Thema:
Die Windel ist durch flat
Autor: token
Datum:15.11.14 09:44
Antwort auf:Alien: Isolation #2 - Welcome to Sevastopol von hoover2701

Das war es also, da fiebere ich monatelang auf die neue Horrorhoffnung des Jahres 2014 hin, fall schon nach kurzem Anzock vom Glauben ab, tätige eher einen Frustkauf den ich an sich gar nicht auf dem Plan hatte, und aus dem Hinterhalt kommt so aus dem Nichts eine der intensivsten, wenn nicht gar die intensivste Spielerfahrung meines Lebens.
Alien Isolation ist für mich nicht nur das _mit Abstand_ beste Spiel des Jahres, sondern hat sich auch aus dem Stand in meine Alltime-Fav-Liste katapultiert.
Und es ist definitiv das Spiel, das auf die Spielzeit gerechnet wohl die im Schnitt meisten Herzschläge produziert hat. Immer und immer wieder musste ich Spielsessions abbrechen, weil mein Körper einfach nicht mehr konnte, speziell in der ersten Hälfte haut Isolation des öfteren derart lange und hohe Spannungskurven raus, dass man sich nach 30 Minuten vor Stress und Anspannung übergeben möchte.

Dies mag erstmal abschreckend klingen, dabei sollte man jedoch eines klar stellen. Isolation ist kein schweres Spiel, spielerische Hürden wie man sie aus Last of Us kennt, wo man an diversen Passagen richtig zu knabbern hat und tatsächlich Skill an den Tag legen muss, gibt es an sich nicht. Man stirbt zwar hundert Tode, aber das ist nur in Ausnahmefällen in der Komplexität des Geschehens begründet.
Meist kommt es dazu wenn Spielziele nur rudimentär definiert sind, sprich ein Bereich markiert ist in dem sich Trigger befinden, diese Trigger jedoch durch manuelle Suche in dem Bereich gefunden werden müssen, dieser Bereich aber auch "unter Bewachung" steht.

Man sucht also einen definierten Raum ab, weiß nicht konkret wo man hin muss, kann also keinen Punkt gezielt ansteuern, und muss sich zum einen auf die Suche fokussieren, hierbei jedoch die ganze Zeit konzentriert bleiben um nicht blindlings ins Verderben zu rennen. Gefahren sind immer handhabbar, aber irgendwann kann man schlichtweg nicht mehr, und macht einen Fehler.
Was jedoch diese Passagen erleichtert ist, dass der Savepoint in der Regel ziemlich nah ist, selbst wenn man also 5-10 Minuten in die Suche begleitet vom Katz-und-Maus-Spiel investiert hat, verliert man beim Ableben nicht 10 Minuten Spielzeit.
Man setzt mehr oder minder nahtlos an, und nimmt über die Reinkarnation die Erfahrungswerte mit, kann im Rerun also schon sehr viel gezielter agieren.

Das hört sich ein wenig nach try&error an, das ist es aber nicht, es ist eher so dass man irgendwann mehr oder minder Suizid begeht oder leichtfertig wird oder zu viel Risiko geht, übermütig wird, wegtiltet, einfach erschöpft ist.  
Die Alternative ist sich über gute Verstecke geistige Erholung zu verschaffen. Imo ist es auch genau das was hier diejenigen die ihre Spielzeit in Schrankminuten hochrechnen da treiben, nämlich erholen.
Das Spiel zwingt dich nicht dazu im Versteck zu verharren, wer im Versteck verharrt tut das nicht weil er nicht raus kann, er tut das weil er nicht mehr raus "will"!
Der Tod ist jedenfalls kein zwingendes Zufallselement, man hat die Werkzeuge und Hinweise um sich vor dem Ableben effizient zu schützen. Nur kann es mühsam und nervenzerfetzend sein diese jederzeit anzuwenden, manchmal gönnt man sich gezielte Unvorsicht, um mal durchzuschnaufen, in der Hoffnung, es geht einfach gut.

Wenn man begreifen will was das heißt und wie es dazu kommt dass der Titel einen psychisch so fertig machen kann, muss man vor allem verstehen wie unfassbar dicht die aufgebaute Atmosphäre ist. Man geht teilweise selbst dann nervlich kaputt, wenn überhaupt keine Gefahr droht. Die saugelunge orchestrale Begleitung baut Drohkulissen auf, überall an Bord der Station knarzt, zischt, surrt, piept, oder knackt was. Man hört das Alien rumpoltern, man schaut auf den Tracker und sieht die nicht klar definierte Anwesenheit von "etwas", das Bild verschwimmt, überall findet sich atmosphärischer Dampf und Rauch, in in Dunkelheit getauchten Gängen springen sukzessiv bei Betreten die Leuchtstoffröhren an, Wartungsschleusen öffnen sich im Vorbeigehen und erschrecken einen, man hört die Androiden mechanisch ihre Texte aufsagen, gestresste Menschen die miteinander debattieren etc.

Man wiegt sich selten in Sicherheit, geht vorsichtig und konzentriert vor, und genau dieser Fokus auf die Dinge die überall passieren könnten, diese erhöhte Aufmerksamkeit und geistige Anwesenheit im Spielszenario, saugt einen förmlich ein.
Und das derart, dass ich bspw. bis zum Schluss im ganzen Körper zusammengezuckt bin, wenn mich das Alien aufgespießt hat, so als hätte mich der Stachel auch noch auf der Couch erwischt. Und stellenweise ist man sogar froh wenn man endlich gestorben ist, es ist nicht immer nur frustrierend, sehr häufig ist der Tod eine gefühlte Erlösung.

Nichtsdestotrotz ist der Titel kein durchgehendes Stahlbad, es gibt immer wieder recht lange und gelungene Adeventurepassagen, ein wenig Leerlauf, ein wenig Abwechslung, Gebiete werden erkundet, Hintergründe aufgerollt, kleine Umgebungsrätsel gelöst, Logs gelesen, Audiofiles gehört, Gegenstände gebastelt, die Karte studiert. Und letzteres pausiert Gott sei Dank das Spiel, die Flucht in die Karte ist eine jederzeit greifbare Methodik, wenn man mal durchschnaufen und Kraft tanken möchte.

Des weiteren wächst man immer besser ins Geschehen hinein, mit zunehmender Spielzeit helfen einem die Erfahrungswerte ein verbessertes Gefühl für Kontrolle aufzubauen, des weiteren verbessern sich zunehmend die eigenen Handlungskomponenten. So dass es ungefähr zur Mitte des Spiels eine Art Turning Point gibt, wo die passive Spielweise mehr zu einer aktiven wird, und man Zugriff bekommt. Ohne dass man ab dem Punkt tatsächlich leichtfertig durchpieselt, aber man kann zunehmend offensive Strategien anwenden und agieren statt immer nur zu reagieren.

Für diesen Turning Point war ich auch ziemlich dankbar, musste ich bis zu diesem wirklich immer wieder abbrechen und das Spiel ausmachen, konnte ich die zweite Spielhälfte in zwei durchgehenden Sessions durchrödeln. Das Geschehen war zwar auch dann noch sehr intensiv, aber alles im Rahmen des Erträglichen. Den Verlust der Hochspannung kompensiert der Titel dann über Abwechslung.
Generell ist die Pace des Titels ziemlich super, das Spiel ist nicht zu lang, bis zum Schluss weiß einen Creative Assembly zu überraschen und zu unterhalten, verzettelt sich nicht groß in Wiederholungen.

Backtrackingelemente sind nicht der Rede wert, das dient meines Erachtens eher der Authentizität des Szenarios, meist hat man neue Kulissen, und eine Wiederkehr variiert häufig deren Erscheinungsbild. Man kann sich also frei bewegen, aber Metroid-Gameplay kommt an sich nicht zu Stande und man geht stringent vor. Sight Seeing und rumforschen ist auch meist das so ziemlich letzte was einem in den Sinn kommen würde, Alien hat nun mal keine Wohlfühlatmosphäre. Lediglich zum Ende hin ist der Spielerweg ein wenig ungeschickt, weil er einen über mehrere Ladepausen jagt.
Das passiert im gesamten Spiel genau ein mal. Superschlimm! Voll das Backtrackingmonster!

Auch erwähnenswert finde ich, dass Alien imo kein klassisches Stealthgame ist. Ich habe so meine Probleme mit Stealthmechaniken, speziell aus der Ego-Perspektive. Sowas wie Thief ist für mich unspielbar, ich krieg das nicht auf die Kette. In Alien ist es eher ein 1 gegen 1 dessen Regeln viel einfacher zu durchschauen sind. Ganz ganz selten im Spiel hat man Schleichketten, wo man Gegner durchgehend umschiffen muss, das ist ein Ausnahmefall den man über das komplette Spiel an einer Hand abzählen kann.
Überwiegend bedeutet der Stealthaspekt, dass man einerseits bedächtig vorgeht und nicht durch die Kulissen rennt, und andererseits dass man sich versteckt, ausweicht, auf Distanz hält. Und gerade im Easymodus, welchen auch ich gewählt habe, gibt es genug Utensilien um sich besiegbare Gegner irgendwie vom Hals zu schaffen, und Umgebungen von ihnen zu befreien.
Hierbei kann man auch relativ kreativ reagieren, sich das Alien zu Nutze machen, um Menschen zu beseitigen, Sprengfallen legen und mit Schlägen gegen die Wand einen Androiden anlocken. Aber es gibt auch Bereiche wo offensichtlich wird, dass man da nur durch muss. Hier helfen Rauchgranaten, oder Ablenkungen des Gegners mit geworfenen Geräuschmachern oder Leuchtfackeln die einem den Weg fast vollständig öffnen.
Aber auch das passiert doch recht selten, erst kurz vor Schluss hab ich bspw. die Trophy für 20 getötete Menschen erhalten. 20!
Do the math.

Imo ist Alien Isolation ohne wenn und aber ein Meisterwerk des Mediums und damit natürlich auch einer der allerbesten Vertreter seines Genres. Creative Assembly hat sich da wirklich von der ersten bis zur letzten Minute den Arsch aufgerissen, nichts in Alien zeugt von Faulheit, die Ambitionen des Titels waren riesig und der Elan mit dem diese angegangen wurden, war den Ambitionen genauso ebenbürtig, wie die dann erfolgte handwerkliche Umsetzung.
Sie haben es nicht nur geschafft den konsequenten Schwenk weg von Actionmechanics hin zu Spannungskomponenten zu vollziehen, sondern diesen auf allen Ebenen so zu inszenieren dass der Geist des Alienfilms auf jedweder Ebene gelungen eingefangen wird, auch spielerisch passt das Vorgehen exakt zu dem was die Crew im Film leisten kann, bzw. machen kann, weil dieses Monster einfach übermächtig ist.
Dieses Spiel ist eine ehrfürchtige Liebeserklärung an Ridley Scotts Klassiker, welche es versteht die sauhohe Hürde der Vorlage gekonnt zu nehmen.


Zum Abschluss noch paar Erklärungen zur Spielweise, da Flöhchen hier ja einige mit Stoff versorgt hat:

Die Karte:
In der Kartensicht hat man mehrere Hinweise.
Links unten steht das übergreifende Ziel, rechts unten das konkrete Ziel. Weiß man gerade nicht wonach man Ausschau halten muss, ist die verbale Beschreibung meist eine Hilfe.
Zielpunkte auf der Karte haben zwei unterschiedliche Naturen, es gibt einen kleinen Kreis oder grünen Punkt, das ist ein konkretes Ziel das stringent angelaufen werden kann. Ein größerer Kreis markiert eine Umgebung die man selbst erforschen muss, der nächste Trigger befindet sich dann innerhalb des Kreises. Beides kann in unaufgedeckten Bereichen liegen, also nicht wundern, wenn die Punkt in der Luft hängen.

Auch stringente Ziele müssen keine simplen Anlaufziele sein. Bspw. kann es vorkommen dass ihr zu einer Schleuse geschickt werdet, diese sich jedoch nicht öffnen lässt. In solchen Fällen heißt es Augen auf, es gibt immer Hinweise, führen da Kabel weg, denen man folgen kann? Ist ein Terminal in der Nähe? Gerade in Terminals gibt es manchmal die Möglichkeit über einen Menüpunkt einen Prozess zu starten, also schaut euch im Terminal immer kurz mal alle Kategorien an.
Das Spiel ist keine Geisterrikscha, es nimmt dich ernst und platziert Hinweise sehr gerne Ingame und nicht auf der Metaebene der internen Wegführung.

Das Gameplay:
Das Spiel liefert sowohl optische wie auch akustische Hinweise. Sehr wichtig ist sich mittels der Soundkulisse zu orientieren. Das Alien bewegt sich mal durch die Schächte, und mal durch die Station. Wo es auf der vertikalen Ebene ist kann man auf dem Bewegungsmelder nicht sehen, aber man kann es raushören. Man hört wenn es aus dem Schacht springt, klapper, badumm, Alienfauchen, dupp dupp dupp machen dann die Schritte. Man hört es auch reinspringen. Ist es im Schacht, kann man im Raum sehen wo es theoretisch rauskommen kann.
Lauert es im Schacht über einer Öffnung sieht man es nicht auf dem Bewegungsmelder, aber man sieht den Speichel von oben tropfen, nähert man sich faucht das Vieh auch in freudiger Erwartung.
Die Kreatur wird sich nicht aus heiterem Himmel hinter euch beamen und einen überraschen, man muss allerdings bedächtig und vorsichtig vorgehen.

Hat man auf dem Bewegungsmelder gar keine Anzeichen kann man ihn auch mal wegstecken. Sobald man sich einem bewegenden Objekt nähert, wird der Bewegungsmelder einen kurzen Piep von sich geben, ab da heißt es Achtung.
Der Bewegungsmelder zeigt einem auch über die Randmarkierung den Weg zum nächsten Triggerpoint oder Suchumfeld. Der Navigationsrand ist hierbei intelligent und führt einen präzise, er berücksichtigt also auch Treppenaufgänge oder verschlossene Wege. Er zeigt aber nicht zwingend den kürzesten oder sichersten Weg, oftmals kann man Wartungsschächte nutzen um einfacher zum Ziel zu kommen.

Wenn man mit dem Melder im Anschlag was ansteuert und über dessen Wegführung navigiert, L2 gedrückt halten, dies nimmt den Unschärfeeffekt weg von der Umgebung und switched den Effekt auf den Melder, die Randmarkierung ist hierbei  noch gut erkennbar.

Generell bietet es sich an, sich auch mal ein wenig Zeit für Forschung zu nehmen, wie verhält sich das Alien, wie verhalten sich Menschen, wie verhalten sich Androiden, welcher Gegner steckt wie viele Hits weg, was bewirkt das neu gefundene Equipment?
Bei letzterem sollte man wissen, dass es sowohl als Wurfgeschoss wie auch als Sprengfalle platziert werden kann. Fallen legt man eher selten, es gibt für diese aber auch sehr günstige Situationen.
Lauft dem Alien mal hinterher, versteckt euch an einem Block und haltet euch auf der anderen Seite zum Alien auf um nicht gesehen zu werden, werft eine Leuchtfackel und schaut wie das Alien reagiert, etc.
Es gibt so gut wie keine Ingametutorials die einem Funktionsweisen erklären, dies zu erforschen hat man hier dem Spieler überlassen.


Man braucht für das Spiel keine besonderen Skills, man braucht jedoch die Bereitschaft zu einem bedächtigen und von Respekt geprägten Vorgehen. Und gerade in Zonen in denen das Alien was wittert und sich einfach nicht verpissen will sondern einen mit seiner Anwesenheit terrorisiert, braucht man Geduld, da kann es auch mal 10 Minuten dauern, bis man eine Passage hinter sich gebracht hat.
Bringt man das mit, erwartet einen ein Terrorspektakel in einem atemberaubenden Sci-Fi-Setting das mit unheimlich viel Liebe zum Detail umgesetzt wurde, und so einige magische Momente in petto hat. Das Spiel muss sich nicht vorwerfen lassen eine stetig gleiche Schleichmechanik in den immer gleichen Gängen zu vollführen, über das ganze Spiel verteilt gibt es immer wieder wirklich großartige Szenen, welche dann unterm Strich zeigen dass man hier _wirklich_ großes vorhatte. Und das auch geschafft hat.

Alien ist für mich ohne wenn und aber ganz klar begründbar ein 9er-Kandidat, ganz ehrlich, mir ist wirklich UNBEGREIFLICH wie man die Klasse dieses Spiels derart übersehen kann, und ich finde es wirklich entsetzlich, wie viele der Vorwürfe an den Titel faktisch und objektiv nachweisbarer Unsinn sind.
Wer jemals auch nur einen Hauch von Interesse an Survival Horror hatte muss sich das ansehen, und für Alienfans gibt es sowieso keinen Weg an diesem Titel vorbeizukommen.

Danke an Sega und Creative Assembly, es wird in Zukunft nicht mehr viele Dumme geben die ein derart zum Scheitern verdammtes Projekt stemmen.
Vor zehn Jahren hätte es allernortens Sperma für diesen Titel geregnet, heutzutage wird es als mackenbehaftet denunziert und 2 Monate nach Release für einen Zwanni verkloppt während man seelenlosen Bugfesten und schlecht gemachte Remakes in Auszeichnungen ertränkt und die Bude einrennt.
Zum heulen.


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