in der es eigentlich noch nicht einmal um ihn geht. Rückblickend erschöpft sich die Funktion dieser Figur in einer Samenspende für Dina.

Dina wird zwischenzeitlich zu abrupt aus der Story rausgenommen. Erst eifrige Kämpferin an Ellies Seite, fällt ihr plötzlich ein, dass sie schwanger ist und keinen Schritt weiter gehen kann. Dina hat dann noch ein paar Alibi-Momente, erfüllt aber erst ganz zum Schluss wieder eine Funktion in der Geschichte. Der Darstellung der Beziehung zwischen ihr und Ellie fehlen dann milde gesagt ein paar Bindeglieder zwischen der ersten Nacht und der Familiengründung mit Eigenheim.

Für die Beziehung zwischen Ellie und Joel hat das Spiel deutlich zu wenig Zeit. Insbesondere funktioniert die zentrale Szene nicht, in der Joe Ellie gesteht, dass man sie für ein Heilmittel hätte opfern können. Ellie sagt zu Joel ausdrücklich, dass sie nur bei ihm bleibt, wenn er die Wahrheit sagt. Nach Joels Geständnis betont Ellie nochmal nachdrücklich, dass sie nun bleiben wird. So läuft aber kein natürliches Gespräch ab, sondern ein Dialog, mit dem man dem Zuschauer die Handlung erklärt. Es gibt mehrere Dialoge dieser Art im Spiel, aber bei keiner Szene wiegt das schwer wie bei dieser.

Ellie wird im Hinblick auf ihre sensible Seite recht gut dargestellt, gerade auch beim Gitarrenspiel. Ihre Rachemotivation bleibt aber bis kurz vor Ende unscharf und ihre Entschlossenheit wird bis dahin nie wirklich glaubwürdig. Erst ganz am Ende wird dann deutlich, dass Schuldgefühle Ellies Motiv waren. Eine starke Szene, in der sie Joel zurückweist und das Spiel anschließend alleine ihre Augen sprechen lässt. Eine Szene später wird dann auch endlich ihre Entschlossenheit spürbar, sie verlässt sogar Dina samt Kind für den Racheakt. Noch eine gute Szene.

Aber beide kommen gut 20 Stunden zu spät. Das Spiel macht aus Ellies Motivation und Entschlossenheit einen regelrechten Plottwist. Es ergibt aber nun einmal wenig Sinn, den Spieler  die ganze Zeit über glauben zu lassen, der Hauptcharakter wäre nicht zu Ende gedacht, nur um ihn dann am Schluss damit zu überraschen, dass er es doch ist.

Leider bekommt der Joel/Elli-Konflikt mit der letzten Szene dann noch einen weiteren Twist. Da zeigt das Spiel eine Szene, in der Elli sich quasi doch schon bei Joel entschuldigt hat, also alles halb so wild. Es nimmt damit die ganze Tragik aus der Geschichte wieder raus, negiert das zuvor Gezeigte geradezu. So viel die letzten Spielstunden einem an physischer Gewalt zumuten, so wenig an emotionaler.

TLOU2 scheut sich zudem trotz aller Kontroversen, die hässliche Seite von Ellis Rachefeldzug zu zeigen. Ellie steht irgendwann im Spiel mal hinter einer weiblichen Wache und will ihr Informationen über Nora entlocken. Die Frau ist ihr anschließend hilflos ausgeliefert und es stellt sich die Frage, ob Elli sie gleichwohl töten wird. Das Spiel konstruiert kurzerhand eine Notwehrlage, in der ihr keine andere Wahl bleibt. Ich bezweifle nicht, dass sie die Frau ohnehin gekillt hätte, meine aber, das Spiel hätte den Mut haben müssen, genau das zu zeigen.

Ähnliches später bei Nora. Man fragt sich, ob Elli Nora nach dem Foltern töten wird. Das Spiel entscheidet dann, dass der Raum voll mit Sporen ist und Nora sowieso sterben wird. Der kontroverse Moment, in dem man die Folter von Nora über einen Tastendruck triggern muss, scheint mir geradezu darüber hinwegtäuschen zu wollen, wie zaghaft die Tötungsbereitschaft der Hauptfigur in dieser Szene dargestellt wird.

Natürlich hat Mel eine dicke Jacke an beim Kampf gegen Ellie, so dass Ellie ihre Schwangerschaft vor dem Kill nicht bemerkt. Natürlich auch Notwehr. Überhaupt tötet Ellie afair nur den irren Fettsack auf der Insel am Ende ohne Notwehr, der dann auch wirklich gar nichts an sich hat, was Empathie erzeugen könnte. Das ist alles eine ziemliche Verharmlosung dessen, was Ellie im Rahmen ihres Rachefeldzuges eigentlich tun müsste. Der  Vorgänger war in dem Punkt wesentlich ehrlicher und reifer.

Im Abby-Part bestand die Chance darin, Verständnis für ihre Gräueltat hervorzurufen und damit auch Distanz zu den Rachezielen von Ellie zu schaffen. Dafür ist Abby dann aber schon eine Spur zu gutmütig geraten. Tierlieb, rücksichtsvoll, will in der Kantine zugunsten anderer sogar auf Essen verzichten, hilft Yara und Lev, riskiert ihr Leben dafür. Nach dem Showdown im Theater lässt sie sogar Ellie am Leben. Es fehlen hier schlichtweg die Grauzonen, um diese Abby noch mit der Person in Einklang zu bringen, die Joel mit dem Golfschläger malträtiert. Dadurch erzeugt das Spiel auch kein Verständnis für ihre Tat, sondern verdrängt sie nur, schafft keine Distanz, manipuliert stattdessen in die andere Richtung.

Der Abby-Part selbst ist dann das, woran das Spiel meines Erachtens am meisten krankt. Es fängt so gut an: Worldbuilding erstklassig, neue Charaktere alle interessant. Vor allem hat das Spiel hier zum ersten Mal einen richtig guten Übergang zu einer Rückblende, und zwar im Gespräch zwischen Abby und Isaac über Owen zur Szene mit Owen auf dem Riesenrad. Die Beziehung zwischen Owen und Abby kriegt dann erstmal viel, viel Zeit und scheint die beste und interessanteste im ganzen Spiel zu werden. Abby immer hin und hergerissen zwischen Training und Disziplin auf der einen, Owen und Lebensfreude auf der anderen Seite, sehr feinfühlig dargestellt.

Und dann bricht der Part komplett ein, lässt die gesponnenen Handlungsfäden einfach fallen, führt stattdessen neue ein, die er genau so schnell wieder zu Ende bringt, ist generell viel zu gerafft und gehetzt in der ganzen Darstellung.

Zu der angedeuteten Fehde zwischen Isaac und Owen kommt es schlichtweg nicht. Isaac hat afair überhaupt nur noch eine Szene, die, in der er stirbt. Abby und Owen kriegen nach zwei ausladenden Rückblenden nur noch eine kurze Szene im Boot, die keine Konflikte aus den Rückblenden aufgreift und mit einem unfreiwillig komischen Quickie endet. (Die erste Rückblende beim Riesenrad hatte zwar auch das Thema Sex, das wurde aber genau so abrupt eingeführt wie es endete und wirkt im Nachhinein wie eine künstliche Brücke zwischen zwei Szenen, die eigentlich keinen Bezug zueinander haben.)

Was dann passiert, ist alles einfach viel zu schnell. Abby kommt mit den Scars-Kindern zu Owen und Mel. Beide Gruppen – ursprünglich aus einander feindlichen Lagern – müssen nun Vertrauen zueinander gewinnen. Yara muss zudem von der Notwendigkeit einer Armamputation überzeugt werden. Lev davon, seine Schwester mit Owen und Mel alleine zu lassen. Alle Konflikte werden noch in derselben Szene aufgelöst, jeder mit ein bis zwei Sätzen.

Irgendwann fährt Lev dann urplötzlich mit dem Boot zu seiner Mama, der schlechteste Subplot im ganzen Spiel, offenbar nur dazu da, Abby auf die Insel schicken. Innerhalb von gefühlt 5 Minuten tötet Lev versehentlich seine Mutter, sieht wie seine Schwester stirbt und wird fast selbst von Isaac erschossen – und hat nach alledem noch immer bessere Laune als ich beim Zuschauen.

Und dann endet dieser Part auch noch als die Geschichte von Abby und Lev. Wie Abby sich gegen Isaac auflehnt, bereit für Lev zu sterben (ohnehin eine recht konstruierte Szene, die auch noch mit klassischem deus ex machina endet) und die beiden sodann das neue Team bilden, niemanden mehr haben außer einander. Das erinnert auch ein wenig an Joel und Ellie aus Teil 1. Aber TLOU1 hat die ganze Zeit über an der Beziehung von Ellie und Joel gearbeitet, hat schon in der ersten Szene mit Joels Tochter die Weichen dafür gestellt. Der Abby-Part hatte ursprünglich andere Themen, hat auf anderes hingearbeitet und wirkt letztlich, obwohl ohnehin schon der zweite Teil einer Geschichte, wie zweigeteilt.

Der letzte Teil auf Santa Barbara ist dann eine Aneinanderreihung unglaubwürdiger Wendungen. Abby und Lev werden plötzlich von einer neuen Gegnergruppe gefangen genommen, nur damit es diesen Abschnitt geben kann. Ellie tappt in eine Falle und verletzt sich dabei, weil es dramatischer aussieht, wenn sie gebrechlich läuft. Genau in dem Moment als Ellie das Gefängnis von Abby erreicht, hängt diese draußen am Pfahl und könnte jederzeit sterben. Im finalen Showdown erscheint Ellie plötzlich ein Bild von Joel, das sie davon abbringt, Abby zu töten – ein deus ex machina der besonderen Art.

Am Ende bleiben zwei Endkämpfe, bei denen man jeden Charakter einmal spielen, jeder einmal gewinnen und jeder den anderen einmal verschonen darf. Eine regelrechte Symmetrie und wie so vieles in dieser Geschichte deutlich zu konstruiert.

Noch ein paar Probleme, die sich durch das ganze Spiel ziehen:

Die Erzählstruktur ist etwas uneinheitlich. Die Parts von Ellie und Abby laufen im Wesentlichen nacheinander ab, zweiteilen das Spiel geradezu. Innerhalb dieser Parts werden Gegenwart und Rückblende hingegen im ständigen Wechsel erzählt. Das sind zwei verschiedene Konzepte, die nicht so recht zusammenpassen, zumal der gesamte Abby-Part im Grunde selbst ein Rückblick ist und dadurch quasi Rückblicke zum Rückblick enthält. Die Zweiteilung hat zudem einige Brüche, etwa wenn ein kurzer Abby-Abschnitt bereits im Ellie-Part eingestreut wird. Die Rückblenden erfolgen ebenfalls uneinheitlich, die meisten umfassen vollständige Handlungsabschnitte, andere sind kurz und fragmentarisch.

Das ist alles ein ziemliches Chaos. Aber eben auch kein konsequentes. Eher ein Flickenteppich mit Mustern drauf.  

Was hier auch beim Gameplay immer wieder vorkommt, sind diese Abschnitte, die vom Spiel von vornherein als Umweg deklariert werden. Wenn man zB genau vor dem großen Tor zum Ziel steht, aber zu dessen Öffnung erst einmal nach links abbiegen und drei Footballfelder nach Benzin abgrasen soll. Oder wenn die Kamera das Zielgebäude in den Blick nimmt und zugleich deutlich macht, dass man noch einen kilometerweiten Fußmarsch bis dahin vor sich hat. Wenn also das Spiel etwas in den Fokus nimmt und es sogleich wieder in die Ferne rückt. Alles bis dahin kann noch so interessant sein, man mag sich nicht mehr so recht darauf einlassen. So als würde sich eine Frau vor einem ausziehen und dann plötzlich sagen „Stop, wir müssen erst noch ins Kino gehen.“

Grundsätzlich gerne. Aber doch nicht jetzt noch.

In der Story setzen sich diese Momente fort, zB als Abby von den Scars gefangen genommen wird und erhängt werden soll und das Spiel mitten in dieser Szene zu einer Rückblende wechselt. Auch der Besuch des Dinosaueriermuseums mit Ellie und Joel ist etwas ungünstig platziert. Vor allem aber kommt der gesamte Abby-Part genau nach Einleitung des großen Showdowns, ist im Grunde genommen nur ein einziger Umweg dahin.

Und so begrüßenswert der Ansatz auch ist, Pro-  und Antagonist zu spielen, so wenig überzeugend ist die Umsetzung. Es ist eben nicht nur eine Geschichte, die hier aus zwei Perspektiven dargestellt wird. Es sind zwei verschiedene Geschichten, beide mit eigenen Charakteren, Konflikten, eigenen Expositionen und Welten. Es fühlt sich geradezu an, als würde man zwei verschiedene Spiele spielen und als müsste man zwischenzeitlich das eine unterbrechen und erst das andere durchspielen. Wenn man dann mit Abby im Krankenhaus angelangt, einem Ort, den man zuvor mit Ellie gespielt hat, blüht das ganze Konzept einmal kurz auf, nur um danach wieder abzuflachen. Wie sehr man hier die Chance vertan hat auf ein wechselseitiges Katz-und-Maus-Spiel im Stil von Departed/Infernal Affairs.

Irritierend auch: mit dem Abby-Part fängt selbst das Gameplay wieder bei Null an. Man muss nicht nur Waffen und Skills neu aufwerten. Sogar der Anspruch der Kämpfe bricht zunächst etwas ein und baut sich erst langsam wieder auf. Im Ellie-Strang steigern sich Anspruch und Komplexität der Kämpfe gegen menschliche Gegner zum Ende hin. Verglichen damit ist der Abby-Part zu Beginn recht lasch, es tauchen eigentlich nie mehr als zwei menschliche Gegner in unmittelbarer Nähe auf. Man hätte die Abfolge der beiden Stränge letztlich auch einfach austauschen können.

Und vor allem hätte man auch einen von beiden weglassen und sich für den anderen dafür mehr Zeit nehmen können. Und welcher das auch gewesen wäre, ich glaube, das Spiel wäre deutlich besser geworden.


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