Thema:
Unmarkierte Spoiler flat
Autor: token
Datum:02.07.20 13:22
Antwort auf:Re:Ich hab da im Moment überhaupt keinen Bock mehr drauf von Gadon

>Story ist weitaus komplexer und vielschichtiger als in Teil 1.

Sie wird verschwurbelt erzählt, das bedeutet nicht dass sie für sich betrachtet vielschichtig oder komplex ist.

>Wer sich mit beiden Spielen beschäftigt, gerade inhaltlich, kann absolut nicht sagen das die Story abfällt.

Ach, Story Schmory. Es geht bei dieser Serie doch gar nicht um tolle Geschichten, das ist kein Agatha Christie Roman wo man total gespannt irren Wendungen folgt und irgendwann ausruft: "Ach der war's! Das gibt's doch nicht! Well played!"

Ellie und Joel sind nicht zu ikonischen Charakteren geworden weil sie eine bemerkenswerte Geschichte durchschreiten. Sie selbst sind die Geschichte.

TLoU setzt Maßstäbe im Connect zwischen Spieler und fiktiven Figuren.
TLoU2 macht den Disconnect zum Kernprinzip.
In Last of us passiert alles in den Szenen des Spiels, alles baut aufeinander auf und der Spieler wird über die volle Laufzeit mitgenommen. Last of Us 2 erklärt Motive teils bewusst im Nachgang, lässt den Disconnect gezielt laufen, erzeugt gezielt Brüche zwischen Spielermotiv und Figurverhalten. Und wenn es "nachträglich" Motive erklärt dann auch nicht unbedingt so dass es auch nachvollziehbar oder glaubhaft rüber kommt. Und sonderlich geschickt find ich es auch nicht Motivationen und Gefühlshaushalte über Rückblenden zu illustrieren, das ist im erzählerischen Handwerk eine Methode aus dem Baukasten, und zudem eine, der nicht unbedingt Eleganz nachgesagt wird.

Wenn das für dich aufgegangen ist, ist es ja toll, aber es muss jetzt auch nicht überjazzed werden weil die erzählerischen Inhalte zu 98% unangenehm sind. Unangenehm zu sein ist für sich nämlich keine Stärke, mein Atem ist auch unangenehm, aber noch kam niemand auf die Idee mir aufgrund dessen zu bescheinigen dass ich Charakter hätte.

Ich fand das Spiel extrem durchschaubar im Hinblick darauf welche Hebel bei mir gezogen werden, weil diese Methoden auch recht plump waren. Und auch weitestgehend vorhersehbar in seiner Entwicklung. Und unglaublich ermüdend in der aufgewandten Laufzeit und unnötig verworren in seiner Struktur. Aus welcher sich für mich auch keine Pointen ergaben, da mir ein immersives Erlebnis wo ich in character bin unendlich wichtiger ist als nach 30 Stunden kurz vor den Credits zu erfahren dass das Verhalten der Person die ich hier und da steuern musste zumindest theoretisch erklärbar ist. Mit viel Fantasie und Wohlwollen. Wenn ich über die komplette Laufzeit mit diesem Charakter fremdele und ihn nicht unter einen Hut bekomme mit dem Charakter den ich kennen gelernt habe, dann denk ich mir selbst mit einem wirklich sitzenden Schlusspunkt der alles auflöst nicht, oh, super, dafür hat es sich echt gelohnt 30 Stunden lang immer wieder den Kopf zu schütteln.

Imo hat das Spiel seine stärksten Momente wenn es die Dinge hebt die Teil 1 aufbaut. Etwa im Museum oder wenn Ellie singt. Kein Mensch fängt da an zu heulen wenn er diesen Figurenaufbau von Teil 1 nicht erlebt hat, Teil 2 leistet dafür nämlich gar nichts. Er referenziert auf diesen Haushalt und setzt ihn voraus damit die Szenen emotional aufgehen. In seinem eigenen Pfad hingegen werden die Figuren dekonstruiert, ohne im Umkehrschluss selbst wirklich starke Figuren aufzubauen.

Am ehesten schafft er das mit Abby, aber spannend ist, wie er das dort schafft. Die Struktur ist da im Grunde eine Kopie von dem was Teil 1 gemacht hat. Ein Überlebender in dieser Welt entmenschlicht sich. Diese Entmenschlichung ist auch ein Aspekt wie man es überhaupt schafft in dieser Welt zu überleben, respektive eine Folge des Überlebens in dieser Welt weil das reine Überleben fast schon zwingend mit Traumata einhergeht. Und das wird aufgebrochen darüber dass es plötzlich nicht mehr um das eigene Überleben geht, sondern dass Überleben von jemand anderem Vorrang bekommt, und dieser Mensch auf diesen Beistand angewiesen ist. Und sich so zeigt dass Überleben noch lange nicht bedeutet zu Leben, und dass Leben im Sinne von "leben" nur dann möglich ist, wenn hierbei menschliche Werte wie Liebe und Vertrauen existieren und man diese zulässt.

Nur in Teil 2 in schlechter weil man halt genau dann wenn das Spiel anfängt zu atmen und einzunehmen und sich Beziehungen entwickeln und mir als Spieler langsam wieder was daran liegt was mit den Figuren passiert und ich nicht mehr nur Knöpfchen drücke, wieder ein erzählerischer Kunstgriff aus der Poperze kommt um erneut einen Keil in ein geradeliniges Erlebnis zu rammen.
Sei es durch Rückblenden die Beweggründe erklären.

TLoU2 sieht im Grunde keinen Stich gegen hochwertige Erzählungen aus den Bereichen Film/Buch/Comic/Serie. Es ist ausreichend gut um da mit Okay-Content mitzuhalten und diesen punktuell zu überbieten. Und das ist für ein Videospiel schon ziemlich super. Aber für sich, no sir. Und wenn es um klug aufgebaute Geschichten mit Pointen und Twists geht, dann ist es noch immer meilenweit weg von diversen Questerzählungen in Witcher 3.
Und sorry, jeder mag selbst beurteilen was er erzählerisch stark findet. Ich finde es jedenfalls erzählerisch stark wenn ich in TLoU1 Joel einmal kurz schmunzeln höre weil Ellie einen Spruch gebracht hat. DAS REICHT. Da macht es bei mir bäm weil dieser kleine Grunzer tausend Dinge sagt ohne sie aussprechen zu müssen. Nein, Joel muss sich nicht mit einem Stilmittel wie ein Gespräch mit einem NPC mir als Spieler in seiner Gefühlswelt erklären, wo er sagt "Ohohoho, die Kleine wächst mir langsam ans Herz, ich, ich, ich spüre seit langer Zeit überhaupt erst wieder dass ich sowas wie ein Herz habe". Es braucht diese plumpen Griffeleien nicht weil das Spiel genau dieses Verständnis aufgebaut hat und mich durchgehend bei den Eiern hat und sich auch darauf verlässt dass es das hat und so selbstbewusst genug ist um bei so einem Schlüsselmoment nicht mehr zu benötigen als eine kleine Geste. DAS ist für mich hohe Kunst und schwierig zu erreichen.

Und wie schauen wir in den Gefühlshaushalt von Abby? Als sie beschließt den Kids zu helfen hat sie einen Alptraum, ist wieder im Krankenhaus (wie subtil) und sieht im Traumazimmer die Kinderleichen (WIE SUBTIL). Das ist schon nicht mehr plump, das ist ein Holzhammer mit Leuchtreklame und angeschraubtem Polizeihorn.
Und wenn man sowas SO löst (vollkommen ohne Not btw) dann ist das zwar auch nicht so schlimm, man kann darüber streiten ob unplakative Erzählung wirklich für erzählerische Qualität steht, für mich tut sie das, aber ich denke dennoch es ist streitbar wenn man sowas wie "gut gemacht" "schlecht gemacht" definieren will. Nur "Referenzen" bekommt man mit solchen 08/15-Methoden nicht auf die Straße.  


Was ich bei diesem Spiel erwartet hätte wäre mich auf eine emotionale Reise "mitzunehmen", weil da die größten Stärken beim Vorgänger lagen. Und dazu braucht es für mich in einem interaktiven Medium Identifikation. Gezielt gegen diese zu arbeiten, durchgehend, und eine recht einfach gestrickte Geschichte mit Erzählformaten zu zerfleddern die sich auch noch mit der Spielstruktur beißen (Stichwort RGP-Light-Entwicklungen) und mich so zum Beifahrer und Co-Piloten in einem Rallye-Wagen zu machen, dessen Fahrer eh nur reagiert wenn ich die "richtigen" Kommandos rufe statt zu gehorchen...ich weiß nicht wie sowas als Videospiel Referenz für irgendwas sein kann. Für mich ist es vor allem Referenz dafür Videospiele nicht verstanden zu haben.

Und diesen Vorwurf mach ich im Grunde jedem Spiel dessen Erzählung gegen das Medium und nicht mit dem Medium arbeitet. Sei es Dear Esther, sei es RDR2 oder sei es nun TLoU2. Props kriegen die Games die was zu sagen haben, aber auch verstehen was an diesem Sprachrohr funktioniert. Inside, Portal 2, Journey oder eben TLoU.

Ist die Story von TLoU2 schlecht, ist so gesehen auch die falsche Frage, die Frage muss lauten, ist das Videospiel TLoU2 gut?
Und da bekommt man halt ein sehr diverses Bild. Aspekte davon sind wahnsinnig stark, aber in seiner Gesamtstruktur ist das Spiel aus sehr gutem Grund ziemlich kontrovers. Ich kann dabei durchaus anerkennen dass Naughty Dog Eier gezeigt hat und nicht einfach more of the same liefern wollte, sondern das Besondere versucht hat. Das war ein hoher Einsatz. Ich persönlich finde aber auch, ein Sequel ist für solche Einsätze das falsche Casino, und eben auch, dass das was das Spiel versucht mehr schlecht als recht funktioniert.

Ich will mich jetzt nach einem erneuten WoT aber auch langsam davon frei machen was an diesem Spiel nicht funktioniert, und lieber ein paar Zeilen darüber schreiben was daran funktioniert, denn da gibt es auch einiges zu berichten.
Aber solche "Faktaussagen" wie deine obigen triggern mich irgendwie ;)


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