Thema:
Das Leben verspielt flat
Autor: Optimus Prime
Datum:23.05.19 21:42

Diesen Text habe ich schon vor längerer Zeit verfasst, wollte ihn euch aber nicht vorenthalten. Mich interessiert eure Meinung zu dem Thema. Hier handelt es sich eindeutig um first world problems (bzw. Probleme die die first world mit sich bringt), was allerdings nichts daran ändert, dass es mich auf eine unangenehme Art sehr belastet (hat). Außerdem geht es natürlich um eine persönliche Sicht der Dinge, was für mich belastend ist mag für jemand anderen kein Problem oder sogar wünschenswert sein, aber evtl empfindet ja auch nur eine Person im Forum ähnlich und dann hat es sich schon gelohnt das zu Verfassen.


Seit einiger Zeit fühlt sich eines meiner größten und liebsten Hobbies mehr nach einer Belastung an als nach einer Wohltat. Ich muss meinem Unmut hier einmal Luft machen und bin mir sicher, dass ich nicht der Erste bin dem es so ergeht.
Zocken macht für mich einen Großteil meines Lebens aus und damit bin ich hier sicher kein Einzelfall. In letzter Zeit läuft das aber dennoch alles gefühlt aus dem Ruder.
Woran mag das liegen?
Ich gehe in meinem Fall von einem multifaktoriellen Syndrom aus. Sowohl mein Leben als auch die Spielelandschaft haben sich stark verändert.

Kurz zu meiner Person: Ich bin ein mid Dreißiger der gerade in den letzten Zügen seiner Promotion rumlungert. Als Naturwissenschaftler im Forschungsbereich liegt es in meinem Naturell den Dingen auf den Grund zu gehen und etwas herausfinden zu wollen. Die Tatsachen, dass der Job sehr anstrengend ist und Erfolgserlebnisse sehr sehr rar gesät sind, sind sicher nicht unwesentlich am Teil meiner Gefühle/Gedanken beteiligt.

Apropos Erfolgserlebnisse, die machen für mich einen großen Teil des Spaßes auf diesem Planeten aus. Etwas zu schaffen bzw. zu erschaffen (auch Wissen) was Bestand hat und worauf man stolz sein kann.
Beim Job bleibt dieses Gefühl seit langem aus. Dort fühle ich mich schlecht und bin geistig oft bei den Aktivitäten welche mir im Leben noch Freude bereiten. Abgesehen von meinen sozialen Kontakten sind das Sport, Musik und Games. Ich mache gerne Musik am PC. Erschaffe neue, einzigartige Lieder, welche ich seit Jahren gerne mal zu einer CD zusammenfügen und veröffentlichen würde. Ich versuche 2-5 mal pro Woche das Fitnessstudio zu besuchen um körperlich nicht völlig aus den Fugen zu geraten. Und dann sind da ja noch die Games, welche einen sehr großen Teil meiner Freizeit einnehmen. Wenn es ein gutes Spiel ist dann wird dafür auch gerne einmal Schlafentzug in kauf genommen oder die Freundin vernachlässigt.

Da sind wir nun, bei den Spielen. Diese begleiten mich schon seit den späten 80igern. Angefangen mit einem C64 von meinem Cousin über ein NES zu Weihnachten und allen darauffolgenden N Konsolen bis zum heutigen Tag. Seit der Vorletzten Generation dann auch als Multikonsolero um ja kein einziges gutes Konsolenspiel zu verpassen. Es gibt so viele schöne Erlebnisse die mir die Spielwelt beschert hat und ich hoffe, dass davon auch noch einige folgen werden.

midlife crisis?
Aber seit einiger Zeit fühle ich mich zunehmends unter Druck gesetzt. Ich bin jemand der seine Spiele gerne beendet. Dazu auch noch immer relativ impulsiv und spontan Spiele kauft die mich ansprechen. Der mountain of joy wächst zunehmends und will kein Ende nehmen (vor kurzem habe ich allerdings die Handbremse angezogen und meine Einkäufe um gefühlte 80% gedrosselt). Jedenfalls sah es so aus, dass ich nach der Arbeit nach hause gekommen bin und dann entweder in den Sport bin und danach direkt vor die Konsole oder den Sport hab sausen lassen und mich direkt vor die Flimmerkiste geworfen habe. Dabei wurde es schleichend über mehrere Wochen immer schlimmer, dass ich während des Zockens mich nicht mehr richtig und in Ruhe auf die Welt einlassen konnte.
Die Gedanken was ich alles noch zu erledigen habe im Spiel sind vorherrschend. Was brauche ich noch um möglichst alles mitzunehmen was das Spiel bietet. Items hier, Level da, optionaler Boss dort etc.pp. Während ich diese Aufgaben dann allmählich abarbeite bin ich geistig schon wieder einen Schritt weiter. Welches Spiel kommt als nächstes, Yakuza 0? - puh das ist aber anscheinend ultra lang, aber auch geil ; Horizon Zero Dawn? - hab ich schon die ersten 3h gespielt und möchte es definitiv durchspielen; Detroit Become Human? - Oh ja, Heavy Rain und Beyond waren geile Trips und beim Sci-Fi Thema kommst du voll auf deine Kosten; oder doch lieber Dying Light? - Ja man, die Präsi von Dying Light 2 sah so fett aus, da muss man doch den ersten mal nachholen bevor es zu Teil 2 geht.
Aber dann hab ich einfach Hollow knight runtergeladen und das 40h lang gespielt. Ist nicht ganz so aufwändig gewesen und schon eher entspannend wenn man nicht am TV sitzen muss sondern im Handheld Modus zockt. Diese Gedankengänge hätte ich jetzt noch für X-weitere Spiele die auf der to-do Liste (und im Schrank) stehen weiterführen können.

Das Phänomen, dass sich Spiele ansammeln kenne ich schon von den letzten Generationen, das ist nicht neu, und normalerweise habe ich mich auch nie so dermaßen unter Druck gesetzt, aber dieses mal hat es echt überhand genommen.

Wie schon erwähnt glaube ich, dass ich damit etwas versucht habe zu kompensieren. Es lief in den anderen Bereichen einfach nicht so gut mit der Arbeit. Dann wurde das Medium Spiele als Ersatz herangezogen um ein gewisses Gefühl von Erfolg einstellen zu können. Denn wenn man nur hart genug arbeitet erreicht man bei den Games auch wirklich was. Aber genau hier liegt ein weiteres Problem welches mich dann ziemlich erwischt hat. Was sind diese ganzen Stunden des Gaming Wert? Ich blicke zurück auf meine bisherige Karriere und frage mich, was hast du mit dem Zocken für dich selbst getan und was für deine Mitmenschen? Ich schaue auf meine alte Sammlung an Spielen von NES bis PS3 und stelle fest, dass es viele schöne Erinnerungen an Spiele gibt die ich nicht missen möchte, stelle aber auch fest wieviel Zeit da den Bach herunter geflossen ist. Als würde man auf einem Planeten mit zu hoher Schwerkraft landen (Interstellar lässt grüßen), nur hat man von beiden Welten was mitgenommen. Die Zockzeit fühlt sich an als wäre sie schnell rum gegangen, mächtig gealtert ist man allerdings trotzdem.

Neben dem Gaming existiert noch eine andere Leidenschaft bei mir und das ist die Musik. Bereits als sehr kleiner Junge habe ich mit Trompete und Saxophon in einem Musikverein für viele Jahre aktiv teilgenommen. Als Teenager habe ich dann meine Leidenschaft etwas ausbauen wollen und allmählich begonnen mit verschiedenen digitalen Programmen zu experimentieren. Meine ersten musikalischen Konzepte waren für viele meiner Testhörer etwas zu ungewohnt, da fernab vom Mainstream. Das hat mir öfter mal den Wind aus den Segeln genommen, da es schon deprimierend ist wenn man das Gefühl vermittelt bekommt die Leute selbst mögen nicht was man da macht.

Auch wenn ich gefestigt genug bin um meine eigene Musik eigenständig nach meinem Gusteau zu beurteilen so ist es dennoch nicht leicht wenn man selten positives Feedback bekommt. Über die Studienzeit hinweg lag das ganze dann für ca. 8 Jahre gefühlt auf Eis. In den letzten 3 Jahren habe ich dann wieder öfter mal Zeit in den Bereich investiert. Den Traum eine eigene CD zu produzieren hegte ich schon seit vielen Jahren, aber irgendwie habe ich mich nie so richtig dahinter geklemmt. Jedenfalls sah das in Anbetracht aller bisher erwähnten Gefühlszustände diesmal anders aus. Ich war wie gesagt demotiviert vom Job und Zocken fühlte sich an wie Arbeit und Lebenszeitverschwendung zugleich. Also habe ich die Zeit genutzt und mich diesmal intensiv mit dem erstellen von Tracks beschäftigt.
Die gesammelten Werke waren dann nach einem Jahr grob fertig (wobei man da auch nicht jeden Tag dran sitzt sondern Phasenweise, da Kreativität imo am besten funktioniert wenn sie nicht erzwungen wird).

Jedenfalls blicke ich auf die Zeit zurück und freue mich etwas erschaffen zu haben. Kennt ihr das, man erzählt anderen Leuten von seinem Vorhaben und je mehr Leuten man davon erzählt, desto unwahrscheinlicher wird es die Sache auch tatsächlich durchzuziehen? Ich bin in mich gegangen und habe die meiste Zeit ohne wirklichen Druck gearbeitet, als ich dann im Bereich von 10-11 Liedern war habe ich angefangen den Leuten von meinem Vorhaben zu erzählen und da ich schon einen Großteil der Arbeit erledigt hatte ist diesmal ein umgekehrter Effekt zum Tragen gekommen. Es war ein regelrechter Boost die Sache jetzt auch zu einem Ende zu bringen.


Wieso ich das alles schreibe? Ich hatte das Bedürfnis meinen Gefühlszustand mit der Gruppe an Menschen zu teilen die mich am ehesten verstehen können. Das M! ist seit vielen Jahren meine einzige 100%ige Konstante im Internet. Evtl beflügelt es ja den ein oder anderen aus dem Alltagszock auszubrechen und auch mal was anderes zu machen. Oder jemand fühlt sich in einer ähnlichen Spirale oder unter Druck gesetzt und erkennt die missliche Lage.
Nehmt euch ein Beispiel an:
Sidekick x, der Baut als Dr. Snuggles geile Sachen; oder Rafael, der zockt, macht Musik und stellt Umweltbecher her und noch einige andere positive Beispiele; oder geht einfach mal vor die Tür und trefft euch mit Leuten oder macht was mit eurer Familie falls es eine gibt.

Wenn ich dann zB hier lese, dass hier ein user 33000 Stunden in ein Spiel steckt und der Arbeitskollege von jemandem ähnlich viel in Skyrim (das sind über 3,5 Jahre reine Spielzeit), dann bin ich mir nicht sicher ob es dafür Maßstäbe gibt bei denen dies nicht als Sucht gilt (ich will mir kein Urteil erlauben, immerhin zocken wir alle mega viel, wenn auch nicht nur 1 Spiel ^^). Ich bin kein Extrem und habe mich dennoch sehr schlecht Gefühlt. Ich liebe Gaming und das wird auch so bleiben, aber dennoch muss man darauf achten, dass es nicht zu einer Art Sucht verkommt. Es soll Spaß machen, einen Ausgleichen, anregen etc.pp.

Evtl kommt jetzt einer ums Eck und sagt, hey, aber du hast dein Problem doch nur verlagert, vom Zocker zum Musiker. Allerdings ist das was am Ende davon übrig bleibt für mich viel befriedigender und die Mischung machts. Spielstände auf Memory Cards und Festplatten besitze ich bereits genug, jetzt sind noch andere Daten in anderen Bereichen dazu gekommen und diese bringen nicht nur mir was sondern evtl auch andere Menschen weiter oder regen diese an. Bezüglich der Arbeitssituation muss ich sagen, dass ich im Grunde meinen Job mag, aber von der Gesellschaft bzw den Bossen die ideologischen Werte des Berufsfeldes zerstört werden, weil es allen nurnoch darum geht mehr und mehr Geld zu scheffeln und keiner ein Auge darauf hat worauf es wirklich ankommt im Leben.



Vor kurzem gab es dazu dann auch eine passende Meldung:

Seit 2018 wird Online-Spielsucht als offizielle Krankheit angesehen. Die Erkrankung stand zwar im Katalog des ICD-11 (International Classification of Diseases), wurde bisher jedoch nicht offiziell anerkannt.
Unter Ärzten und Wissenschaftlern wird über die Definition der Erkrankung diskutiert. Besonders die Grenzen zwischen Spielen und Spielsucht seien nur schwer zu definieren. Es bestehe eine Wahrscheinlichkeit, dass die Diagnose missbraucht wird.
Auf einer Tagung in Genf hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun beschlossen, der Online-Spielsucht einen eigenständigen Eintrag zu geben. Seit 30 Jahren wird der ICD-Katalog zum ersten Mal überholt und nun erweitert.

[https://web.de/magazine/gesundheit/eintrag-icd-11-katalog-hilfe-computer-spielsuechtige-33752942]

Spielsucht Hotline:
[http://www.suchthotline.info/online-spielsucht-computerspiele-hilfe-beratung-information-muenchen-anonym-und-kostenlos.php]



Falls jemanden interessiert was bei meinem Musik Projekt herumgekommen ist kann er sich das gerne hier anschauen:

[https://maniac-forum.de/forum/pxmboard.php?mode=message&brdid=6&msgid=4515353]

Mir geht es nicht darum hier die Werbetrommel zu rühren. Wenn jemand fernab von YouTube, Soundcloud, Spotify oder Deezer das Album als mp3 haben möchte hab ich auch noch ein paar Downloadcodes auf Lager, einfach in der Antwort erwähnen oder per PM anfragen.


So ein online Seelenstrip bringt schon ein eigenartiges Gefühl mit sich...



Danke für’s Lesen


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