Thema:
durch, markierte spoiler, Meinung inside flat
Autor: Amian_3rd
Datum:25.10.18 22:33
Antwort auf:State of Mind (Multi), Adventure von Martin Ganteföhr von Taz

Ich habe State of Mind auf der Switch durchgespielt, je zur Hälfte am TV & mobil. Da es eine deutsche Produktion ist, habe ich mich für komplett deutsche Texte & Sprache entschieden.

Insgesamt bin ich leider etwas enttäuscht, auch wenn das Thema des Spiels 100% meine Wellenlänge trifft: Bladerunner-esque Sci-Fi Dystopie mit Transhumanismus? Theoretisch Super! Praktisch gibt es ein paar regelmäßig durchscheinende Schwächen.

Ganz ordentlich hat für mich die Grafik funktioniert - die sichtbaren Polygone mit ihrem minimalistischen Stil sind erstaunlichen ansprechend gestaltet. Die Roboter sind mit ihrer grauen Farbpalette etwas arg blass, aber die menschlichen Hauptfiguren sind einfach auseinander zu halten und sehen alle passabel aus. Ich habe die orangenen Streifen auf der Jacke unseres Protagonisten stets gerne gesehen. Die Animation ist zweckmäßig (vom sehr flüssigen laufen & drehen abgesehen), manchmal etwas karg (Lippenbewegungen....-_-) aber für mich ausreichend.

Die Schauplätze sind zwar sehr klein, aber vom Design her wirklich gelungen - fühlen sich an wie dicht gestaltete Hintergründe aus einem Sci-Fi Film, auch wenn man nicht viel darin machen kann.

Kommen wir zum Sound, der im wesentlichen zweckmäßig gestaltet ist. Irgendwelche Themen sind mir nicht hängen geblieben, und manchmal sind die Stimmen etwas zu leise abgemischt (in einer späteren Stelle in der "the voice" Redaktion übertönte der Flugverkehr bei mir die Dialoge). Es gibt aber gute Klänge für die Zwischensequenzen und generell passt die Soundkulisse, ohne je etwas besonderes zu liefern.

Die Steuerung ist etwas schwammig - die Spielfigur dreht sich sehr weich und lebensecht, aber hat dadurch keinen so zackigen "Wendekreis" wie ein Actiontitel. Da State of Mind aber ein langsames Adventure ist stört das kaum. Die Drohnen dagegen steuern sich angenehm und schnell.

Ich möchte darauf eingehen das State of Mind aussieht wie ein massentaugliches Action-Adventure mit umfangreichen Schauplätzen, dies aber nahezu komplett vorgetäuscht ist.

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ab jetzt Gameplay-spoiler:

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Es gibt im ganzen Spiel gerade mal vier Stellen an denen man Drohnen steuern muss. Drei davon sind Such- bzw. Rätselsegmente ohne Zeitdruck oder nötige Fingerfertigkeit, und einmal muss man in Luftschächten Wachrobotern ausweichen (die simplen Mustern folgen die es auszumanövrieren gilt).

Dann gibt es zwei weitere Stellen an denen man stationäre Laser bedient, eine davon ohne Zeitdruck und die andere ist die einzige echte interaktive Actionszene im ganzen Spiel. Genau eine Stealth Szene mit Menschen gibt es auch, die ist aber in eines der Drohnen-Rätsel integriert.

Ganz klar ist es mehr an Adventures angelehnt, gelegentlich gibt es simple Puzzle-Aufgaben zu lösen die aber allesamt ohne Anspruch sind. Ich bin bei Rätseln schnell frustriert, aber State of Mind hat mich niemals herausgefordert. Ehrlich gesagt stört mich das nicht - ich habe nichts gegen storygetriebene Walking Simulatoren, und State of Mind ist bei weitem zu interaktiv um diesen Stempel aufgedrückt zu bekommen.

Aber die Story und deren Präsentation ist das Feld wo State of Mind wirklich, wirklich scheinen müsste... und das Spiel hat für meine Ansprüche hier leider nicht voll geliefert. -_-


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ab jetzt leichte Story-spoiler:

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Ich musste eine ganze Weile nachdenken warum all das für mich nicht richtig gezündet hat, weil ich LIEBE diesen Kram. Spiele wie SOMA haben mich noch Ewigkeiten beschäftigt, mit großer Freude habe ich in Watchdogs mit meinem magischen Handy Kameras gehackt oder intime details von fremden Menschen gelesen.

Ich denke es gibt zwei Gründe: a) das world building ist etwas schwach.
Ähnlich wie in Watch Dogs lassen sich einige Gegenstände (ich schreibe bewusst nicht "viele") einfach nur anschauen und es werden kleine Zusatzinformationen angezeigt, die einem die Welt näher bringen. Sei es der aufzufüllende Nahrungsmittel 3D Drucker, einige "dies ist ein nicht-regierungskonformes Dokument!" Warnungen oder die leicht penetranten "bist du glücklich?" Anfragen in der ominösen City 5. Das ist nett, aber dünn. Man kann das Radio anschalten, auch wenn sich die wenigen Nachrichten stets wiederholen.
Auf den belebten Schauplätzen sind etwa ein Dutzend Leute präsent, aber man unterhält sich nur mit sehr wenigen Figuren (nie mehr als 3) . Ausufernde Exposition gibt es NIE, und einfache kleine Gespräche um eine Stimmung zu erzeugen sind sehr selten. Man hat eine Art holografisches Telefon dabei, aber die Gesprächspartner sind meistens von der Story vorgegeben.
Zu Anfang hat man es mit zwei Familienvätern zu tun, der Berliner Richard Nolan sucht nach einem mysteriösen Autounfall seine Familie, und Adam Newman (na, was für ein Name!) bringt seinen Sohn zu seltsamen Untersuchungen in der Klinik von City 5. Berlin ist dunkel, arm & dreckig, während City 5 ein Sci-Fi Utopia mit klaren Formen, hellen Farben und schönen Menschen ist.

b) ...und das tut weh zuzugeben, ich glaube es ist einfach nicht gut geschrieben. Große storyrelevante Enthüllungen (Diese Gruppe hat es geschafft ein Bewusstsein in einen Computer zu transferieren!) werden als Dialog zwischen zwei sich kaum bewegenden Menschen vermittelt, und die Texte sind einfach nicht gut genug.
Die Sprecher klingen gut, aber die Sprache holpert gelegentlich und Emotionen sind manchmal sehr plötzlich und schwer nachvollziehbar.
Auch ein großer Konflikt im letzten Viertel des Spiels fällt dank mangelnder Präsentation total flach, eine Partei fühlt sich höchstens an wie eine RAF-artige Terrororganisation, wo einem das Spiel aber etwas viel wilderes vermitteln möchte.

Was hier schade ist, ist das State of Mind regelmäßig geradezu aufblitzt mit schön choreografierten Szenen, wo wirklich alles sitzt - manchmal sind fesselnde Ideen und Gedanken dabei, oder die Unmenschlichkeit hinter sauberen Fassaden wird ansprechend angedeutet.

Das erste Telefonat zwischen Richard und Adam baut sich so toll auf - und dann möchte man seiner Hauptfigur für den schwachen Dialog an die Gurgel springen.


Also, zusammengefasst. State of Mind ist optisch größtenteils ansprechend, spielerisch simpel, und krankt an folgendem:

1) Die Welt wird vor allem durch die Optik präsentiert (die Haupt-Schauplätze sind stimmig und dicht gestaltet), aber es gibt viel zu wenig Hintergrund. Wo einen Mass Effect mit lore und Geschichte geradezu erschlägt, gibt es in State of Mind fast nichts.

2) Die Schauplätze sind wirklich KLEIN und sehr arm an Interaktion. Man geht einmal im Kreis, dann hat man mit den höchstens drei Leuten die kurzen Gespräche durchgeredet und rennt ab da nur noch durch.

3) Die Dialoge sind nicht gut genug geschrieben. Sie sind nicht schlecht - für ein Grafikadventure. Aber wer eine erwachsene, emotionale und schwere Geschichte über Menschlichkeit & Familie erzählen will, muss sich mehr an Filmen messen lassen (alternativ siehe Spiele wie z.B. Firewatch für glaubhafte Dialoge).

4) die Geschichte wird durch etliche Zeitsprünge unnötig verkompliziert - ganz begriffen habe ich die Chronologie nicht.


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ab jetzt schwere Story-spoiler:

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City 5 ist künstlich, existiert nur im Computer. Leute können sich dort hochladen lassen um in dieser simulierten Realität frei von Krankheit oder Alter alles zu tun wovon sie immer geträumt haben.
Die Problematik das man nicht sich selbst, sondern nur eine Kopie seiner selbst hochläd - das wird ausgeblendet, die reichen Leute die für ein neues Leben und besonders tolle Avatare bezahlen werden nach dem Hochladen einfach bewusstlos, während andere Leute ohne ihr Wissen hochgeladen werden (also anschließend ganz normal weiter leben, wie unsere Hauptfigur).
State of Mind entscheidet sich hier also nicht, irgendwie ist beides möglich. Das ist ein riesiges plot hole das genau in die Substanz der ganzen Handlung trifft. Sehr schade.

- Was ist so schlimm an City 5 und dem ganzen VR Gedöns, warum will die Hackerorganisation Breakpoint diese VR Server auf Gedeih und Verderb vernichten? Ist das der Hass des Hackers auf den Kurtz Typen weil er Menschenexperimente durchgeführt hat?

- Breakpoint besteht gefühlt aus drei Leuten. Wie schaffen die es einen Bürgerkrieg anzuzetteln? Mit dem Manifest? Das ist lächerlich und schlecht durchdacht.

- Was ist so schlimm am Doomsday? Das sah aus wie ein komplett gewöhnlicher (ziemlich leerer) Nachtclub.

- Der Avatar des Sohnes war eine Mischung aus Mensch und KI. Es wird betont wie außergewöhnlich er ist, und das dies nur in der VR möglich wäre. Wie lässt sich das so einfach auf das reale menschliche Kind zurück transferieren? Und dann noch die gesamte City 5 dazu? Das geht mir alles viel zu einfach.

- unnötige Anglizismen in einer deutschen Produktion. "Sie laden Gehirne hoch... meinst du mind uploads?" - "das macht dann 15 credits" - "nimm das cable car" Das stört mich jedes mal.

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Seufz. Jammerschade, denn ich hatte es wirklich mögen wollen.

5 von 10



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