Thema:
Re:@token: Zu deinem Witcher-Text flat
Autor: token
Datum:19.01.17 18:24
Antwort auf:@token: Zu deinem Witcher-Text von tHE rEAL bRONCO 2ND

Erstmal cool dass du nochmal geantwortet hast.
Also mal Butter bei die Fische :)

>Die von dir beschriebene Erfahrung liest sich, isoliert betrachtet, nach dem Besten vom Besten. Das muss ich zugeben. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es eher an deiner Interpretation und dem Schreibstil liegt als der (für mich!) tatsächlichen Umsetzung im Hexer Nummer 3.
>

Nah, ich denke ich verstehe was du meinst, eine Geschichte ist in erster Linie das was man aus ihr macht. Man kann einen trivialen Toilettengang wo man mit einer Verstopfung gekämpft hat mit dem nötigen erzählerischen Geschick als einen packenden Thriller verkaufen. Aber was die Schilderungen zu der Witcher-Narration angeht, ist das keine blumige Ausschmückung die das was da ist über ihre eigentliche Substanz erhebt, sondern tatsächlich die Art und Weise wie ich das Spiel, seine Charaktere und die Geschichten erlebt habe.
Nämlich die Charaktere als glaubwürdige Figuren die in meinem Kopf zu echten Menschen wurden, so wie sie sonst eher beim Lesen von Romanen entstehen, und die Geschichten als geschickt erzählte Tragödien die mir teils ohne Scheiß derart nahe gingen, dass ich das Spiel nach so einer manchmal ausgemacht hab, weil ich erstmal durchpusten musste wenn die Auflösung wieder mal unerwartet bitter war.

Ich glaube in erster Linie stellt sich nun die Frage ob diese Substanz wirklich da ist, und tatsächlich so pfiffig abgewickelt wird, wie es viele Spieler erleben, oder ob wir hier eine "Uncharted 4 ist GotY"-Situation haben ;)

>Warum ich das so sehe? Nun, ich habe hier im Forum oft gelesen, dass die Baron-Storyline eines DER Highlights im Spiel sein soll - DLC mal ausgelassen, ich beschränke mich der Einfachheit halber mal aufs Hauptspiel. Zudem habe ich keine Ahnung vom DLC, ich nehme also korrekterweise an, dass es im Spielverlauf etwa eine Handvoll solcher hochklassigen Substories gibt? Der Rest beschränkt sich auf Nebenmissionen, die du wohl auch als nicht so schlecht einstufen würdest, oder?
>

Ich würde einfach von mir selbst ausgehend folgendes mutmaßen. Wenn das alles zünden soll, dann muss dich die Welt auffressen, du musst in ihr versinken. Ja, die Stories sind weitestgehend recht griffig aufgezogen, man ist oft auf einer Schiene, schaut viele "Filme", führt Gespräche. Es ist aber kein The Last of Us, wo mehr oder minder das komplette Spiel eine einzige Inszenierung ist, es ist ein RPG das eine Welt anbietet, und in dieser Welt muss man auch ankommen, damit diese funktioniert. Und die Quests mit Interesse bestreiten, dabei aber auch schon halbwegs in dieser Welt verankert sein.
Aktuell spiele ich es bspw. noch mal auf PC, und ich bin es schon ein wenig am rushen, weil es mir mehr darum geht alte Bekannte zu besuchen, alles ein wenig aufzufrischen, und den Hexer für den zweiten DLC, den ich noch nicht gespielt hab, fit zu grinden. Da merke ich schon dass bei diesem unfokussierten Angang vieles verloren geht, etwa Details die man bemerkt wenn man sich Szenerien von Questgeschehen genauer anschaut. Das Ding ist nämlich, diese Details sind da, W3 hat ein ziemlich geiles Environment Telling, was im Kleinen in den Quests eingewoben wurde, aber auch im großen eine schlüssige Welt präsentiert, die mir das Gefühl gegeben hat, diese Welt ist auch noch da, wenn ich die Konsole ausschalte.

Diese Liebe zum Detail, die auch entsprechend das Kopfkino ans Laufen bringt, geht natürlich an einem vorbei, wenn man mit Hexerblick von Triggerpoint zu Triggerpoint läuft, und auf das Highlighting schaut, aber sich nicht die Zeit nimmt wirklich hinzusehen. Des weiteren kann man auch leicht an Highlights vorbei rauschen, teils hab ich gemerkt dass man mit gewissen Entscheidungen eine Quest die noch großartige Momente in Petto hat, mit anderen Entscheidungen frühzeitig vor die Wand fährt, und mit einem Bild aus der Quest heraus geht, die nicht der Wahrheit, sondern der aufgebauten Fassade der Story entspricht, und diese wirkt unspektakulär.
Man muss auch diese geistige Verankerung aufbringen um bestimmte Brücken schlagen zu können, denn es gibt auch Querbezüge wie auch Wiedersehen, nur muss man dann auch verstehen was passiert ist und was passiert und wie das zusammen hängt.
Aktuell habe ich bspw. eine Quest abgeschlossen, in der ich den Hexerauftrag bekomme eine schwarze Perle zu finden. Im Diskurs mit dem Mann der mich beauftragt wird klar, dass es hier um eine Liebesgeste geht. Er hat seiner Frau so eine Perle versprochen, und jetzt beschlossen das Versprechen einzulösen. Charakter Fetchquest. Es ist auch eine ignorierbare Sidequest.
Nun zeichnet das ganze zum einen aus, dass es schlüssig ist, es gibt nachvollziehbare Gründe warum er dazu überhaupt meine Hilfe braucht. Später trifft man ihn wieder um seine Belohnung abzuholen, man kann dabei auch fragen wie die Geste angekommen ist. Nun wird es traurig, was wie einfache Geste begann, wird nun zur melancholischen Liebesgeschichte. Als junges Paar verliebt und voll von Träumen und Plänen und Schwärmerei, ist diese Perle ein Versprechen dass er ihr gab. Es schleicht sich der Alltag in die Beziehung und das Versprechen wird nicht eingelöst. Es begleitet aber die Beziehung, nicht in belastender Form, sondern als Anekdote ihrer Verbundenheit derer man auf beiden Seiten gerne zurücksinnt und es so zu einer Art Insider umfunktioniert. Die Zeit verstreicht und mit dem Alter erkrankt die Frau offenbar an Demenz. Es wird schlimmer, bis sie ihn irgendwann nicht mehr erkennt. Jetzt, wo es eigentlich zu spät ist greift der Mann nach dem Strohhalm dieser gemeinsamen Erinnerung in der Hoffnung dass, wenn er sein Versprechen einlöst und ihr die Perle gibt, dies irgendwas bei seiner Frau bewirkt, in Gang setzen könnte. Ziemlich niedergeschlagen steht er da und erzählt, dass das leider nicht so funktioniert hat wie er es erhoffte, sie reagiert nicht, sie spricht nicht, keine Regung, alles umsonst, der letzte Strohhalm gerissen, er wisse jetzt nicht mehr was er noch tun könne.

Damit ist die Quest abgeschlossen. Was mir an dieser Geschichte und an anderen Geschichten in Witcher 3 gefällt, ist dass es keine fantastischen Geschichten, sondern äußerst menschliche in die ich mich leicht einfühlen kann. Und dass sich diese Geschichten in einer Form entfalten, mit der man selten rechnet. Dass da meist so viel mehr ist, als es Initial den Anschein erweckt. Auch bei so einer einfachen Fetch Quest. Dass solche Quests auch gerne mal die Initialzündung für ein komplett anderes Abenteuer sind.
Aber wir sind hier noch lange nicht am Ende. Das war jetzt eine bittersüße Story, aber ich konnte mich nach dieser Quest erinnern dass ich diesen Herren im ersten Durchlauf nochmal getroffen habe. Ich weiß nicht in welchem Kontext, eventuell durch eine Quest, eventuell durch Zufall. Und in diesem Moment muss er noch in meinem Kopf sein, damit man versteht was man da sieht. Da ist keine Frau in seinem Haus, da ist eine längst verwesende Leiche. Der Mann hat schlichtweg den Verstand verloren.
Das ist alles so herrlich bitter. Und berührend. Aber um das zu erleben muss man eben auch drin stecken. Nur, steckt man drin, dann ist eben diese Substanz da, und das erzählerische Geschick um diese Substanz spannend und pfiffig und herzergreifend auch zu heben.

>Ich kann wie gesagt nur anhand der ersten Stunden urteilen, um genauer zu sein bis nach der Baron-Quest und einigen Nebenmissionen sowie etwas Exploration. Ausgehend davon haben mich folgende Dinge gestört:
>
>1) Die Steuerung. Lassen wir dieses Fass am besten zu, es wurde schon zu oft diskutiert. Mich hat sie RICHTIG genervt.
>
>2) Das Menü, Crafting-System etc. - hat mir auch nicht zugesagt.
>
>3) Open World. Die Welt wirkte auf mich nicht besonders homogen, oftmals gab es ähnlich anzusehende Gegenden, langweilige Kämpfe, Laufwege und in Bezug auf Loot kaum befriedigende Items.
>
>4) Zudem fand ich das Missionsdesign nicht gut. Ob Neben- oder Hauptquest, die langen Laufwege und sich wiederholenden Aufgaben haben mich nicht überzeugt. Machen andere Spiele die Punkte 3-4 besser? Sicher nicht viele, aber dennoch.
>
>5) Weder die Charaktere (Anti- und Sympathie) noch das Art Design haben mich in ihren Bann gezogen. Schon ganz von Anfang an. Daran kann ich mich noch erinnern: Ich habe die Special Edition geöffnet und war von der liebevollen Aufmachung geflasht. Ich erwartete mir schon deswegen Großes. Und wie enttäuscht ich dann war, das passiert mir sehr selten.
>
>Und warum schreibe ich all das, obwohl es eigentlich um die narrativen Leistungen geht? Weil die fünf beschriebenen Aspekte mir den Genuss der Story vermiest haben und ich deswegen wohl nicht so involviert war.


Du wirst hier keine Lobhudeleien von mir auf die Mechanik des Witchers finden. Witcher 3 war eines der Spiele wo ich tatsächlich erstmal schauen musste wie ich es zocken kann, ohne dass es mir mit seinen ganzen Eigenarten auf die Eier geht.
Es ist in diversen Aspekten überladen ohne Mehrwerte anzubieten, es hat eine kuriose Steuerung die wohl auf die PC-Herkunft zurückzuführen ist und einiges mehr.
Aber es gibt die Möglichkeit sich in dieser merkwürdigen Mechanik einen durchaus funktionalen Spielspaßtunnel zu graben.

>Um auf den Baron zurückzukommen (und wieder auf Youtube zu verweisen, ein paar Erinnerungsfetzen konnte ich dadurch bergen ;-)): Ich habe mir aufgrund des Hypes, also wohl ein Fehler von mir, wahrlich geile Geschichten erwartet. Und die von dir so eloquent beschriebene Aufdröselung, die ganzen Zwiebelschichten, habe ich ehrlich schon nach dem ersten Meeting mit dem Crazy Dude zu einem großen Teil geahnt. Die detaillierten Ausmaße der Tragödie sicher nicht, das wäre gelogen, aber was in etwa faul ist war für mich nach der Auflösung kein Aha-Erlebnis. Es hatte nicht den Impact, den du beschrieben hast und folglich habe ich die narrativen Stärken nicht erkannt. Im Gegenteil, durch die beschriebenen Faktoren und dem ultranervigen Endkampf habe ich komplett die Lust verloren. Zudem waren die bis dahin absolvierten Nebenmission auch nichts Besonderes für mich.
>

Youtube taugt nicht, der ganze Krempel muss in einem atmen, warum sollte ich mit Figuren fühlen die sich nicht in meinem Geist materialisieren, warum sollte mich eine Welt beeindrucken, die ich nur in Fetzen wahrnehme?
Da muss man schon eintauchen und eben seinen Weg durch die merkwürdige Mechanik finden. Sich da an die Dinge halten die Bocken, die Dinge die nerven ausblenden, und die Mechanik der halbdirekten Steuerung verinnerlichen.
Und dann genau hinschauen, die Welt erleben und nicht abarbeiten.

>Zusammenfassend würde ich sagen, dass du nicht Unrecht hast. Ich denke nur immer noch nicht, dass der Witcher hier großartig referenzwürdig ist. Einerseits weil trotz des genialen Storytellung-Ansatzes deutlicher Raum für Verbesserung da ist (vor allem in Bezug auf die Mischung zwischen Narration und Gameplay). Andererseits hatte ich wohl eine zu hohe Erwartungshaltung und konnte vielleicht deswegen die Gameplay-Schwächen nicht ausblenden und die narrative Qualität erkennen.

Narrativ kenn ich halt wirklich nix das so clever erzählt. Die Geschichten sind nicht komplex, sie sind einfach und bedienen stereotype menschliche Motive, Liebe, Hass, Rache, Eifersucht, Gier usw., aber sie werden halt unheimlich clever erzählt und sind mit einer krassen Liebe zum Detail in die Welt gewoben.
Ich fand bspw. TLoU recht stark, aber es war halt ein Filmspiel wo diese Disziplin einfacher ist, als in einer offenen Welt mit Unmengen von autarken Geschichten. Mir hat in Firewatch gefallen wie echt sich die Frau am Funk angefühlt hat. Der erste Teil von Mass Effect war auch ziemlich gut erzählt und hatte eine geile Story mit cooler Auflösung. Aber ich finde halt der Hexer spielt da tatsächlich nochmal eine Liga höher. So habe ich es zumindest erlebt.


< antworten >