Thema:
Re:Vertane Chance *spoiler* flat
Autor: token
Datum:30.06.20 10:26
Antwort auf:Re:Vertane Chance *spoiler* von FWE

>Naja, ich habe die Schläge auf Nora auch nicht ausführen wollen und habe sogar von Abby am Ende abgelassen und mich töten lassen.
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>Mir war klar, worum es ging, und es war ok, dass es keine Wahl gab, denn das ist die Geschichte. Aber warum muss ich die Aktionen auch ausführen? Da hätte ich lieber gehabt, was Token im ersten Thread vorschlägt: Eine selbstlaufende Cutscene.
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>Weil: Ich als Spieler hatte kein Verständnis für Ellies Gewaltexzesse. Ich habe sie im Kontext der Geschichte aber verstanden. Nur: Ich wollte dabei nicht ihr "Komplize" sein.
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>Es sei denn, das Autorenteam wollte damit auch den inneren Konflikt von Ellie (Rachsucht <> Angewidert sein von sich selbst) in diesen Momenten darstellen - was ich mir gut vorstellen kann.
>

Da ist aber imo der Wunsch der Vater des Gedankens.
Das ganze mag für viele Spieler funktionieren, es wird ja von vielen verteidigt, aber für viele eben auch nicht. Es gibt Menschen die reißt sowas raus. Die erleben keinen inneren Konflikt und sind in character, sie werden aus dem Spiel rausgerissen, sitzen wieder im Wohnzimmer, drücken Knöpfe die das Spiel gedrückt haben will, ein totaler Immersionsbruch, quasi breaking the 4th wall als Unfall und nicht als gelungenes Stilmittel. Und diese Kernproblematik wenn man Erzählung und Interaktion bewusst mit solch einem Widerspruchscharakter versieht, war nach dem Ende von TLoU auch antizipierbar. Auch da war dieser Bruch von Spielermotiv und Erzählmotiv im Verbund mit der Interaktion etwas was viele Gamer komplett rausriss, maßgeblich dann, wenn sie moralisch andere Schwerpunkte hatten als Joel. Kaum ein Punkt wurde hinsichtlich der Gamedesignaspekte von TLoU, nicht der Story an sich sondern wie sie ins Spiel gewoben wurde, mehr diskutiert und schärfer kritisiert als dieser Stunt.

Auch ich, der das Glück hatte hier keinen totalen Bruch zu Joels Perspektive und Reaktion zu haben, konnte diesen Kritikpunkt letztlich verstehen und auch teilen. Es betraf mich zwar nicht in meinem Spielerlebnis, aber ich hatte auch keine Argumente diesen Ansatz zu verteidigen wenn ich versucht habe die Perspektive anderer Spieler einzunehmen oder mir vorgestellt habe, wie ich wohl reagiert hätte wenn ich in dieser Szene eben nicht in character geblieben wäre. Es war für mich am Ende dieser eine Irrtum der aber nur einen kleinen Schatten auf ein insgesamt großartiges Konstrukt werfen konnte, welches so verdammt viele erzählerische Problemstellungen im Medium so fabulös gelöst hat das diese Entwürfe geradezu lehrbuchreif waren.

Zudem ist diese Moralfrage die das Ende aufwirft ja ein philosophischer Dauerbrenner, auch deswegen, weil es darauf keine richtige Antwort gibt. Es ist keine mathematische Gleichung die man mit ausreichend Zeit lösen könnte. TLoU konstruiert dieses Dilemma äußerst geschickt und lässt den Spieler anschließend mit etwas zurück zu dem er eine Meinung entwickeln kann, aber kein objektives Fazit.  

Und ich finde es aufrichtig irritierend was Teil 2 nun macht. Es nimmt den Kratzer im Lack und erhebt diesen zum Kernprinzip. Und stresst ihn dermaßen dass der Bruch zwischen Spielerperspektive und fiktivem Charakter nicht passieren kann, sondern gar passieren muss. Der Bruch ist hier absolut gewollt.
Es wirkt auf mich geradezu trotzig das zu tun.
Und weiter, das Kernthema Rache ist mitnichten ein moralisches Dilemma. Es ist eine Thematik die schon hundertfach abgehandelt und abgewickelt wurde und aus ethischer Sicht gibt es in diesem Komplex keine zwei Meinungen sondern einfach nur eine Reihe von Illustrationen der immer gleichen Botschaft. Statt etwas zu zeigen und den Spieler mit unlösbaren Problematiken zu entlassen, wird nun der Holzhammer rausgeholt und Frontalunterricht betrieben.

Ich für meinen Teil frag mich auch mit der Retrospektive auf den ersten Teil wie es zu sowas kommen konnte. Teil 1 war hinsichtlich Immersion derart geschliffen, die Detailwut ging ja gar bis dahin das selbst Collectibles erzählerisch motiviert wurden und nicht einfach nur Gegenstände in der Welt lagen. Es wurden also unglaubliche Aufwände betrieben um Immersionsbrüche selbst in vermeintlich egalen Details zu vermeiden. In Summe können all diese Aspekte wie hier Spiel und Erzählung Hand in Hand gehen kein Zufallsprodukt sein.
Woher rühren also diese fundamentalen Diskrepanzen (stetiger Perspektivbruch, gezielter Motivbruch und nonlineare Erzählung, vermeidbarer Immersionsbruch als gewolltes Stilmittel) wie auch Detaildiskrepanzen (keine akribisch ausgearbeitete Glaubwürdigkeit der Welt und Verwässerung der erzählerischen Dichte) im direkten Vergleich?

Müsste ich aus der Hüfte einen haltlosen Verdacht äußern würde ich auf das Lucas-Phänomen tippen. George Lucas hatte in der ursprünglichen Trilogie eine Vielzahl an Korrektiven die seine Visionen in die richtigen Bahnen gelenkt haben. Es waren Gemeinschaftsprodukte wo man sich in seinen Stärken ergänzt und seinen Schwächen aufgefangen hat.
Bei den Prequels war Lucas nun der Star, statt Teamwork gab es Diktate, Korrektivmaßnahmen fanden nicht mehr statt, falsche Ehrfurcht und missverstandene Macht führten dazu dass dort wo Widerspruch und konstruktiver Streit notwendig gewesen wäre, jeglicher Diskurs ausblieb und man sich im Stillen am Kopf kratzte.
Ist wie gesagt ein Verdacht ohne Grundlage, aber so etwas ähnliches könnte ich mir hier vorstellen.
Und eben eine Überambition den ersten Teil in jeglicher Hinsicht zu toppen, und so für die Eleganz der hohen erzählerischen Dichte und perfekt balancierten Pace bei der sich Erzählung und Spiel nicht im Weg stehen irgendwie betriebsblind wurde.

Die ganzen Probleme vom Sequel sind jedenfalls vermeidbar, und wenn man sich fragt, wie, dann ist die Antwort darauf, das solltet ihr wissen, genau dafür habt ihr selbst die Skizze geliefert.


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