Thema:
bitte schreib immer wenn dir danach ist.. flat
Autor: Gadon
Datum:15.09.24 21:11
Antwort auf:100 km von Matt

>So weit bin ich nun entfernt. Das erste Mal seit über einem Jahr, dass ich sie nicht vor dem Abend sehe. Aber es geht nicht anders. Morgen trete ich meine neue Stelle an. Der Zeitpunkt ist schlecht, sicher hätte ich es noch einmal verschieben können. Alleine, es bringt nichts.
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>Die nächsten beiden Wochen ist kennenlernen und einlernen angesagt. Freitag habe ich Home Office. Da ich einen Firmenwagen habe, ist die Fahrerei kein Problem und vor allem kein wirtschaftlicher Faktor. Nur Zeit, das kostet es, das kostbarste, was uns noch bleibt.
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>Nach der Hiobsbotschaft, dass sie nicht mehr schlucken würde, bin ich am Abend mit meinem Sohn in die Klinik und fand meine Frau tatsächlich im beschriebenen Zustand vor. Hab etwas mit ihr gesprochen und gefragt, ob sie Durst hat, ob sie eine Cola möchte. „Ja, Cola!“.
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>Gesagt, getan und mit jedem Schluck wurde sie wacher. Ich konnte ihr dann Trauben reichen und griechischen Joghurt. Am nächstem Tag bin ich dann wieder zum Frühstück hin. Croissant und ca.0,3l Schoki hat sie gegessen. Am Abend noch mehr. Ausserdem konnte sie ganze Sätze formulieren.
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>Danach ging es wieder abwärts. Eben war ich noch mal kurz da, bevor ich auf den Zug bin. (btw. ich hasse die Bahn. 40€ für <70 km ICE sehe ich nicht ein, obwohl es ohnehin der AG bezahlt. Nun sitze ich in der RB (15,80 für die selbe Strecke)und warte seit 20 Min, dass der verfickte ICE endlich kommt und losfährt, während ringsum nur seltsame Leute sitzen. Normalerweise fahre ich nur 1.Klasse, wollte aber nicht gleich an Tag 1 als Schnösel erscheinen. Nun habe ich aber Angst, dass ich vor meiner Frau gehen muss). Sie war gar nicht fit, tat mir vor allem für meinen Sohn leid. Wenigstens hat sie kurz die Augen geöffnet und kurz gewunken.
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>Ich habe Angst vor dem nächsten Tag. Ich habe Angst vor der Nacht. Die andere Realität ist, dass ich hoffe, dass es jeden Moment vorbei ist und sie in Frieden sterben kann, denn sie ist sehr friedlich und das Ende dieses Horrors würde endgültig beginnen. Ich habe eine Gier nach Leben, eine stillbare. Geht aber nur, wenn sich jemand um sie kümmert. Das Hospiz wäre der ideale Ort. Einmal da, wären wir wieder frei von den Zwängen der Klinik. Jemand isst mit ihr, jemand sieht nach ihr, die Leute, welche das Krankenhaus meiden, haben keinen Vorwand mehr.
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>Es gab übrigens auch schöne Momente. Ich habe über den Facebook Account meiner Frau eine Nachricht an alle Bekannten, Ex-Arbeitskollegen, Hobbypartner und Louis Vuitton Shopping Queens abgesetzt und bekam eine überwältigende Resonanz. So konnte ich ihr zig Nachrichten vorlesen, selbst Karten und Briefe kamen an. Ausserdem konnte ich jeden Tag Besuch für sie arrangieren. Toll. Man erfährt Dinge, von denen wusste man nichts, man erhält schöne Fotos und so viele tolle Geschichten. Das war für uns beide sehr schön und viel besser als nach ihrem Tod darüber zu sprechen. So bekommt sie das alles mit. Sie wird von so vielen Menschen geliebt, bewundert, geschätzt. Das ist schon wundervoll und hilft sehr. Ich musste immer mal wieder weinen, aber das ist ja auch gut so.
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>So, nun fährt der Zug wieder, ich bin nun 60km von zuhause und 50km von ihr entfernt und ich schalte nun mal ab. Danke meine Lieben.



...und wenn es dir hilft. auch wenn du damit hier die Leute zum heulen bringst. mir bricht es das Herz, was du hier schreibst.



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