Thema:
Bis dato Folgendes: flat
Autor: hoover2701
Datum:12.08.22 19:37
Antwort auf:Was ist aus euch geworden... von TOM

Na gut, dann mache ich auch mal mit...

Meine Eltern sind früher viel im Ausland unterwegs gewesen. Mein Vater hat beim Neubau von Zementwerken so eine Art Baustellenaufsicht/Zeitcontrolling gemacht. Das hat immer so etwa zwei Jahre gedauert und dann ging's ab in das nächste Land mit einem zu bauenden Zementwerk. Daher habe ich als Kind zwei Jahre in Portugal und zwei Jahre in Schweden (auf Gotland) gelebt. Während ich in Portugal in einer deutschen Vorschule in Lissabon war und somit leider kein Portugiesisch lernen konnte, war ich auf Gotland mangels einer deutschen Schule ganz normal in der ersten und zweiten Klasse einer schwedischen Grundschule. Weil wir dann eigentlich regelmäßig bis zu meinem 15. Lebensjahr immer auf Gotland im Urlaub waren, beherrsche ich nach wie vor die schwedische Sprache und fühle mich irgendwie immer auch ein bisschen schwedisch...

Wir haben außerdem in Westfalen (da bin ich geboren), in Berlin und in der Nähe von Celle gelebt. In Celle habe ich den Großteil meiner Jugend und des frühen Erwachsenenalters verbracht. Im Vergleich zu Berlin war das ein krasser Break, weil von der Hauptstadt in die Provinz... Egal! In Celle habe ich 1989 Abitur gemacht und im Anschluss meinen Zivildienst in der Jugendherberge in Celle abgeleistet. Ich war ein saufauler Schüler mit null Plan, wohin die Reise später mal gehen sollte. Nach der Zeit in der Jugendherberge wusste ich zumindest schon mal, dass ich weder Putzkraft noch Küchenkraft werden wollte. Auch eine Wäscherei kam für mich als Arbeitsplatz nicht in Frage.

1990 habe ich im "Freedom", einem ranzigen Club in Altenhagen bei Celle meine jetzige Frau kennengelernt. Wir sind also seit Ewigkeiten zusammen und sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Sie ist die Liebe meines Lebens und ich bereue keine Sekunde der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben, auch wenn wir uns gelegentlich echt gut und lautstark zoffen können (und uns dann auch wieder sehr gut vertragen können). ;)

Da ich noch nicht wusste, was ich mal werden sollte, studierte ich zunächst Jura in Osnabrück (man brauchte keinen NC), aber das war kacke und so bin ich nach zwei Semestern nach Hannover und habe dort Anglisitik/Germanistik auf Magister studiert. Also, eigentlich habe ich nicht wirklich studiert - eher Parties gefeiert, gekifft und meine Jugend genossen. Naja, für die Zwischenprüfung hat es dann doch irgendwie gereicht, aber perspektivisch war da natürlich nicht so der rosa Streifen am Horizont zu erkennen. Mein damaliger Mitbewohner war auch ein Harzer (also Kiffer) vor dem Herrn und immer wenn ich meinte, mal wieder die Kurve zu kriegen, war doch wieder die Gelegenheit da, eine Tüte zu qualmen und den lieben Herrgott einen guten Mann sein zu lassen. Lediglich am Wochenende, wenn ich mit meiner Freundin in Celle rumhing (sie arbeitete dort in einer Tierarztpraxis), war ich ein zurechnungsfähiger und verlässlicher Typ. Ziemlich beschissene Zeit so im Nachhinein... Aber dann kam es durch einen Zufall zur Wendung...

Ein Freund meines Mitbewohners war in Hamburg bei einem Bertelsmann-Startup im Marketing tätig und die suchten Praktikanten für die Redaktion. Sogar mit 300 Mark Vergütung im Monat! Geil! Dort hatte ich dann mein erstes Vorstellungsgespräch und wenn ich mich daran erinnere, was für eine klägliche Figur ich da abgegeben haben muss, dann schüttelt es mich heute noch. Allerdings hatte ich auf die Redaktionskollegen wohl einen guten Eindruck gemacht und so entschied sich die Redaktionsleiterin trotz massiver Bedenken dazu, mich ins Team zu holen. Dieses Profit-Center von Bertelsmann hieß "GameChannel" und der Plan war, mit Online-Gaming Kohle zu verdienen. Bertelsmann war allerdings zu früh zu prophetisch unterwegs, denn im Internet herrschte damals noch große Anarchie. Man konnte alles umsonst tun. Torrent, Napster oder Gamespy sei Dank... Dort habe ich ungefähr ein Jahr lang für den Praktikanten-Hungerlohn gearbeitet und konnte dank finanzieller Hilfe meiner Eltern zur Untermiete bei einem Pärchen in Altona wohnen. Abends war ich eigentlich immer mit den Redaktionskollegen noch auf dem Kiez unterwegs. Erst in die Spielothek zum SEGA-Rallye-Spielen, dann in die Washington-Bar und zum Schluss dann im Pudels Club rumgehangen. Das waren schöne Zeiten, auch wenn ich so gut wie keine Kohle hatte. Das änderte sich jedoch relativ schnell. Zunächst wurde mir meine Praktikumszeit auf eine Volontariatszeit angerechnet, während der ich auch noch in den Redaktionen von Sport 1 und AOL hospitierte und dann ging noch die Redaktionsleiterin, die halt auch nicht wirklich einen Plan vom Gaming und (wenn ich das einschätzen kann) von Führung hatte. Naja, Führungserfahrung hatte ich auch nicht, aber zumindest einen Plan, was so in der Gaming-Branche abging und da ich in der Zeit wohl immer einen schlanken Fuß gemacht hatte, wurde ich Redaktionsleiter! lol

Nun war ich auf einen Schlag reich! Also zumindest dachte ich das, denn ich bekam ein echtes Gehalt (4.500 D-Mark im Monat). Das war für mich der Wahnsinn! World, here I come! Ich habe ein Volontariat (Ausbildung) in der Tasche und einen gutbezahlten Job in einem Bereich, der eigentlich mein Hobby ist. Zwick mich mal! :) Naja, es ging dann alles ziemlich schnell den Bach runter, denn der GameChannel machte natürlich nach wie vor keine Kohle und Gütersloh wollte nix mehr subventionieren in der Hoffnung, dass die Hamburger Deppen es endlich irgendwann mal auf die Reihe kriegen, profitabel zu werden. Der GameChannel wurde also an RTL verhökert. Ich hätte also nicht nur nach Köln umziehen müssen, sondern auch den Niedergang von einem Spieleportal zu einem Online-Casino mitmachen müssen. Da bin ich also weg!

Es kam dann wieder der Zufall ins Spiel, denn ich traf einen alten Tennis-Mannschaftskollegen in Celle, der von Beruf Sohn war und in der Werbeagentur seines Vaters arbeitete. Dort habe ich dann zwei Jahre lang den boomenden Online-Bereich betreut, also Internetpräsenzen konzipiert und auch diverse Kampagnen mit größeren Kunden begleitet. Irgendwann wurde ich von einer anderen Agentur abgeworben und habe ein weiteres Jahr im Bereich des Online-Marketings gearbeitet. Das war aber irgendwie auch alles sehr oberflächlich und man hatte nicht wirklich das Gefühl der Freude an der Arbeit. Nach einer kurzen Auszeit (Arbeitslosigkeit) habe ich dann für eine Firma gearbeitet, die Immobiliensoftware herstellte. Hier war ich so eine Mischung aus Consultant und Vertriebler und bin eigentlich die ganze Zeit nur wie ein Bescheuerter durch Deutschland gereist und habe Softwarepräsentationen und -schulungen durchgeführt.

In der Zwischenzeit hatten meine Frau (wir haben 2000 geheiratet) und ich zwei Kinder bekommen (eine Tochter in 2000 und einen Sohn in 2005). Das waren anstrengende aber auch wunderschöne Zeiten und obwohl ich vorher eine Sau-Angst davor hatte, Vater zu sein, war dann alles wunderschön als es soweit war.

Irgendwann war für mich auch bei den Immobiliensoftware-Heinis die Luft raus und ich bin wieder auf die Suche gegangen. Meine Fähigkeit, komplexe Produkte und Dienstleistungen erklären bzw. verkaufen zu können, brachte mich zu einem Unternehmen, das Software für Altenheime programmierte und vertrieb. Zwar war es ein Knochenjob mit über 100.000 gefahrenen Kilometern im Jahr und sehr viel Einbußen, was die Zeit mit Frau und Kindern anging, aber finanziell war das ein großer Segen. Erstmals konnte ich wirklich Geld zur Seite legen oder auch mal einen echten Familienurlaub mit Flug und Hotel etc. ins Auge fassen. Trotzdem war die Firma ein krasser Verein mit einem old-school Firmenpatriarchen und seiner hysterischen Gattin, die allen Vertrieblern das Leben zur Hölle machte. Ich stand dort gut unter Druck und auch wenn die Zahlen stimmten, war das immer sehr nervig.

Als wir mal wieder auf der Altenpflege-Messe waren, lief auf dem Nachbarstand des Marktführers die ganze Zeit ein Video mit "Wir suchen im Norden...". Ja, da habe ich mich dann 2013 beworben und bin nun seitdem beim Marktführer für Software im Sozialwesen. Abrechnung von Klienten, Dokumentation und Dienstplanung für Altenhilfe, Eingliederungshilfe und Jugendhilfe. Das war zu Beginn recht anstrengend, da die Materie nochmal komplexer als vorher war und auch die Software hochgradig parametrier- und konfigurierbar ist. In den ersten zwei Jahren gab es daher einige Momente, in denen ich die Flinte fast ins Korn geworfen hätte, aber ich bin dabeigeblieben und das war sicherlich eine gute Entscheidung. Finanziell geht es uns so gut wie nie. Ich bekomme ein gutes Fixum und erhalte am Ende des Jahres immer noch eine anständige Provison auf verkaufte bzw. fakturierte Softwarelizenzen. Auch die Kaltakquise (beim Kunden einfach reinspazieren) des vorherigen Arbeitgebers bleibt mir nun erspart. Ich reagiere eher als dass ich proaktiv werden muss. Ein Luxuszustand vertrieblich gesehen...

Meine Frau hat sich vor zwei Jahren ihren langgehegten Traum der Selbständigkeit mit einem eigenen Laden (Dekoartikel, Kleinmöbel und Pflanzen/Frischblumen) erfüllt und auch das läuft sehr gut (leider nicht so gut, dass ich in den Sack hauen könnte, aber doch so gut, dass die Investitionskosten längst wieder reingeholt sind und sie sogar komplett vom Gewinn einen eigenen Firmen-Van finanzieren konnte).

Ich bin jetzt 51. Meine Tochter ist mittlerweile 21 Jahre alt und ist im zweiten Ausbildungsjahr zur staatlich geprüften Physiotherapeutin. Sie ist schon vor zwei Jahren ausgezogen und hat endlich gerade mal wieder Glück in der Liebe. Sie kommt uns oft besuchen und es ist schön zu sehen, dass wir wohl nicht alles falsch gemacht haben können mit der Erziehung. Mein Sohn ist 16, hat gerade seinen Realschulabschluss gemacht und kommt demnächst auf eine Berufsfachschule. Themenfeld "Druck- und Medientechnik". Eigentlich dient das aber nur dazu, ein weiteres Jahr Zeit zu gewinnen bei der Entscheidungsfindung, wo ungefähr die Reise später mal hingehen soll. Er hat ein gewisses Phlegma, was er eventuell von seinem Vater geerbt haben könnte, aber er ist ein schlaues Kerlchen mit viel Witz und erstaunlich weiser Weltsicht - also wird er sicherlich später auch mal klarkommen mit den Anforderungen, die die Gesellschaft an uns stellt.

Ich fahre gerne und viel Fahrrad, lese viel, zocke immer noch, wenn sich die Möglichkeit ergibt und versuche meine Freizeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Ich bin also alles in allem ein sehr glücklicher und zufriedener Mensch auch wenn sicherlich "Arbeit nervt" und auch manchmal der Weltschmerz ob der vertrackten globalen Situation einsetzt. Oft denke ich, dass eine neue berufliche Herausforderung nochmal etwas zusätzliche Würze in mein Leben bringen könnte, aber das wäre angesichts meiner jetzigen Tätigkeit wahrscheinlich dumm, denn ich habe noch nie so viele Freiheiten in einem Job gehabt bzw. eigenverantwortlich gearbeitet und auch das Einkommen dürfte woanders nur schwer zu erreichen sein, denn schließlich bin ich ja im Endeffekt nur der gelernte Redakteur, dessen beruflicher roter Faden das Verkaufen von erklärungsbedürftigen Produkten und Dienstleistungen ist...

Ansonsten hoffe ich einfach nur, dass meine Familie und ich gesund bleiben und wir füreinander da sind, wenn es jemandem mal nicht so gut geht.

Jo, das war's von mir. :) Sehr schöner Thread übrigens und deswegen wollte ich auch schon lange mal was dazu beitragen. Jetzt hat's ja endlich geklappt!


< antworten >