Thema:
Re:Grundlegende Beobachtung: flat
Autor: JPS
Datum:23.11.19 14:46
Antwort auf:Grundlegende Beobachtung: von Killersepp

Sehe es eher so, dass es grundsätzlich schon mal Spielertypen gibt, die überhaupt nicht mit Open World kompatibel sind - trotzdem kaufen einige davon immer wieder Spiele aus diesem Bereich, weil sie gute MC-Scores und tolle Grafik haben oder weil sie dem Hype aus Foren/Social Media nicht widerstehen können.

Mögliche Erklärung hierfür wäre, dass das oft Leute sind, die sich neben dem Beruf auch in ihrer Freizeit extremen Stress machen und daher auch bei Hobbies sehr auf effiziente Nutzung der Zeit bedacht sind. Da fehlt dann wohl auch die Zeit um seine eigenen Interessen zu reflektieren und in der Folge künftig auf solche Titel zu verzichten. Klar gibt es Phasen in denen man in seinem Leben wirklich beschränkt Freizeit hat, aber der Stress ist nach meiner Beobachtung häufiger hausgemacht als real vorhanden.

Und dann gibt es natürlich auch innerhalb des Open World Bereichs verschiedene Ansätze, die sich auch darin unterscheiden, wie stark sich die Spiele für ein zielgerichtetes Durchspielen der Hauptstory eignen und wie viel man dabei dann vom Potential des Spiels verschenkt.

Hier kann RDR2 ein wenig glänzen, da es durch die lineare und aufwendig inszenierte Story gerade die Spielertypen gut abholt, die eigentlich im Open World Genre falsch sind. Diese Spieler sind dann höchstens noch von den Leerlaufzeiten genervt oder von Erklärungen zu Spielsystemen, die sie bei ihrer Spielweise gar nicht brauchen.

Aber selbst bei solchen Spielen, die auf diesen Spielertyp eingehen, wird die Inkompatibilität immer noch soweit durchschlagen, dass der Gesamteindruck nicht über ein "gut" hinausgehen kann. Ist halt für diesen Spielertyp viel ansprechender gleich ein Uncharted zu spielen, als ein RDR2, bei dem man zwischen diesen gameplay-armen und story-reichen Abschnitten immer wieder Leerlauf zu überbrücken hat.

Für "echte" Open World Liebhaber, hat RDR2 aber zwei sehr große, in sich verzahnte Probleme:

- Die Story-Sequenzen bieten wenig Freiheiten für eigene Lösungsansätze. Kombiniert mit den unvorhersehbaren Abbruchbedingungen, spielt man diese dann nach der ersten Enttäuschung wie einen stumpfen Action-Grafikblender, was mit einem freien Spielgefühl einer Open World rein gar nichts zu tun hat.

- Außerhalb der Main-Story gibt es zwar in der Spielwelt einige optionale Dinge zu entdecken, aber es fehlen die Belohnungen in Form von relevanten Verbesserungen der eigenen Fähigkeiten. Wer will denn eine monotone Sammelaufgabe durchführen, die weder während der Aufgabe langfristig Spaß macht noch im Anschluss irgendetwas am Spielgefühl ändert?

Klar habe ich auch das mit dem Jagen getestet und finde es vom Ablauf sogar gut umgesetzt, aber das trägt halt nicht im Ansatz die Häufigkeit der Wiederholungen die das Spiel hier ansetzt, nur um dann eine 10% bessere Jacke oder sogar nur ein optisches Gimmick als Belohnung zu erhalten.

Auch das mit dem Glücksspiel und Sammeln von Blumen, etc. habe ich versucht, aber als ich dann festgestellt habe, dass man immer nur die gerade aktuelle Aufgabe bearbeiten darf und alle anderen Aufgaben bei Null beginnen, sobald man sie freigeschaltet hat, war auch hier die Luft raus. Das hat mit freiem Spielen in einer Open World doch nichts zu tun, wenn man Aufgaben nur in einer vorgesehenen Reihenfolge abarbeiten darf.

Noch nicht einmal das Wanted-System, das ein wenig Roleplay in der Spielwelt ermöglichen könnte, ist sinnvoll umgesetzt. Einfach sein ganzes Geld ausgeben und spenden und sich dann festnehmen lassen. Dann ist man wieder auf Null. Klar braucht das Spiel irgendeine Form von Reset für den Notfall, aber in der gewählten Form entwertet man doch alle Bemühungen unbemerkt Verbrechen zu begehen oder Zeugen aufzuhalten. Kombiniert mit viel zu leicht passierenden Unfällen durch eine Steuerung die kein klares Schema bei der Tastenbelegung einhält und durch die Story aufgedrücktem Wanted-Level fühlt sich das einfach nur falsch an.

Das Lager zu versorgen/auszubauen und das Moralsystem sind auch ziemlich witzlos, da es viel zu wenig Auswirkungen hat und sich nach einiger Zeit eher als Fake-Element enttarnt als zu motivieren.

Im Endeffekt bietet das Spiel nur seine nett gemachte, aber spielerisch flache Hauptstory - die eben spielerisch nichts mit freiem Open World Gameplay zu tun hat und dazu noch ein wenig Erkunden der Spielwelt. Alle anderen Elemente sind zu schlecht ausgearbeitet, als dass es sich lohnen würde in diese nach einem kurzen Antesten tiefer einzutauchen.

Für Open World Freunde bleibt hier nur ein freies Herumreiten in der Spielwelt aus eigenem Antrieb und mit vergleichsweise extrem schlechter Motivation durch das Spiel selbst. Das kann zwar durch den Detailreichtum auch mehr oder weniger lange Spaß bringen, aber auch hier ziehen dann die anderen genannten Mängel den Gesamteindruck so weit herunter, dass wieder nur ein "gut" als Höchstnote übrig bleibt.

So ist man dann am Ende wieder bei dem typischen AAA-Einheitsbrei, der mit seinem merkwürdigen Mix aus linearem Story-Gameplay und Open World Gameplay so sehr auf die breite Masse schielt, dass am Ende für sehr viele Spielertypen nur ein maximal gutes Spiel übrig bleibt.


< antworten >