Antwort auf den Beitrag "Re:Here we go" posten:
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>Das könnte jetzt etwas lang werden, oder ein Mehrteiler, je nachdem, wie viel Zeit und Muße ich gerade habe. Ich schreibe hier mit 15 Jahren Berufserfahrung über das, was ich von befreundeten Producer*innen, Kameramännern und frauen, Regisseur*innen, Drehbuchautor*innen erzählt bekommen habe und das, was ich an zig Sets, in der Vor- und Nachproduktion von TV-Filmen, Kinofilmen, Streaming-Serien und Werbespots erlebt habe. > >Eins vorweg, es mag Scheusale wie Till Schwaiger (jeder wundert sich spätestens seit Mitte der 2000er warum da noch nie ein Skandal so richtig eskaliert ist, bis es dann schlussendlich zum Skandal um Manta Manta Zwoter Teil kam) und Dieter Wedel in der Branche geben. Sie allein bzw. ihr jahrelanges geduldetes und ungetadeltes Tun wie Schikanieren, Belästigen und sogar mutmaßliches Verletzen bzw. Vergewaltigen ihrer Untergebenen sind aber mehr oder weniger nur ein Produkt vieler unguter Hirarchien, Abhängigkeiten und Entscheidungsstrukturen. Allgemein gibt es in der Branche viele schwierige Charaktere wie z.B. Moritz Bleibtreu, Detlev Buck, Marcel-Kyrill Gardelli, David Fincher, Thomas Kiennast oder Christian Ulmen. Die meisten dieser Menschen sind aber nach Drehschluss zumindest in der Lage sich reflektierend zu entschuldigen, wenn sie cholerisch in Stress-Situationen über die Strenge geschlagen haben (Fincher und Kiennast würden dies jedoch nie offen tun). > >Damit man als Außenstehender überhaupt verstehen kann, wie es zu solchen Situation an Sets, sei es nun vor oder hinter der Kamera überhaupt kommen kann, muss man prinzipiell verstehen, wie Film finanziert, produziert und vermarktet wird. Und vor allem muss man verstehen, dass dies kein Filmland so schlecht tut wie Deutschland. >Um es nicht unendlich ausufern zu lassen, beschränke ich mich bei diesem Beispiel einfach mal auf den klassischen Kinofilm. Kein Marvel-Fanchise, keine Forsetzung, ein originärer Stoff, gefasst in ein erstes Drehbuch, um dessen filmische Umsetzung es jetzt geht. Meist, vor allem aber in Deutschland, ist dies ein langjähriger Prozess. Bei dem vor allem eins von gewichtiger Bedeutung ist: Der Track-Record bzw. der bisherige Erfolg des oder der Regisseur*in bzw. Produzent*in, die dieses Drehbuch umsetzen möchten. Und sollte das alleine nicht ausreichen, dann der Erfolg der Drehbuchautoren. Die wichtigeste Frage, die es dabei zu beantworten gilt, ist nämlich zugleich die simpelste: Wer bezahlt für das Alles? In Deutschland gibt es darauf nur eine Antwort: Der Staat, bzw. die deutsche Filmförderung mit einem Sender als Ko-Produzenten. Egal ob öffentlich rechtlich oder eine private Sendeanstalt. Im Endeffekt muss der Fördereffekt der Filmförderung ja bezahlt werden. Und da gibt es, anders als z.B. in Amerika, keine Medien-Fonds, private Investoren oder schlicht finanzstarke Produktionen am Markt, die diese Effekte aufbringen können bzw. die Filme komplett in Eigenregie finanziert bekommen. Aber was sind diese Effekte überhaupt? Nun: Jedes Bundesland verpflichtet dich dazu, dass du die erhaltenen Gelder mit einem "Effekt" von 150% bis 300% in diesem Bundesland auch wieder ausgeben musst. Als Beispiel: Dein Film wird von der MOIN Filmförderung in Hamburg/Schleswig-Holstein mit 500.000 Euro gefördert. Um diese Summe ausgezahlt zu bekommen bist du jetzt dazu verpflichtet diese mit einem Effekt von beispielsweise 150 Prozent in einem dieser Bundesländer auch wieder auszugeben. Sprich: Obwohl du gerade 500.000 Euro an Budget gewonnen hast, fehlen dir noch weitere 250.000 Euro um diesen Effekt überhaupt bedienen zu können. An dieser Stelle kommen dann weitere Geldgeber ins Spiel. Mangels finanzstarker Produzenten (Es gibt Ausnahmen wie Constantin Film, oder eben ausländische Streaming-Anbieter wie Netflix und Co., die wenigsten Drehbücher werden aber für diese geschrieben. Warum, dazu kommen wir später.) sind diese meist die Sendeanstalten des ÖR oder eben private Sender wie RTL, ProSiebenSat1 usw.. > >Was bedeutet das jetzt für den kreativen Entstehungsprozess des Films? Nun, er wird quasi von zwei oder mehr Instanzen auf seine Verwertbarkeit gepürft. Und unter Verwertbarkeit kann man da schon mal ganz unterschiedliche Dinge verstehen: Für die Filmförderung geht es prinzipiell erst einmal um die künstlerische Qualität, bzw. das, was sie dafür hält bzw. was politisch installierte Gremien dieser aufgetragen haben. Dass kann je nach Bundesland unterschiedlich sein. Und da die Fördersummen eines Bundeslandes nie komplett ausreichend sind, müssen hier also schon mehrere Shareholder befriedigt werden. Jetzt kommt aber noch der Sender als weiterer Geldgeber mit ins Spiel. Und spätestens da wird es komplett undurchsichtig: Für einen Sender des ÖR sind komplett andere Kriterien wichtig als für einen privaten Sender. Für letzteren zählt primär die Quote (für Werbekunden) bzw. die Klickzahlen und Neuabos (für die eigene Streamingplattform, auch hier sind Werbekunden natürlich wichtig), für den ÖR geht es auch hier eher darum eigenen Qualitäts- und Erfolgskriterien zu erfüllen, die Quote spielt zwar auch eine Rolle (z.B. beim Tatort), ist aber nicht der Tonangebende Faktor. > >Jetzt werdet ihr sicherlich ziemlich verdutzt da stehen und fragen: Mooment mal, wir reden hier doch von einem Kinofilm und nicht von einem Fernseh-Film! Warum geht es nicht um Ticket-Verkäufe? Schlicht und ergreifend weil sie für diese Geldgeber irrelevand sind. Und warum sie das sind, das erkläre ich jetzt. > >Um in diesem System aus Filmförderung und Sendern als Geldgebern bestehen zu können, müssen die Filme gewisse Kriterien erfüllen, d.h. im Umkehrschluss auch, dass Drehbuchautoren und Regisseure in diesem System hauptsächlich Stoffe, die eine hohe Chance auf Förderung und Finanzierung haben, produzieren. So ist der Erstaufführung im Kino dann auch mehr eine Art "Zusatz-Bonus", sprich die Ticketverkäufe nimmt man gerne mit, funktionieren muss der Stoff aber primär im heimischen Wohnzimmer, egal ob nun im linearen Fernsehen oder über die Mediatheken oder sendereigenen Streaming-Plattformen. Dies alleine erklärt schon, warum der deutsche Film in seiner Gesamtheit so unendlich Beschissen ist. Denn, wenn du in so einem System produzieren und gestalten musst, dann hälst du dein Risiko möglichst klein. Gewinne werden dann auch nicht durch Ticketverkäufe oder Zweitverwertung erziehlt, sondern sind im Budget schon eingepreist. Der Produzent musss sein Geld schon mit dem eigentlichen Budget des Films verdient haben. Schließlich wollen Sender und Filmförderung danach den Kuchen unter sich aufteilen. Das schmälert natürlich zusätzlich die Qualität. > >Kommen wir aber nun zum Hautproblem an eben dieser Struktur: Sie ist komplex, die Entscheidungen der Gremien und Sender, welche Stoffe sie fördern und was produziert wird, sind intransparent und wie schlussendlich gefördert wird ist ein Dschungel aus Forschriften mit politisch gewollten Förderkriterien, die, wie eingangs schon erwähnt, so komplex sind, dass angehenden Produzenten an deutschen Filmhochschulen eigentlich nur noch beigebracht wird, wie sie in diesen Strukuten arbeiten können. Das System reproduziert sich also selbst. Und da der Einstieg so schwierig, die Hürden so hoch und das System so undurchschaubar ist, ist man sehr mächtig, wenn man einmal etabliert "drin ist". Bist du der Regisseur, der Drehbuchautor oder die Produzentin, die fest jeden Stoff gefördert bekommt, dann bist du in einer absoluten Machtposition. Und von dir sind auf einmal viele Dienstleister mit abhängig. Seien es Schaupspieler*innen, Kameramänner und -frauen, Szenenbilder*innen, Editor*innen. Sie alle sind davon abhängig auch bei deinem nächsten Film wieder mit als fester Bestandteil der Crew oder des Ensembles zu sein. Und mit den ganzen Head-Ofs wie Kameramännern und -frauen oder Szenenbildnern sind wiederrum anderen technische Berufe wie Kameraassistent*in, Kulissenbauer*in oder Beleuchter*innen mit von dir abhängig. Diese Struktur ist aufgebaut wie eine Pyramide an dessen Spitze mehr oder weniger der ungekröhnte Monarch steht von dem alle anderen direkt oder indirekt abhängig sind. Dazu kommt, dass die gesamte Branche stark von Mund-zu-Mund-Propaganda lebt. Du kannst diese einen Job nicht machen, dann empfiehlst du natürlich einen Kollegen weiter. Und keiner will derjenige sein, der umständlich, aufmüpfig oder gar etwas zu kollegial mit seinen Untergebenen war und für ordentliche Arbeitszeiten oder einen humanen Umgang am Set eingestanden hat. Deswegen können Menschen wie Wedel, Schwaiger und Co. ihr perfides Machtspielchen immer weiter spielen. Weil es schlicht niemanden gibt, der sie aufhalten kann, so lange er noch in dieser Branche weiter arbeiten möchte bzw. muss. > >Und ganz zum Schluss noch eine kleine Anekdote zu den Arbeitsbelastungen am Filmset. Bei einer sehr kaiserlichen Netlfix-Produktion habe ich 2/3 des Drehzeitraums als DIT/QTake-Operator am Set gestanden (das letzte Drittel konnte ich nicht mehr machen, da wurde ich Vater). Um Geld zu sparen hatte sich die Produktion das Double-Banking-Prinzip ausgedacht: Bei vielen Streaming-Anbietern ist es üblich, dass jeweils die Hälfte einer Staffel von Regie- und Kamera-Duo A und die anderen Hälfte von Regie- und Kamera-Duo B gestaltet werden. Dass soll intern natürlich für zusätzlichen Konkurrenzkampf und damit für bessere Qualität sorgen (ja, darüber kann und sollte man streiten). Dies war auch hier der Fall. Nun gab es einige Motive, die entweder sehr teuer oder zeitlich nur sehr begrenzt verfügbar waren. Um das Drehpensum dort überhaupt erfolgreich absolvieren zu können, mussten beide Duos zeitversetzt in dem gleichen Motiv in unterschiedlichen Bereichen drehen. So fingen wir am Bachlauf bei Sonnenschein um 9:30 Uhr mit unserer Hauptdarstellerin und ihrem Spielpartner (deren Arbeitsbeginn war um 7:30 Uhr, ihr Spielpartner durfte ne halbe Stunde später anfangen) an zu drehen. Gespielt werden sollte die erste Liebszene der Beiden. Da das Schauspielen von Liebesszenen emotional ziemlich anstrengend sprich belastend ist, war von vorne herein klar, dass wir dort maximal 6 Stunden drehen würden. Begleitet wurde dieser Dreh von einer Intimitätskoordinatorin, deren einziger Benefit für die Schauspieler darin bestand, dass bis auf ihren Monitor und den des Regisseurs sowie des Focuspullers alle anderen Monitore auf ihre Ansagen hin ausgeschaltet wurden. Das bedeutete wiederrum, dass weder ich noch der Oberbeleuchter ordentlich arbeiten konnten. Ihr war das allerdings egal. Das geplante Vorgespräch sowie das Nachgespräch musste übrigens entfallen, sie war nur für fünf Stunden gebucht und kam erst 5 Minuten vor Drehbegin ans Set und musste dieses berreits vor Drehende verlassen. Fairerweise muss ich erwähen, dass die eigentliche Liebesszene da schon abgedreht war, und wir nur noch ein paar Dialog-Szenen zu drehen hatten. Um 16:30h waren die Dreharbeiten beendet, um 17:30h hatte die Crew das Set zurück gebaut und verlassen. Für unsere Hauptdarstellerin ging es aber noch an das Set des anderen Duos. Dort sollte sie mit aufgeschürften Knien (dies geschah vorher im Bachlauf als es "zur Sache ging") zusammen mit ihrer "Schwester" im Bett liegend über das wunderbare Leben am Hofe schwärmen. Die Szene war von 18:30h bis 22:30h geplant, gedreht wurde jedoch bis kurz vor 1:00 Uhr. Am nächsten Tag hätte die gleiche Schauspielerin Arbeitsbegin in Maske und Kostüm um 6:45h (und dass nach einem knapp 18 Stunden langen Arbeitstag) gehabt. Natürlich hatte das Konsequenzen und das Thema "Double Banking" war danach gestorben. Das ging aber nur, weil sowohl beide Regisseure als auch wichtige Teile der Crew bei der Produktion ordentlich Druck machten. Mich übrigens eingeschlossen. Und das ist bei weitem nicht die schlimmste Arbeitsbelastung, die ich bei Crewmitgliedern oder mir selbst in meiner Karriere erleben durfte.
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