Thema:
Mittelerde: Mordors Schatten [Platin] flat
Autor: token
Datum:19.10.14 14:02
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 31 von Montana

So, im offiziellen Thread habe ich genug Buchstabentapeten produziert, und will versuchen mich hier kurz zu halten.
Das absurde an Mordor ist, ist dass es bei retrospektiver Betrachtung eigentlich ein sehr kompaktes und fokussiertes System abliefert, man beim Versuch einer vollständigen Umschreibung jedoch kein Ende findet, und letztlich dennoch vieles unerwähnt bleibt.

Aber von vorn.
SoM ist ein Action-RPG in einem Open World Szenario. Die Weiterentwicklung des Charakters ist an sich relativ einfach gehalten und auch leicht zu verstehen, wobei der Einstieg in die Welt und Logik dieses Spiels schon einige Stunden in Anspruch nehmen kann. Ist man aber erstmal angekommen, ist relativ klar was zu tun ist, und man rastet sauber in der Welt von Mordor ein.
Nichtsdestotrotz könnte man den anfänglichen Spielaufbau kritisieren, ähnlich wie in AC:Black Flag öffnet das Spiel sehr früh seine Pforten obwohl es nur absolute Grundlagen erklärt. Der getunnelte Introstrang ist schnell abgeschlossen, und zu Beginn ist man dann schon ein wenig orientierungslos, bekommt aufs Maul, und weiß nicht wo oben oder unten ist, weiß gar nicht wo man hinlaufen soll und welches Vorgehen überhaupt Sinn macht.
Man wird regelrecht einfach nur in diese Welt geschissen.

Es hat aber durchaus seinen Reiz mal wieder etwas vor der Brust zu haben das man erst begreifen, erforschen und lernen muss. Man könnte den Entwicklern attestieren dass sie das genau so wollten, allerdings wundert es dann das sich das Spiel durchaus vollständig erklärt, halt nur wild verstreut über die ganze Welt, die wie Eingangs erwähnt offen ist, womit ein didaktischer Aufbau in der Form per se gar nicht funktionieren kann.
Ich finde das nicht schlimm, im Nachhinein hat die Orientierungssuche durchaus Spaß gemacht und bei Erfolgen befriedigt, es war irgendwie erfrischend nicht zu wissen was der Titel treibt, bevor er überhaupt installiert ist, so wie es bei den meisten der heutigen Produktionen der Fall ist. Es schadet jedoch nicht, schon vorher zu wissen dass der Einstieg relativ sperrig ist.

Mir persönlich hat der Titel insbesondere deswegen so gut gefallen, weil er sich endlich mal wieder wie ein richtiges Spiel angefühlt hat. Keine Schienenfahrt, sondern ein offenes Spielen in einer sich authentisch anfühlenden Welt mit eigenen Regeln, hoher Gewichtung von echten Gameplay-Elementen die auch ein wenig Konzentration abfordern, und einem für mich sehr freien und mit vielen Optionen versehenen Vorgehen, welches die Reihenfolge der Abhandlung von Missionen weit übersteigt. Dementsprechend hab ich beim Anschmeißen der Konsole das Wohnzimmer verlassen und bin wirklich in dem ganzen Szenario abgetaucht, auch gedanklich hat es mich gefangen genommen, so dass ich im Kopf große und kleine Pläne geschmiedet und umgesetzt habe.

Das Sahnehäubchen im Gameplay sind dann die ganzen Kampfmechaniken. Mit der sauberen Adaption des grundlegenden Kampfsystems von Batman:AA hat man hier wieder diesen geilen endlosen Flow, der locker von der Hand geht, und dennoch eine gewisse Aufmerksamkeit erfordert, und bei dessen optischer Übersetzung wirklich ein großartiges Gefühl für die sich abspielende Gewalt und Wucht erzeugt wird. Das Design der Orkse fand ich fantastisch, das sind richtige Ekelsviecher und doch auch irgendwo sehr lustig, weil sie einen eigenen und gut transportierten einfältigen Arschlochcharakter haben.
Es machte jedenfalls unglaublichen Spaß sie nach allen Regeln der Kunst zu metzeln, und der Titel verstand es verdammt gut die Kampfdynamik, ihre Intensität und auch Morbidität wuchtig und stylisch zu inszenieren.
Allein das Gepose der Viecher ist immer wieder pures Gold, man merkt regelrecht wie viel Freude und Spaß die Entwickler bei der ganzen Ausgestaltung hatten, und welch hervorragendes Fingerspitzengefühl sie für den guilty pleasure des Spielers mitbrachten. Die ganzen Kampfdarstellungen sind genau auf den Punkt, weder wirken Wucht und Gewalt aufgesetzt, noch wirken sie weichgespült.

Den endgültigen Geniestreich bildet dann der Ausbau des Skillsystems. Reduziert man sich in vielen Spielen einfach auf drei Moves die greifen womit dann der ganze gut gemeinte Rest zum einmal und wieder ausprobierten Beiwerk verkommt, gibt es hier viele kleine Kniffe die alle erst freigespielt werden müssen, und die allesamt einfach unglaublich viel Sinn machen.
Und das tolle ist, dass nichts davon kompliziert ist, total easy in der Handhabung, keine fingerknotenschlagzeugertimingcombos sonder ganz simple Kommandos mit großzügigen wenn auch nicht trivialen Zeitfenstern, die einem vollständig in Haut und Haar übergehen und sich wunderbar in den Flow fügen.

Auch technisch hat mir das sehr ordentlich gefallen, die Darstellung ist sehr sauber, es gibt ganz nette Kniffe welche die Welt lebendiger machen, und hier und da ist dann auch eyecandy am Start. Der Fokus in Mordor liegt einfach auf der Dynamik der Welt, und wenn man sich mal hinstellt und umsieht, merkt man auch, dass sich überall um einen herum immer wieder nette kleine Szenen abspielen. Dies gibt dem Szenario eine schöne und spürbare Authentizität.

Was man am Ende des Tages kritisieren könnte ist die Kompaktheit des Ganzen.
Die einzelnen spielerischen Elemente der Welt sind überschaubar, es gibt kaum NPCs, streng genommen gibt es eigentlich gar keine die erwähnenswert wären. Die Welt nimmt derart Besitz von einem dass man sich so viel mehr in ihr gewünscht hätte als einfach nur die Scharmützel mit den Orks und die Entwicklung von einem selbst, man spielt es und denkt sich, hier so ein klein wenig von Skyrim rein, boah wäre das geil.
Andererseits ist aber genau das irgendwo auch die Stärke des Spiels, es macht das was es will perfekt, es gibt keinen Ballast und keinen Unfug, keine schlecht funktionierenden Alibielemente die nur auf dem Papier toll und im eigentlichen Spiel scheißegal sind. Lediglich die eigene Kontrolle von Orks hätte etwas mächtiger und vielschichtiger ausfallen können, gerne würde ich noch als Herdenführer durch Mordor ziehen und alles Mögliche aufmischen. So als abgefuckter Kommandant meiner kleinen grünen Armee. Diese Kontrollmechanismen sind aber leider nur sehr punktuell und an sich nur ein Vehikel für Kämpfe mit Hauptmännern, welche die Bosse dieses Universums darstellen. Das funktioniert und ist cool, hier hätte ich jedoch wirklich unglaublich gerne mehr gehabt, und hab dann auch tatsächlich das Gefühl gehabt, dass da an sich mehr gehen müsste, dass dies so wie es ist nicht vollumfänglich Sinn ergibt und nicht ganz zu Ende gedacht wirkt.

Ansonsten eine großartige Überraschung die aus dem Nichts kam, und eine erstaunlich eigenständige Duftnote hinterlässt.
Ein Genremix der sich spielerisch trotz aller Anleihen herrlich frisch und ungewohnt anfühlt.
Höchst empfehlenswert!

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