Thema:
Der Versuch aus dem Geschehenen Sinn zu ziehen (Spoiler) flat
Autor: deros
Datum:26.06.20 00:30
Antwort auf:The Last of Us Part II #2 von Steppenwolf

Es laufen gerade die Credits über meine Flimmerkiste und ich versuche meine Gedanken zum Spiel zu ordnen. Alles noch frisch, alles noch nicht durchdacht. Eine Momentaufnahme. Oder der Versuch Sinn aus dem zu machen, was gerade in meinem Kopf vorgeht. Last of Us 2 ist definitiv ein Spiel, das mich mit konfliktreichen Gedanken zurücklässt. Fragen in mir aufwirft, auf die ich bislang noch keine Antwort habe. Dieser Post ist vor allem der Versuch für mich selbst beim Schreiben einige diese Antworten zu finden. Er könnte daher wenig kohärent, widersprüchlich und unreflektiert ausfällen.

Mein grundlegendes Problem mit Last of Us 2 ist, dass die grundlegende Prämisse für mich etwas flach fällt. Ellie rächt sich für Joel. Ihr Ziehvater, der vor ihren Augen aufs grausamste gefoltert und ermordet wird. Ein Mensch, von dem sie sich aufgrund der eigenen schwierigen Vergangenheit distanzierte und gerade erst den Mut aufgebracht hat, alte Wunden überwinden zu wollen. Doch bevor diese Wunden gestillt werden können, wird Joel für immer aus ihrem Leben gerissen. Zurück bleibt ein gebrochener Mensch, der diesen Verlust nicht überwinden kann und von einem Trauma heimgesucht wird. Und aufgrunddessen auf Rache aus ist. So weit, so verständlich. Dennoch wirkt die blinde Wut, die blinde Lust auf Rache, welcher sich Ellie hingibt, auf mich nicht glaubwürdig umgesetzt.

Denn die Konsequenz, die sich daraus ergibt, geht mir einfach ein Stück zu weit. Sie dringt in ein Gebiet ein, in dem nicht weniger als ein Bürgerkrieg herrscht. Gerät zwischen die Fronten, weil beide Seiten sie für einen Vertreter des Feindes halten. Sie mordet, mordet, mordet. Natürlich kann man argumentieren, dass in einer post-apokalyptischen Welt wie in Last of Us die Moral verwahrlost, aber "die Welt ist am Abgrund, also werden wir alle zu gewissenlosen Mördern" empfinde ich als ziemlich langweilige und mutlose Vision eines solchen Szenarios. Insbesondere auch im Falle Ellies, die die letzten 5 Jahre in geregelten Verhältnissen in einer engen Community gelebt hat und so eine gewisse Normalität leben konnte. Als empathievolle Person, die den Tod ihres Ziehvaters betrauert, wirkt es auf mich nicht glaubwürdig, dass Ellie nun loszieht und vielen, vielen anderen Menschen und Familien das gleiche Schicksal antut. Da mag wieder das ledige Thema ludonarrative Dissonanz mit hineinspielen, das die cineastischen Spiele von Naughty Dog immer wieder wie ein Schatten verfolgt: Gameplay ist Gameplay, Story ist Story, das muss man differenzieren. Aber bei einem Spiel, dessen Narrative und Inszenierung so meisterhaft gelungen ist, fällt mir das schwer. Man könnte auch argumentieren, dass man das Spiel theoretisch ja pazifistisch durchspielen könnte, aber selbst dann ist das in einem normalen Spieldurchlauf ein unrealistisches Vorhaben. Point being: Ich würde erwarten, dass eine Person wie Ellie im Angesicht der Perspektive das Unmengen an Blut verschüttet werden muss, um ihren Plan durchzuführen, im Angesicht dass das Leben ihrer Freunde und des ungeborenen Kinds ihrer Partnerin auf dem Spiel stehen, die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens bewusst wird und sie den Rückzug antritt. Das tut sie aber nicht. Mehr noch, all ihre Freunde unterstützen sie bei ihrem destruktiven Unterfangen statt ihr den Quatsch auszureden. Wegen ihr sterben Menschen wie Jesse, völlig sinnlos, aber niemand nimmt es ihr Übel. Am Ende geht es jeden Beteiligten nur noch schlechter als vorher.

Das Ganze wird kontrastiert mit Abby. Einer Person, die Ellies Schicksal teilt: Jemand hat ihren geliebten Vater aus ihr Leben gerissen und sie kann dies nicht anders verarbeiten als auf einen Rachefeldzug zu ziehen. Auch sie hat Freunde, die ihre destruktiven Tenden enablen statt tatsächlich zu helfen. Wo Abbys Rache für mich auseinanderfällt, sind die 5 Jahre, die zwischen dem Tod ihres Vaters und dem Tod von Joel vergehen sowie ihr Wissen, dass ihr Vater starb, weil er ein 14-jähriges Mädchen ermorden wollte. Diskussionen um Impfstoff verfehlen an dieser Stelle das Ziel, weil sich Abby dafür gar nicht interessiert. Es geht ihr nur um ihren Vater. Aber - wenn es ihr nur um ihren Vater geht, hat sie innerhalb von fünf Jahren nie den gedanklichen Sprung gemacht, dass Joel aus den gleichen emotionalen Motivationen gehandelt hat wie sie nun? Wie Abby nicht mit den Verlust ihres Vaters leben kann, konnte Joel nicht mit dem Verlust Ellies leben. Aber Abbys Umstände sind anders als Ellies. Ich weiß nicht wie lange dieser Bürerkrieg in Seattle bereits andauerte, aber wo Ellie in geordneten Verhältnissen lebt, lebt Abby in einer Welt der Gewalt, die vom täglichen Überlebenskampf geprägt ist. Ist es dann verständlich, dass ihre Konfliktlösung ebenfalls nicht über den Einsatz von Gewalt hinausgeht?

Den Perspektivwechsel fand ich zunächst etwas billig. Er wirkte wie die Holzhammermethode mir mitzuteilen "GUCK, ABBY UND IHRE FREUNDE SICH AUCH NUR MENSCHEN MIT PROBLEMEN UND HOFFNUNGEN" und mir als Spieler ein schlechtes Gewissen für meine Taten einzuheimsen. Da aber alle Beteiligten - egal auf welcher Seite - letztendlich zu unterschiedlichen Graden Monster sind, fällt es mir schwer, da große Empathie aufzubringen. Du bringst um, du wirst umgebracht. Das ist der Lauf der Gewalt. Abgesehen von diesem Grundproblem fand ich die zweite Hälfte aber letztendlich schön gemacht und Abby ebenso wie ihre Kumpanen sind tolle Charaktere mit Ecken und Kanten ans Herz wachsen.

Während Ellie in der Rache ihre Menschlichkeit verliert, findet Abby ihre Menschlichkeit wieder. Weil sie nach Joels Tod von ihren eigenen Dämonen befreit ist? Auf jeden Fall finde ich die Geschichte mit den beiden Scar-Kindern wirklich schön und - das Zauberwort - glaubwürdig aufgezogen (bis auf Levs dummer Flucht und Yaras unnötigem Tod). Es ist ein netter Touch, dass Abby und Lev das Konterpart zu Ellie und Joel aus dem ersten Spiel werden - nur mit vertauschten Geschlechtern. Aber auch hier vermisse ich stets die Einsicht Abbys, dass Ellie und sie von den gleichem Dämonen geplagt werden. Abby verschont Ellie nicht, weil sie Empathie zu ihrem Leiden empfindet, sondern nur weil sie durch Lev die Sinnlosigkeit der Gewalt erkennt. Das finde ich schade. Bin aber dennoch überrascht wie sehr mir Abby ans Herz wuchs, sodass ich sie recht schnell genauso sehr mochte wie Ellie.  

In den Schlüsselszenen gen Ende - immer dann, wenn ich etwa gegen Abby oder Ellie Gewalt einsetzen musste - habe ich mehrmals den Controller weggelegt oder den TV angeflucht. Weil ich das, zu dem mich das Spiel zwingt, nicht tun möchte: "Es ist genug, Abby!", "Es reicht jetzt, Ellie!". Eine Emotion, die ich in einem Spiel definitiv selten hatte, aber ich weiß nicht inwiefern ich das den Entwicklern als etwas Gutes zuschreiben kann. Denn meine Reaktion rührte ja vor allem daher, dass ich  stets dachte, das beide Seiten es besser wissen müssten als sich gegenseitig ermorden zu wollen. Die auferzwungene Interaktivität dem Spieler zu Taten zu zwingen, die er nicht tun will, finde ich auch nicht so deep wie man sich das bei ND wahrscheinlich vorgestellt hat. Eher manipulierend.

Das Ende war dafür aber bittersüß und gelungen (... bis auf die Schlammschlacht, die auf mich eher wie das Ausspielen irgendeines Fetisches wirkte), da endlich sowohl Abby wie auch Ellie erkannten, dass sie einander nicht umbringen müssen, um ihren Frieden zu finden. Und Ellie muss letztendlich doch endlich mal Konsequenzen ihrer Rache spüren: Den Verlust der Partnerin (vielleicht temporär) und, vielleicht gar schlimmer, den permanenten Verlust Gitarre spielen zu können. Was albern klingt, wiegt umso schwieriger, da es ihr großes intimes Ventil war, das sie mit Joel verband.


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