Thema:
Gestern, heute und gestern flat
Autor: René Meyer
Datum:09.11.14 18:15
Antwort auf:World of Warcraft - Der höchstoffizielle Thread von 677220

Ich begann Anfang 2007, mit Burning Crusade, und mochte vor allem das Entdecken der riesigen Welt und das Zusammenspielen mit anderen. Es dauerte anderthalb Jahre, bis ich 70 wurde, mit wochen- und monatelangen Pausen zwischendurch. Was sicher zu einem guten Teil am Krieger lag, den ich nie richtig spielen gelernt habe. Aber es war auch im Großen und Ganzen mein erstes MMOG.

Mit Lich King begann meine "große" Zeit. Ich begann einen neuen Charakter, eine Eule, und überredete Falaballa, mit mir zu questen. Daraus entwickelte sich die beste Spielzeit meines Lebens. Ich wurde raidtauglich. Wir bauten eine Gilde auf und leiteten sie. Es gab sogar Gildentreffen außerhalb des Spiels. Und wir holten uns den Winterquellfrostsäbler ("Harz-IV-Tiger").

Ich fand Nordend großartig, vor allem Ulduar und die Eiskronenzitadelle. Eine Sehnsucht trieb mich voran: den Extra-Boss in Ulduar zu legen, Algalon, der besonders knifflig war, um den Titel "Sternenrufer" zu erlangen. Ein Jahr später, kurz vor dem Ende des Addons, hatte ich es geschafft - und wenige Tage zuvor den Lich King gleich mit, am Abend meiner ersten Begegnung mit ihm überhaupt. Kann ein Mensch mehr vom Leben verlangen?

Cataclysm fand ich noch in Ordnung. Mir gefiel die Idee, die alte Welt zu renovieren. Die Unterwasser-Welt war faszinierend. Und es war das erste Addon, bei dem ich gleich am Anfang vorn mitspielte. Ich fand die Raids sehr gut, vor allem Feuerlande, und war stolz über jeden mühsam in der Gilde gelegten Gegner.

Aber ich vermisste einen homogenen Kontinent wie Nordend, und ich mochte eine Reihe von Änderungen nicht - daß geliebte Städte wie Süderstade und Auberdine verloren gingen, daß die Spielweise meiner Eule stark geändert wurde, daß der Schlüsselbund und die Prequests für Schlüssel entfielen und anderes mehr.

Pandaria hatte mich nur noch genervt. Das asiatische Setting paßt nicht zum Rest des Spiels. Ich hasste diese Bier- und Erntequests, das Farmgedöns und das Ying/Yang-Gequatsche in den Instanzen. Die Talentbäume fielen weg. Der Schlachtzugsbrowser, den ich am Anfang ganz nett fand, nahm im Nachhinein einen Großteil des Spaßes - jeden einzelnen Raid-Boss zuvor musste ich mir hart verdienen, während ab Drachenseele alles in Schoß gelegt wurde. Seitdem kann man jeden Raid in einer Stunde legen, und das nimmt die Motivation, es noch mal auf normal zu probieren. (Ich fand auch Drachenseele recht öde, vor allem den Endgegner Todesschwinge.)

Ich hörte zwei, drei Monate nach dem Erscheinen von Pandaria auf. Das zunehmende Aussterben meines Servers, die Server-Zusammenlegungen und diese öden und schweren Rufquests im Tal der Ewigen Blüten gaben mir den Rest.

Und ich trauerte den Nordend-Zeiten nach.

Ich fand das Konzept von Privatservern seit jeher reizvoll. Mich interessierte, wie das Spielgefühl ist, wie verbuggt es ist und welche Möglichkeiten wie Teleportation man dort hat. Nun kam eine neue Überlegung dazu: Was wäre, wenn man einen Privatserver sucht, der nur bis Level 80 und Nordend geht? Wäre das Spielen dort wie früher? Und kann man Online-Spiele auf diese Weise dauerhaft bewahren und ihre Versionen miteinander vergleichen?

Ich machte mich auf die Suche nach einem populären Lich-King-Privatserver und probierte es aus.

Und bin entzückt.

Der Server ist supervoll. Abends gibt es nicht selten Wartezeiten. Sowas hatte ich auf meinem offiziellen Server seit Jahren nicht erlebt.

Mittelpunkt sind wieder mein geliebtes Nordend und Dalaran, die ja zuletzt ausgestorben waren.

Viele Änderungen, die das Spiel erfuhr, sind wieder rückgängig. Ich habe meine "alte" Eule wieder, die ich zu Lich-King-Zeiten richtig gut spielen konnte, mit Cataclysm neu lernen musste und mit Pandaria wieder und mit dem kommenden Addon wieder lernen müsste.

Ich habe meine alten Talentbäume wieder, und zumindest bei meiner Eule gibt es durchaus Alternativen, wie Talente zu verteilen sind. Ich musste wieder alle zwei Levels zum Lehrer - und freute mich über die neuen Zauber.

Ich habe meine alte Welt wieder, mit Süderstade, Auberdine, Menethil; mi Tanaris und Desolace und Azshara und viele andere Orte in ihrer ursprünglichen, weniger urbanen Form. Mit Prequests für Karazhan und andere Instanzen.

Und ich vermisse rein gar nichts von den Änderungen, die der Cataclysm mit sich brachte. Und: Man kann in der alten Welt nicht fliegen. Es ist sicher ein netter Effekt, mit 310% durch die Luft zu düsen. Aber man hat nichts von der Welt darunter. Es ist wie cheaten.

Ich habe meine Raids und Dungeons aus Nordend wieder, und ICC wischt mit jedem Panda-Zeugs den Boden auf. (Leider sind Naxxramas und Ulduar nicht so beliebt; alle sind gierig auf ICC.)

Ich fühlte mich sofort heimisch; das Spielgefühl ist fast genauso wie auf einem "richtigen" Server. Es gibt dort auch Gilden, die teilweise seit Jahren bestehen und regelmäßig raiden. Sicher ist alles unverbindlicher und vergänglicher - aber das ständige Kommen und Gehen von Spielern gab es auf meinem offiziellen Server zunehmend auch, und zu mir passt es ganz gut, etwas unabhängiger von der Community zu sein als einst als Gildenleitung, die um jeden Mitspieler kämpfte.

Es gibt Bugs, aber die finde ich nicht sehr störend. Der Server ist nicht ganz so stabil, es gibt hin und wieder Lags und auch immer mal einen Restart; aber das gibt es auf offiziellen Servern auch. Bei Ulduar sollen einige Bosse noch nicht funktionieren - aber die Betreiber basteln an solchen Sachen immer weiter.

Die größte Änderung hatte ich selbst gewählt: Der Server gibt 10x EP und 10x Ruf, so daß das Leveln und Ruf farmen flott geht.

Ich spiele dort seit Mai. Kurz danach kam ein 7-Tages-Probe-Angebot - ich hielt es in Pandaria keine Stunde aus. Dieser Tage erhielt ich wieder ein Probe-Angebot; das nutzte ich, um wenigstens die Schlachtzugsbrowser-Erfolge zu machen und das Event zu spielen.

Im direkten Vergleich sieht das aktuelle WoW deutlich besser aus als meine Version von 2010. Aber das Spiel ist schlechter geworden, glattgebügelter, übertrieben komfortabel.

Das nahm schon mit Lich King seinen Anfang und verstärkte sich in Cataclysm. Man sieht auf der Karte das Questziel und braucht gar nicht mehr den Text zu lesen. Früher musste man durch die Welt reisen, um Quests für Instanzen zu bekommen; heute bekommt man sie quasi automatisch. Früher waren die Elite-Gegner in Burg Steinwacht im Rotkammgebirge oder in den Oger-Höhlen im Schlingendorntal echte Herausforderungen; heute sind fast alle damaligen Elite-Gegner keine mehr. Vor der riesigen Höhle auf Teldrassil, die einst mein erstes Abenteuer war, steht nun ein NPC, der mitkämpft und und den Weg weist. Klassen- und Berufequests fielen weg; nun muß man gar nicht mehr zum Lehrer.

Alle Zusätze zum eigentlichen Spiel wie das Turnier, Haustierkämpfe, Feld anbauen und nun Garnisonen reizen mich nicht. Man steht herum und wartet auf den Dungeon- oder Raidbrowser. Die Gruppe wird automatisch zusammengestellt (was sicher praktisch ist), man wird zur Instanz teleportiert und am Ende wieder zurück. Nicht selten sagt man sich nicht mal Hallo, und wenn, dann ist es oft das einzige Gespräch.

Es gibt so viele nervige und in meinen Augen sinnlose Änderungen und damit Gängelungen. Umschmieden wird eingeführt, man gewöhnt sich daran, und es wird entfernt. Dalaran verliert all seine Portale, dann kommt ein Portal nach Sturmwind zurück, und nun gibt es im Pandaria-Pendant wieder alle Portale.

Meine Eule hat die Hälfte aller Zauber verloren, darunter viele, die ich auf dem Privatserver intensiv benutze: Feenfeuer, Insektenschwarm, Griff der Natur, Anregen. Fast alle Schadenszauber, die geblieben sind, wurden erst mit Cataclysm eingeführt.

Besonders nervig: Druiden können nicht mehr aktiv Wassergestalt, Reisegestalt und Fluggestalt wählen, sondern die drei Formen wurden zu einem Schalter zusammengefasst. Flex-Modus, Zahlenquetsche - alles kommt mir so sinnlos vor. Und überall der Shop-Button.

Etwas, was mich schon immer bei WoW störte, aber was sicher eines der Kernelemente eines MMOGs ist, ist die ständige Abwertung der Ausrüstung und der Spielwelten durch neue Patches und Erweiterungen. Das habe ich auf meinem Privatserver nicht. Es wird kein neuer Patch kommen; und das finde ich derzeit prima, weil ich mir alle Zeit der Welt lassen kann.

Und so finde ich es derzeit reizvoller, mich jede Woche durch ICC kämpfen und vielleicht später einen Level-60-Server auszuprobieren, als Scherbenwelt 2.0 zu spielen.


PS: Es gibt wie beim echten WoW ein Web-Arsenal, das in Echtzeit aktualisiert wird. Es zeigt sogar die aktuellen Stärkungszauber an.


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