Thema:
IMMER NOCH SPOILER flat
Autor: token
Datum:11.01.17 17:23
Antwort auf:Re:SPOILER! von tHE rEAL bRONCO 2ND

>Ich weiß nur mehr, dass das Gameplay schlecht war und weder die Geschichte, der narrative Aufbau noch die Dialoge mit dem mithalten konnte, was ich nach dem überschwänglichen Lob erwartet hatte. Also sorry :-)

Die erzählerischen Stärken mit denen der Witcher aufwartet zu skizzieren ist gar nicht so leicht, denn diese sind ausladend.

Erstmal die reine Narration.
Man wird mit einem Aufsatzpunkt konfrontiert. Dieser Aufsatzpunkt ist in der Regel in der Welt, meist in der näheren Umgebung, auch eingewoben. Er existiert nicht losgelöst von dieser sondern ein Teil davon. Sprich, diese Welt atmet und hat Konsistenz, sie ist lebendig und schlüssig und nicht einfach nur Kulisse in welche Geschichten eingebettet werden.
So lernen wir im Diskurs mit NPCs den Baron schon kennen, wir lernen die Mythen kennen die sich um ihn herum ranken, etwa woher sein Spitzname stammt, wo er herkommt, wie er zur Macht kam, wie er wahrgenommen wird. Auch den Flugblättern wo Frau und Tochter gesucht werden begegnen wir schon, bevor wir dem Baron begegnen.
Und diesem begegnen wir aus einer klaren Motivation heraus, der Suche nach der eigenen Tochter und dem Hinweis dass diese beim Baron verweilte.
Der ganze Aufbau ist ziemlich dicht und schlüssig.

Der Baron nutzt die Vormachtstellung im Besitz von Informationen zu sein die einem wichtig sind um die Mitarbeit regelrecht zu erpressen. Wir werden mit einem schwer durchschaubaren Menschen konfrontiert, dass dieser Mensch ein aufrichtiges Interesse an der Erfüllung des Auftrags hat wird schnell klar, und doch passt da was nicht, aber was? Wir durchsuchen das Haus, die Tochter war da, ja, der Baron lügt nicht, er hat Informationen. Aber im Zimmer der Frau gibt es Kampfspuren, Kampfspuren die verdeckt wurden. Von wem? Warum? Es ergeben sich Verdachtsmomente gegen den Baron, was verheimlicht er uns, und wenn er was verheimlicht, warum, es ergibt keinen Sinn als Täter einen Detektiv zu engagieren um das eigene Verbrechen aufzudecken. Oder ist er sich selbst nicht im klaren was passiert ist?

Was Witcher nun stark macht, im Verlauf der Erzählung löst es Zwiebelschicht um Zwiebelschicht, wirft Pünktchen für Pünktchen mehr Licht auf eine Tragödie, eine Tragödie von solchem Ausmaß, dass wir gar noch überrascht sind wie es überhaupt möglich ist dass bei all den Tritten in die Eier auf dem Weg der Aufdeckung, das Finale nochmal mit Stahlkappenstiefeln nachlangt. Und die Protagonisten bekommen allesamt ein schlüssiges menschliches Profil mit viel Tiefe, die Charakterzeichnung ist nicht weniger als exzellent. Es gibt in dieser Familientragödie keine Helden und keine Schurken, es gibt Menschen mit nachvollziehbaren Motiven bei denen es einem, wenn man diese kennenlernt unheimlich schwer fällt ihre Taten moralisch griffig einzuwerten. Wir können Dinge die passiert sind nicht gutheißen, aber wir können verstehen warum diese passiert sind und werden Zeuge von Konflikten bei denen man in der Fragestellung auf wen man mit dem Finger zeigen soll, ratlos zurückbleibt. Kein Schwarz, kein Weiß, alles Grau.

Nehmen wir den Baron. Ein Mann der mit einem kriegerischen Akt Macht an sich gerissen und die Burg übernommen hat. Ist er ein Tyrann? Nein, er hinterlässt den Eindruck ein fähiger und weitestgehend gerechter Herrscher zu sein. Diese Position im Sinne der Untergebenen also gut ausfüllen zu können. Er trägt den Ruf der Unbarmherzigkeit. Ein Mythos den er für sich instrumentalisiert. Und doch steckt so viel Aufrichtigkeit, Güte, Loyalität und Großzügigkeit in diesem Mensch. Aber auch Schwächen. Schwächen die wir verstehen, deren Entstehung wir nachvollziehen kann. Ein Herrscher der sich in seiner Rolle vergräbt. Eine vernachlässigte Frau die sich die Liebe woanders abholt. Ein Mann der all das was ihm über den Kopf wächst im Alkohol ertränkt und damit alles nur schlimmer macht. Ein Kind das zwischen den Fronten steht. Ein Eifersuchtsdrama das im Mord endet, ein Ausgang der aus der Perspektive der Frau ein Band zwischen zwei Menschen unwiederbringlich zerstört. Und ein Mann der dennoch nicht gewillt ist loszulassen, nicht loslassen kann, weil er weiterhin liebt.

Witchers Erzählweise ist nichts anderes als die gottverdammte Referenz im Medium. Das ist Krimi, das ist Thriller, das ist Drama und natürlich auch Fantasy. Und es macht alles davon verdammt gut und clever. Es ist auch immer wieder in der Lage Twists zu setzen die man nicht 10 Kilometer gegen den Wind riecht sondern die sitzen. Was hab ich bspw. in der Questline des Barons für Augen gemacht als ich gecheckt habe dass ich die Frau welche ich die ganze Zeit Suche schon relativ weit am Anfang gefunden hatte und schon munter mit ihr diskutiert habe. Bäm!
Und die Questline des Barons ist nur ein ausladendes Anschaubeispiel, das Spiel hört dort längst nicht damit auf. Selbst in Sidequests die man ignorieren könnte verstecken sich immer wieder vielschichtige Tragödien die von nachvollziehbaren menschlichen Motiven geprägt sind, einen packen und twisten, in die Eier treten und am Ende ratlos zurücklassen wenn man versucht ist ein Urteil zu fällen.

Ich muss mal langsam zum Abschluss kommen.
Ich kann jedenfalls Spiele deren Story und Telling ich nicht nur im Kontext des Mediums, sondern wirklich im Kontext von Story und Telling ernst nehmen kann, an einer Hand abzählen. Und Witcher 3 hat hierbei noch einen gehörigen Vorsprung vor der Konkurrenz.


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