Zerstreuung und Unterhaltung, meine lieben Videospiele zum einfach Spaß haben. Da denke ich nicht an Realität und schwierige Themen, auch nicht bei den Titeln, die sich ernster nehmen, als sie in Wahrheit sind.
Und dann kommt Detention und silenthillt2 mich.
Nun sitze ich da, denke über die Bildsprache, Ideen hinter gewissen Handlungen und Audiountermalung nach. Lese Wikipediaeinträge, weil ich es genauer wissen will als nur, ach ja, da war doch damals was in Taiwan, noch gar keine Ewigkeit her, ich war ein wohlbehüteter Neunjähriger, aufwachsend im Herzen Europas als es irgendwie endete. Frage mich, wie es mir ginge, sofern ich mir das auch nur im Entferntesten ausmalen kann und was eher dann vorkommt, wenn mir etwa berufsbedingt die immer weniger werdenden Zeitzeugen über die unfassbaren Geschehnisse vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erzählen.
Ich hau ab hier alles in Spoiler. Wer es spielen will, soll das blind angehen und nicht weiter lesen, denn anders als bei vielen anderen Spielen mit Horrorthematik liegt der Horror hier in...
... dem Bewusstmachen einer beispiellosen Misere.
Als ich anfing wusste ich nicht einmal, ob das jetzt in Korea oder in China angesiedelt ist, es ist aber Taiwan mitten in der Zeit des White Terror, in dem das Kriegsrecht gilt und die Bevölkerung in Angst vor der Regierung und ihren drakonischen Strafen und der Zensur und Propaganga leben muss. Soviel zu, hm, was das wohl ist, Teeny Horror im asiatischen Schulsetting? Weit gefehlt.
Wie gesagt, hier wird ein äußerst bedrückendes Stück Geschichte vermittelt und viele Stilmittel und Darstellungen ergaben erst im Laufe der Zeit ein Gesamtbild für mich. Zunächst die 2D Scherenschnitt- oder Pappaufstelleroptik, für mich schloss sich da der Kreis zur Macht des beschriebenen Papiers, die immer wieder thematisiert ist. Die verbotenen Bücher, Durchsuchungsbefehle, ein Haftbefehl. Oder der Papierflieger, der letzten Endes zwischen Verdammnis und Vergebung steht.
Die Lösung gewisser Rätsel zeigt Lasten großer Schuld, wie das zwar drastisch dargestellte Durchschneiden der Kehle des Freundes Wei, was aber als bildhaft für "ans Messer liefern" zu verstehen ist, wie sich später erwies. Oder die blutgetränkte Filmrolle mit der verhängnisvollen Telefonnummer, die einen Verrat besiegelte.
Das Spielen einer kurzen Sequenz eines (wahrscheinlich) verbotenen Liedes, die eine Fingerpuppe auf einer Hand freigibt, deren Glieder gebrochen und verdreht sind, wohl als Strafe für Ungehorsam.
Es gibt noch einiges mehr, kaum etwas davon scheint mir willkürliche Effekthascherei zu Gunsten sinnlosen Horrors mit blöden Schalter- und Edelsteinrätseln, mir fehlt nur das Hintergrundwissen von Mythen und der Bezug zu den damaligen realen Begebenheiten.
Besonders imponiert hat mir die Erzählweise und eine bestimmte Sache, die das Spiel mit mir gemacht hat. Ich weiß nicht, ob das von den Entwicklern bewusst eine mögliche Reaktion hervorrufen sollte, aber an der Stelle...
... im letzten Kapitel, als die Gewissensfragen und Erinnerungen aufkamen, aus denen man wählen muss. Hier habe ich mich dazu hinreißen lassen, eine Antwort zu geben, die NICHT auf den Erfahrungen der Protagonistin basieren kann, sondern auf meiner eigenen. Hier wurde für mich die 4. Wand durchbrochen, nicht aber plump durch das Spiel, sondern ich selbst durchbrach die Wand und gab wider besseren Wissens, welches ich an dieser Stelle haben sollte, eine Antwort die auf mein Gefühl passte. Doch diese kann zu diesem Zeitpunkt nicht die Antwort sein, es schlägt einem förmlich entgegen und doch habe ich den Drang verspürt, mich anstelle der Spielfigur zu begeben und zu antworten. Trotz der distanzierten und stilisierten grafischen Aufbereitung.
Somit kann ich vielleicht gar nicht so genau sagen, ob ich mich eingemischt habe, sondern ob die Geschichte nicht doch geschickt gelenkt in meine vier Wände gesickert ist und in mein Gewissen. Die Konsequenzen daraus erfuhr ich erst bei einem der zwei möglichen Enden.
Komplett neu ist das Setting nicht, man merkt schon bald, dass es sich hier um eine persönliche Hölle handeln muss, die von der jungen Ray durchgemacht wird. Wie sich jedoch alles erschließt, ist meiner Meinung nach sehr gut erzählt und durchdacht, darum hat es mich auch so gepackt und eintauchen lassen. Die Umstände, die ein junges, kluges und hoffnungsvolles Mädchen in ihre Handlungen trieben, sind so klar und grausam nachvollziehbar, wenn man sich die Situation vor Augen führt. Das sind in diesem Kontext keine abgedroschenen Klischees, das zerrüttete Elternhaus, die Flucht in die Bewunderung und die aufkeimende Liebe zum Lehrer, der sich dem Regime nicht unterordnet, die übermächtige Verlustangst und falsch verstandene Zurückweisung. Durch diese Umstände im zerrütteten Taiwan wurde sie, und wahrscheinlich noch viele andere, letztendlich zu einem Werkzeug des Regimes und einer Täterin, die in Blut waten muss ohne je eine Waffe angefasst zu haben. Die ungeheure Schuld trieb sie in den Selbstmord.
Das erzählt zu bekommen ist einfach hart. Besonders, wenn es einem sogar nach dem "guten" Ende dämmert, dass hieraus nur schwer gezeichnete Existenzen hervorgehen und auch die Erlösung von Ray durch die Vergebung des in langer Gefangenschaft gehaltenen und nun alten Wei, den Jungen den sie einst mit verriet, lässt ein trauriges Gefühl zurück.
Darum bin ich enorm beeindruckt, obwohl das Spiel selber vom Gameplay her nicht sonderlich gut ist, ein von der Bewegung zähes und simpel zu steuerndes Point & Click Adventure mit wenig Items und sporadischen Bedrohungen durch Geisterwesen. Hier geht es viel mehr um die Möglichkeit, aufmerksam ein großes Stück sehr schwer zu schluckenden Horror mit realem Bezug zu erfahren, gehüllt in eine bizarre und verzerrte Zwischenwelt.
Ich will keine Bewertung geben. Für mich ist das einfach eine Perle und ich freue mich, dass es auch im Medium Videospiel immer wieder mal großartige Ausnahmen gibt, die einen nur durch eine aufwühlende Geschichte aus der komfortablen Zone der Berieselung oder atemlosen / kompetitiven Action holen und zum Nachdenken und Nachlesen anregen.