Thema:
Persona 4 Golden mit True Ending flat
Autor: token
Datum:05.06.14 08:16
Antwort auf:Durchgezockt Nr. 31 von Montana

Uffz, nach knapp 80 Stunden nehme ich Abschied von Inaba und meinen Freunden, möchte meine Eindrücke und Freude in einem Durchgezockt-Posting teilen, und habe das Gefühl sowohl ganze Romane schreiben zu können als auch gleichzeitg nicht mehr herauszubekommen als ein "wtf is this shit!?".

Grundlegend könnte ich damit anfangen, dass P4G eine bei mir fast vollends eingeschlafene Faszination für japanische Kulturprodukte wieder wachgeküsst hat. Es gibt dort einfach Ansätze und Inhalte und Erzähl- wie Darstellungsformen die man in so einer Form nirgendwo sonst auf dem Erdball wiederfindet. Noch mit dem nachhallenden Child of Light im Hinterkopf, welches durchaus versucht eine Art Reminiszenz an solche Dinge auf die Beine zu stellen, und sich dabei in fast schon jämmerlicher Manier beide Beine bricht, wird offenbar dass japanischer Output alternativlos ist, und es wäre unglaublich toll wenn die dortigen Studios wieder ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln statt zu versuchen sich an westliche Märkte anzubiedern.

P4G splittet sich mechanisch grob ausgedrückt in zwei Spielprinzipien auf.
Zum einen in die Oberwelt, wo man in einer Art von primitivem Multiple-Choice-Gaming in das Spieluniversum eintaucht und reinwächst, und in die zufallsgenerierten Dungeons, bei dem die Kampfmechanik auf hohes Customizing setzt, bei dem man sich diverse Sets für Gefechtsstrategien zusammenschnitzt.

Letzteres muss man sich vorstellen wie eine Hundezucht, bei der man sich mit fortschreitendem Spielverlauf immer höhere Freiheitsgrade bei der Ausgestaltung der Kampfhunde erfarmen kann.
Das ist durchaus ein zweischneidiges Schwert, zwar hat man sehr viel Spielraum um herumzuexperimentieren und so quasi "Waffen" selbst zu entwerfen und kann sich daran erfreuen wenn das alles auch so funktioniert wie man sich das vorgestellt hat. Auf der anderen Seite führt dieses System aber auch zu einer unglaublichen Beliebigkeit. Wie für JRPGs typisch hat man eine Reihe von Wesen die einen im Kampf unterstützen und über die der Hauptteil des Kampfes auch abgewickelt wird, und P4G ertränkt einen geradezu in der Auswahl dieser Wesen.
Diese Auswahl ist für Tüftler eine feine Sache weil Sie mit den so unterschiedlich verteilten Attributen für mehr Pfiff beim Design sorgt, das führt aber auch dazu dass diese Wesen, obwohl der Großteil von ihnen sehr geil und liebevoll ausgestaltet wurden, an sich nur austauschbare Hülsen ohne Charisma und ohne greifbaren Charakter sind.
Ich persönlich bevorzuge da deutlich engere Rahmen, mit weniger Auswahl, welcher dafür jedoch viel mehr an eigenem Profil mitbringt.
Gleichwohl erkenne ich dass das was P4G da treibt schon verdammt gut gemacht und sehr durchdacht ist, und dem Spieler viele Möglichkeiten an die Hand gibt.
Aber bei mir trifft dieser Ansatz nicht so wirklich den Nerv.

Und da wo ich das Gefühl von Freiheit mag, nämlich Oberwelt und Storytelling und Entdeckung, genau das umgekehrte Bild. Hier baut das Spiel einen so unglaublich engen Rahmen dass man fast schon darüber spotten könnte. Es gibt nur eine handvoll Locations, 90% der Zeit verbringt man mit Routinesequenzen und klickt sich durch Dialoge, der Rahmen ist wirklich derart eng gefasst dass man das was da passiert fast schon als eines dieser DVD-Spiele umgesetzt bekäme, ihr wisst schon, dieses Multiple-Choice-Geshizzle was Filmen manchmal in den Extras beigepackt wird.

Aber, man kann eben auch nur "fast" darüber spotten, denn letztendlich muss man auch eingestehen, der Scheiß funktioniert und saugt einen vollständig ein, weil wirklich alle Rädchen gekonnt ineinander greifen.
P4G konnte in mir absolut erfolgreich diesen, ich nenne ihn mal, Animal Crossing Effekt auslösen. Das dort aufgebaute Miniuniversum nistet sich in der eigenen Realität ein, _ich_ gehe zur Schule, _ich_ lerne Freunde kennen, _ich_ lache und leide mit Ihnen. Das sind keine Animefiguren, das ist Yosuke, der coole Angebertyp, der mit überbordendem Selbstbewusstsein seine Unsicherheiten kaschiert und aufgrund seiner Hintergründe ein Außenseiter ist, das ist Chie, die Martial Arts Filme suchtet und eine unglaubliche Gier nach Fleisch hat, das ist Yukiko, die sich immer wieder bei den unpassendsten Gelegenheiten den Arsch weglacht, und einen damit immer wieder in einen Gemütszustand von unfreiwillig komischer Perplexion versetzt.

Die Charaktere von P4G sind zwar allesamt irgendwie sehr klischeehafte Stereotypen, aber dennoch authentisch, toll gestaltet, toll gesprochen, und mit tollen Hintergründen versehen. Das Spiel wird auch storybedingt auf dieser Ebene sehr intim, nicht intim im Sinne von Sexualität (obwohl das auch eine Rolle spielt) sondern auf emotionaler Ebene. Unterstützt wird das ganze Konstrukt auch von der gekonnten Ausgestaltung auf audiovisueller Ebene, jede Charakterzeichnung ist ein kleines Animekunstwerk, der Soundtrack ist _unglaublich_ gut, die Sequenzen haben Stil und Drive, das Pacing ist pfiffig und hält bei der Stange.
Die ganzen vielen kleinen Bestandteile des Spiels passen einfach gut zusammen und ergänzen sich, auch die Dungeons stehen trotz ihrer etwas generischen Natur nicht abseits dieses ganzen Konstrukts sondern sind fundamental in die Geschichte eingewoben, in der es ein fantastisches Mysterium zu lösen gilt.

Eine derart irrsinnige Mixtur wie Sie P4G abliefert ist mir noch nicht untergekommen, und genau deswegen wird dieses Spiel als ein "besonderes" in meiner Vita (höhö) haften bleiben, dass ich bspw. irgendwann ein unglaublich mieses Gewissen bekomme weil ich parallel mehrere romantische Beziehungen mit untereinander befreundeten Videospielcharakteren führe, sich da temporär gar "echte" Schuldgefühle einstellten, ist mir mit diesem Medium auch noch nicht passiert.

Dabei war nicht alles Gold, schon nach 40 Stunden gab es leichte Ermüdungserscheinungen, irgendwie wurde es zuweilen monoton, auch und vor allem spielerisch, ich wollte zuweilen einfach nur dass es vorbei ist, aber es zieht sich immer wieder selbst absolut gekonnt am Schopf aus diesen Motivationslöchern heraus und packt wieder zu.
Und wenn ich am ebenso unfassbar gelungenem, wie unfassbar bekloppt versteckten echten Finale (wer es zocken will, unbedingt mit spoilerfreiem Guide auf das true ending gehen) wie auch dessen Abschluss aus diversesten Gründen eine halbe Stunde lang feuchte Augen habe und zwischen Wehmut und Frohsinn hin- und hergerissen bin, und diesen Abschied den mir dieses Spiel da präsentiert auch irgendwie brauche um sauber damit abschließen zu können, dann ist offenbar in diesen 80 Stunden auch eine ganze Menge passiert.

Wirklich eine sehr ungewöhnliche und ungemein tolle Spieleperle.


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