Thema:
Re:Eher nicht flat
Autor: Mangamaniac2171
Datum:23.02.23 11:51
Antwort auf:Eher nicht von PUH

>"De gustibus et coloribus non est disputandum" ist die Quelle dieser Redensart. Dabei ist die zentrale Frage die Begründbarkeit ästhetischer Werturteile, und dieses Thema wird in der Philosophie behandelt.
>Es geht weniger um den Geschmack von Zitronen (das ist eher das "Qualiaproblem"), sondern um Geschmack allgemein. Das ist natürlich eine umfangreiche Debatte.


>Selbstverständlich gibt es aber diverse Ansätze, die ästhetische Urteilskraft zu bewerten, auch mit rationalen Argumenten. Da wäre zum Beispiel die empirische Ästhetik, in der man physiologische oder psychologische Eigenschaften untersucht, die zu objektiv überprüfbaren Präferenzen führen: zB werden Gesichter als schöner empfunden, wenn sie symmetrisch und besonders durchschnittlich sind.
>Aber hauptsächlich sind nichtempirische Ansätze in der Ästhetik Thema. Da gibt es jede Menge, zumal Geschmack nicht unbedingt individuell definiert ist, sondern auch übergreifend betrachtet wird. So gilt heute eine reduzierte Formensprache eher als geschmackvoll als Gesenkirchener Barock. Weiter gibt es theoretische Erwägungen, die oft mit bestimmten Kunstdefinitionen zusammenhängen. Bewusst erfundenes Beispiel: Wenn ich sage, Kunst ist, wenn eine Erkenntnis mit dem Werk vermittelt wird, dann bewerte ich ein "historisches" Gemälde schöner als ein "abstraktes", da informativer. Für solche Debatten braucht man natürlich relativ breite Grundkenntnisse, deshalb, nunja, misslingt das oft.


>Wenn es nur entfernt so wäre, dass Geschmack ja eh subjektiv sei, dann braucht man nur mal öffentliche Debatten über Architektur oder Kunst im öffentlichen Raum anzuschauen, niemand glaubt das wirklich. Der Kern des Zitats ist, dass die Ästhetik aufgrund ihrer Natur in einer anderen Sphäre zu existieren scheint, als zB die Mathematik, in der wir "rational" argumentieren können. Ein paralleles Problem ist die Ethik, in der es auch schwerfällt, sich zu einigen, weil wir dort vermeintlich nicht "rational" argumentieren könnten. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen zu sagen: Ob man kleine Kinder grillen sollte ist halt Geschmackssache. Objektive Begründbarkeit in der Ethik ist Thema der "Metaethik".

>Es ist übrigens auch nicht so, dass Geschmack unveränderbar ist wie oben irgendwo gesagt. Jeder weiß, dass Geschmack sich ständig ändert, man schaue sich nur die Mode von früher auf Jugendfotos an oder so.

Sehr gut geschrieben und erklärt. Danke!
Der Mensch ist eben ein Konstrukt auf der Suche nach Kontrolle und Ordnung, dem Chaos zuwider ist. Wenn es keine Regeln gibt, interpretiert jeder etwas anderes hinein, um sich seine Welt und Seelengleichgewicht schönzustellen. Und Sprache ist manchmal limitiert und eingeschränkt.


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