Thema:
Guacamelee! flat
Autor: token
Datum:27.06.14 09:03
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 31 von Montana

Hat mir super gefallen, auch wenn ich meinen glatten 10er-Eindruck im Angezockt-Thread etwas zurückfahren muss.
Guacamelee! hat durchaus unglaublich viel Feinschliff, aber perfekt ist es nicht.
Die Steuerung hat in meinen Augen nur einen kleinen Makel.
Es gibt eine Ausweichrolle, die auf einer seperaten Taste liegt, welche einen auch für den Großteil von Gegnerattacken unverwundbar macht. Da ist noch alles super.
Dieses Defensivmanöver kann man nun auch in der Luft triggern, das braucht man glücklicherweise sehr selten, aber da fällt dieser Move ein wenig aus dem ansonsten sehr griffigen und direkten Steuerungsrahmen. Schwer zu beschreiben, aber hier gibt es ein etwas merkwürdiges Zeitfenster was das triggern der Unverwundbarkeit angeht und ein etwas unbefriedigendes Verhalten in der dann ausgelösten Flugkurve des Charakters.
Im Kampf braucht man es selten, kann gar fast vollständig drauf verzichten, und wenn man den braucht um Hindernisse in der Umgebung zu überwinden, ist der Spielraum in der Regel so groß dass es nicht ins Gewicht fällt. Zum Ende hin gibt es jedoch eine Stelle wo man dieses Manöver im Grenzbereich anwenden muss, und da lässt die Problematik die Hosen runter.
Für sich genommen total vernachlässigbar für die Gesamterfahrung, aber dennoch ein Aspekt welcher den ansonsten nahezu perfekten Schliff ein wenig verpickelt.

Ein anderes Problem ist die Ausführung des Metroidprinzips. Guacamelee! konnte mich nicht groß motivieren die Maps erneut abzugrasen, um mit neuen Fähigkeiten weitere Power-Ups zu finden. Die einzelnen Karten sind relativ weitläufig, es ist teils sehr mühsam und unspaßig in besuchten Gebieten forschen zu gehen, da man nicht wirklich gut erkennen kann wo noch etwas versteckt sein könnte. Ich habe es trotzdem ab und an gemacht um stärker zu werden, hab dabei aber nicht den üblichen Spaß an diesem Aspekt gehabt. Ich habe nach dem legen des Endgegners auch kein Bedürfnis das Ding noch auf 100% zu bringen, und das ist für mich bei einem Metroidvania eher ungewöhnlich und wird seine Gründe haben. Zudem sind die Maps in den einzelnen Szenarien weder sonderlich memorabel, noch hatte ich wirklich das Gefühl einer wirklich zusammenhängenden und schlüssig verbundenen Welt. Es war dann doch eher so wie aneinandergetackerte Level.

Nun zu den Stärken.
Zu erst wäre da der Humor zu nennen. Ich würde ihn charakteristisch in der Ecke von alten LucasArts-Adventures ansiedeln. Der Humor zieht sich auch durch das komplette Spiel, egal ob es die Namen von Spezialfähigkeiten, Inhalte von Miniquests oder Dialoge mit NPCs sind. An allen Ecken und Enden wird mit Gags und Anspielungen gearbeitet. Und für meinen Geschmack ist das meistens auch wirklich saukomisch und durchgehend amüsant.
Dieser Feelgood-Vibe wird auch hervorragend durch den sehr gelungenen Soundtrack unterstützt, der feinstes Mexico-Ambiente versprüht und diverse Ohrwürmer hat.
In meinen Augen ist das ein Gute-Laune-Spiel vor dem Herren, eine digitale Glückspille.

Dann die Lernkurven im Zusammenspiel mit dem Schwierigkeitsgrad und dem Progress des Charakters (Fähigkeiten, Lebensleiste etc.). Nahezu perfekt, sehr kreativ werden bekannte Muster immer weiter aufgestockt, und bevor etwas neues kommt, auch eine Passage eingestreut die einem abverlangt das erlernte auch wirklich zu beherrschen, bevor ein neues oder erweitertes Muster eingeführt wird.
Das ist der in meinen Augen faszinierendste Aspekt des Spiels, welche Balance es in seinen Herausforderungen hat. Immer wieder gibt es Situationen in denen man kurz glaubt man würde sich die Finger verknoten oder wo auf dem Bildschirm offenbar totales Chaos herrscht, nur um dann 10 Minuten später festzustellen dass man die Prinzipien verinnerlicht hat, und vollständige Kontrolle über das Geschehen hat. Und das sowohl in Plattformingherausforderungen wie auch Arena-Kämpfen.

Guacamelees Steuerung erinnert ein wenig an ein relativ leicht zu erlerndes Instrument, der Spielverlauf an aufeinander bauende Lektionen, an deren Ende man sein Muscle Memory erweitert hat. Diesbezüglich kann ich auch nur empfehlen immer wieder das Combo-Huhn aufzusuchen und die dort vorgestellten Angriffsketten zu verinnerlichen. Es ist einfach nur eine helle Freude wenn man eine ganze Horde in einer durchgehenden Combo ohne Gegentreffer abräumt. Das ist dann nicht wirklich schwer, sobald man an den Punkt kommt die Dinge die man tun möchte zu tun ohne drüber nachdenken zu müssen. Und das funktioniert insofern sehr gut, weil das Spiel wirklich großzügige Zeitfenster hat, man muss sich durchaus konzentrieren, es verlangt einem aber zu keiner Zeit irgendeinen sickshit ab. Das Spiel entwickelt so immer wieder einen Flow der mich an Trials oder Guitar Hero erinnert, dieses befriedigende abrulen wo man einfach komplett im Spiel drin ist und das dahinter stehende Interface vergisst und über sich selbst staunt.

Auch mit dem Finale war ich äußerst zufrieden. Der Weg zum Endgegner schmeißt nochmal alles rein, was man im Spiel gelernt hat. Der Endgegner selbst erscheint dann im Ersteindruck als ziemlicher Brocken, der einem auch ordentlich auf die Fresse gibt. Hat aber über den kompletten Kampf die immer gleichen Angriffsmuster die sehr gut erkennbar sind. Sobald man gelernt hat worauf man achten muss, und welche Maßnahmen es da zu ergreifen gibt, ist man super im Geschehen drin.
Nach diversen Neuanläufen raucht man den in der Pfeife, man wird bis man an diesem Punkt angekommen ist aber wirklich ordentlich gefordert und denkt zwischendurch auch gern mal wtf!, das meinen die jetzt doch nicht ernst?

Mit einer Spielzeit von rund 10 Stunden mag ich auch nicht über den Umfang meckern. Das Spiel kann wenn man rusht zwar wahrscheinlich sehr viel schneller abgewickelt werden, nur gilt das wohl für jedes Spiel. Wer sich darauf einlässt, etwas backtracking betreibt, sich selbst levelt, die Miniquests absolviert und die Lektionen des Combo-Huhns meistert dürfte nie im Leben unter 8 Stunden durch sein, und das ist für diese Art von Spiel in meinen Augen eine perfekte Länge.

Dicke Empfehlung an Zocker die Metroidvanias mögen, und es bei einem Spiel schätzen wenn es von einem verlangt dass man es auch spielt, statt sich einfach nur berieseln zu lassen. Wer bei einer Plattformingstelle die er nicht auf Anhieb packt abkotzt statt sich herausgefordert zu fühlen und die Stelle zu wiederholen (was dank fast immer fairer Checkpoints imo nie frustrierend ist) wird damit nicht glücklich, wer es mag dass ein Spiel den Spieler nicht für blöde hält und ihn immer wieder kitzelt, wird großen Spaß haben.


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